Saskia EskenSPD - Innovationsprinzip bei Gesetzgebung
Vielen Dank, Herr Präsident. – Jetzt kommen wir alle mal ein bisschen runter und trinken einen Tee.
Kollegen, die schon länger hier im Haus sind, sagen, dieses Innovationsprinzip sei ein Running Gag. Aber wir tun mal so, als wäre es ganz neu. Ich habe bei Ihrem Antrag zweimal Bauchgrimmen bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Zum einen stellen Sie den Istzustand in Deutschland wesentlich schlechter dar, als er ist. Zum anderen schlagen Sie Maßnahmen vor, mit denen ich nicht einverstanden bin.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zum ersten Punkt. Deutschland ist keine Innovationswüste. Im Gegenteil: Die Welt beneidet uns um unsere Innovationsfähigkeit, und das, obwohl und gerade weil die Innovationen durchdacht und nachhaltig sind. Man könnte auch sagen: Wir denken erst, und dann handeln wir.
(Nicola Beer [FDP]: Als ob Innovation ohne Denken ginge!)
Das hat in Deutschland eine kulturelle Tradition, eine Tradition, die durch das sogenannte Vorsorgeprinzip bei Gesetzgebungen und behördlichen Entscheidungen verfestigt wird. Sie stellen die These dagegen, Vorsorge und Innovation seien quasi ein Widerspruch. Dabei ist Innovation doch dazu da, Chancen zu ergreifen. Sie glauben, Vorsorge sei das Gegenteil von Innovation. Das ist aber nicht richtig. Vielmehr soll Vorsorge Risiken erkennen und zugleich verringern bzw. vermeiden.
Wir haben dieses Vorsorgeprinzip aus Fehlern entwickelt, wie sie beispielsweise durch den Einsatz von Asbest und FCKW gemacht wurden. Weil man nicht alle Risiken vorhersehen kann, lautet die Maxime: Handle stets so, dass du noch korrigierend eingreifen kannst, wenn etwas schiefläuft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/CSU])
Auch in der Gesetzgebung muss deshalb stets eine Abwägung zwischen Nutzenversprechen und Besorgnisgründen stattfinden. Das zu bewerkstelligen, ist eine methodische Herausforderung, da geht es nicht um Prinzipien.
Auch die Herkunft und die Intention des sogenannten Innovationsprinzips stimmen mich eher kritisch. Die Industrielobbygruppe European Risk Forum vereint Akteure aus den Bereichen Chemie über fossile Brennstoffe bis hin zum Tabak – nicht unbedingt Horte der Innovation, möchte man sagen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das Hauptanliegen der Innovationsoffensive war insofern auch nicht die Förderung von Innovationen, sondern das Zurückdrängen von Regulierungen und Nachhaltigkeitszielen in unseren Gesetzgebungsverfahren. Und ja, Kollege Vorredner, die SDGs sind international anerkannt.
(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD])
Ein so verstandenes Innovationsprinzip ist in meinen Augen sogar innovationsfeindlich
(Beifall der Abg. Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– ja, so ist es –, weil es eben dazu führt, dass alte und gegebenenfalls schädigende Produkte länger auf dem Markt bleiben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Reichardt [AfD]: Die SPD ist auch schon ein älteres Produkt!)
– Ja, na klar, mehr als 150 Jahre alt. Soll die FDP auch mal werden; dann staune ich.
Als Gesetzgeber stehen wir auf der einen Seite vor der Herausforderung, agiler zu arbeiten und schnell auf neue Herausforderungen zu reagieren. Auf der anderen Seite müssen und wollen wir in hohem Maße transparent arbeiten – Stichwort „Open Government“ – und dabei angesichts der Vernetztheit der Themen eine wachsende Anzahl von Stakeholdern einbinden. Methoden und Werkzeuge der digitalen Arbeitskultur sollten da hilfreich sein. Auch würde es helfen, Gesetzgebungsverfahren nicht zu überladen. Es ist fast schon zur Mode geworden, in einen Gesetzentwurf alle Ideen zu packen, die man schon immer mal realisieren wollte. Oft genug sind solche dabei, bei denen man die Kritik der Öffentlichkeit scheut. Beispiele dafür gab es in der jüngsten Vergangenheit genug, sei es der Justizfeger, der den Bundestrojaner enthielt, sei es das neue IT-Sicherheitsgesetz, das neben der wichtigen Zielsetzung, KRITIS weiterzuentwickeln, leider auch ziemlich viele verfassungsrechtlich problematische Vorhaben enthält. Solche Überladungen verlängern den Beratungszeitraum, und es besteht immer die Gefahr, dass durch einzelne Bestimmungen das gesamte Paket in Mitleidenschaft gezogen oder sogar gefährdet wird.
Ich fasse zusammen. Wir wollen das Vorsorgeprinzip als Qualitätsgarant erhalten, wir wollen die Gesetzgebung öffnen und modernisieren, damit sie agiler und transparent wird, und wir wollen Gesetzgebungsverfahren nicht missbrauchen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Frau Kollegin Esken. – Als nächster Redner erhält das Wort für die Fraktion Die Linke der Kollege Niema Movassat.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7343732 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 96 |
Tagesordnungspunkt | Innovationsprinzip bei Gesetzgebung |