12.04.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 96 / Tagesordnungspunkt 22

René RöspelSPD - Innovationsprinzip bei Gesetzgebung

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In ihrem Antrag schreibt die FDP, dass beim Verfassen von Gesetzen derzeit der „Blick auf die Vermeidung von Risiken“ überwiege.

(Beifall bei der FDP)

Erstens finde ich das eine steile These, weil es ganz viele andere Gesetze gibt, und zweitens frage ich mich, was eigentlich schlimm dabei ist, darauf zu schauen, wo Risiken entstehen können, und Risiken vermeiden zu wollen.

(Nicola Beer [FDP]: Hören Sie doch zu! Das ist abenteuerlich!)

Ich finde das normal. Es ist, wie ich finde, sogar Aufgabe des Gesetzgebers, Risiken zu vermeiden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Nicola Beer [FDP]: Lesen bildet!)

Ich bin tatsächlich immer wieder erstaunt, welches Bild von Deutschland Sie – Sie von der AfD sowieso, aber auch Sie von der FDP – verbreiten. Ich erlebe Deutschland als ein Land mit grundgesetzlich geschützter Freiheit. Überall da, wo es Freiheit gibt und Menschen zusammenleben, muss es aber auch Regeln und Gesetze geben. Diese diskutieren wir hier. Wir erleben in unserem Land, dass die Forschung, die frei ist, seit 20 Jahren wie nie zuvor gefördert wird.

(Beifall der Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/CSU])

Aber ich muss feststellen, dass die FDP jetzt kommt und darüber einen Kübel ausschüttet mit dem üblichen Vorwurf der Technologiefeindlichkeit. Ich erlebe aber, wenn ich täglich unterwegs bin, so etwas nicht in Deutschland – noch nicht einmal im Kindergarten. Ich weiß nicht, woher Sie Ihr Bild nehmen. Und dann sagt die FDP: Wir wollen das Innovationsprinzip einführen. – Das heißt, wenn Gesetze gemacht werden, muss geprüft werden – gleichberechtigt mit dem Vorsorgeprinzip –, was an diesem Gesetz möglicherweise innovationshemmend oder -verhindernd sein wird.

Wenn man sich mit denjenigen befasst, die Innovationen entwickeln, die Forschung betreiben, dann wird man feststellen: Sie werden sich nun wirklich nicht darüber freuen. Für Forschende ist es ohnehin schon eine Herausforderung, abzusehen, ob sie das Vorsorgeprinzip einhalten. Das können sie aber noch relativ leicht; denn die Leitlinien besagen, dass man keine Chemikalie entwickeln oder verwenden darf, von der man schon jetzt weiß, dass sie Menschen schädigen wird. Aber das Innovationsprinzip als Forscher anzuwenden und abzusehen, dass man etwas nur machen kann, wenn man weiß, dass es keine Innovation verhindert, das halte ich für fast unmöglich. Das ist illusorisch. Das zeigt mir, dass Sie da von der Realität weit entfernt sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben keine Beispiele genannt. Vielleicht ist es sinnvoll, das anhand einiger Beispiele – beliebig viele sind möglich – zu entwickeln. Nehmen wir Asbest und Atomtechnologie. Als Asbest und Atomtechnologie in Deutschland eingeführt wurden, war die Begeisterung groß. Beide hätten die Prüfung nach dem Innovationsprinzip locker überstanden. Von Asbest hat man gesagt: Das ist sehr innovativ, es ist feuerbeständig. Und von Atomenergie hat man gesagt: Das ist die Lösung aller Energieprobleme. – Hätte es eine Prüfung nach dem Vorsorgeprinzip gegeben, wären vielleicht schon mehr Gedanken entstanden, und man hätte das eine oder andere an Krankheit und Unglück verhindern können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Also insofern ist das Vorsorgeprinzip, wie ich glaube, schon nicht schlecht.

Jetzt mache ich den Praxistest für die Regierungszeit der FDP. Sie haben von 2009 bis 2013 regiert.

(Otto Fricke [FDP]: Nicht nur dann!)

Das Einzige außer Mövenpick, was mir aus Ihrer Regierungszeit an gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen in Erinnerung ist, ist die Verlängerung der Atomlaufzeiten 2010. Wenn Sie damals das Vorsorgeprinzip in Ihre Überlegungen miteinbezogen hätten, hätten die Alarmglocken schrill geklingelt, und Sie hätten die Finger davon gelassen, weil Sie dann festgestellt hätten, dass es nicht nachhaltig ist, Atomenergie weiter zu nutzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Das ist eine Behauptung!)

Ein Jahr später gab es das Unglück in Fukushima, und der Wandel in den Köpfen und in der Erkenntnis war da.

Hätte es das Innovationsprinzip gegeben, hätten die Glocken vorher noch schriller geklingelt, weil durch die Verlängerung der Atomlaufzeiten 2010 – das ist schon lange her, ist aber ein gutes Beispiel – erstens Innovationen gehemmt wurden, weil eine alte Technologie zulasten neuer Technologien verlängert worden ist, und weil zweitens Investitionen vernichtet wurden. Im kommunalen Bereich gab es damals nämlich ganz viele moderne Kraftwerke, die nicht mehr weitergefahren werden konnten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich halte das Vorsorgeprinzip für sehr wichtig. Das Innovationsprinzip halte ich an dieser Stelle aber für falsch,

(Martin Reichardt [AfD]: Ein bisschen verheddert, Ihre Rede!)

weil das zusätzliche Bürokratie bedeutet, die Forscher mehr belasten wird, als dass ihnen geholfen wird.

Jetzt mache ich einen Praxistest für die Fraktion der FDP im derzeitigen Bundestag. Wir haben vor einer Woche einen Antrag von Ihnen zum Pakt für Forschung und Innovation diskutiert. In diesem sehen Sie im Prinzip das Gleiche vor: Sie wollen die Vergabe von Mitteln an Forscher an die Erfüllung bestimmter Bedingungen knüpfen. Da soll ein Wissenschaftler wissen, welche langfristigen Folgen seine Forschung haben wird, wie hoch die Zahl der Publikationen sein wird! All das wird nicht dazu führen, dass das Leben der Forscher besser wird und dass es mehr Innovationen geben wird, sondern sie werden blockiert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen von der FDP einen Rat geben: Sie müssen einmal darüber nachdenken, auf welchen Kurs Sie tatsächlich sind. Sie sind dabei, Ihre wissenschafts- und forschungspolitische Reputation in diesem Land zu verlieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend kann ich nur sagen: Wir finden den Antrag der Grünen gut und werden darüber nachdenken, wie wir damit im parlamentarischen Verfahren weiter umgehen.

Schöne Ostern!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7343920
Wahlperiode 19
Sitzung 96
Tagesordnungspunkt Innovationsprinzip bei Gesetzgebung
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