12.04.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 96 / Tagesordnungspunkt 23

Hans-Peter Bartels - Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2018

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir heute hier diesen Bericht für das Jahr 2018 diskutieren, tun gleichzeitig deutsche Soldatinnen und Soldaten Dienst in unseren mandatierten Auslandseinsätzen in Afghanistan, im Libanon und vor dessen Küste, auf Zypern, in Jordanien, im Zentral-Irak und in Irakisch-Kurdistan, in Katar, in Bahrain, im Kosovo, in Dschibuti, im Sudan und im Südsudan, im zentralen Mittelmeer, in Mali und in Niger. Das sind fast immer Missionen unserer kollektiven Sicherheitssysteme, denen wir angehören: NATO, UNO, EU. Darüber hinaus entsendet Deutschland Soldaten in nicht mandatspflichtige Missionen in der Westsahara, in Kamerun, Tunesien, der Ägäis, in Estland und in Litauen, demnächst auch im Jemen.

Zusammen sind das alles in allem 4 000 Männer und Frauen. Tausende weitere Bundeswehrsoldaten sind dauerhaft im Ausland stationiert in Verbänden, Ausbildungseinrichtungen und Hauptquartieren: in den USA, in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Italien, der Türkei, Portugal, Polen. Zum NATO-Herbstmanöver nach Norwegen wurden im vergangenen Jahr 8 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten verlegt.

Sie alle stehen für das Bild, das man in unseren Bündnissen und weltweit von der Bundeswehr hat. Und dieses Bild ist ein positives.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU und des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Bundeswehr steht für Professionalität, Bescheidenheit, Zuverlässigkeit, kulturelle Sensibilität und Kameradschaftlichkeit. Viele arbeiten sehr gern mit unseren Bundeswehrsoldaten zusammen. Ihr Dienst tut dem Ansehen und dem Gewicht Deutschlands in Europa und in der Welt gut. Dafür verdienen sie die Anerkennung dieses Parlaments: Vielen Dank Ihnen da draußen und Ihnen zu Hause!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Ich bin auch dem Bundestag dankbar, dass er sich in besonderer Weise für die Belange seiner Parlamentsarmee einsetzt – sei es durch umfassende soziale Absicherung wie etwa mit dem Einsatzversorgungsverbesserungsgesetz, sei es durch zusätzliche Aufstockung der Beschaffungsmittel im Verteidigungsetat. Solch zusätzliches politisches Engagement ist tatsächlich dringend nötig; denn Überlastung darf kein Dauerzustand werden. Aber tatsächlich heißt „Überlast“ der treue Nebenmann vieler unserer Soldatinnen und Soldaten heute.

Ich stelle im Jahresbericht 2018 fest: Erstens. Die Zahl der Bewerbungen für den militärischen Dienst ist rückläufig. Zweitens. Die Zahl der Neueinstellungen ist stark rückläufig – minus 15 Prozent in 2018. Drittens. Die Zahl der unbesetzten Dienstposten oberhalb der Mannschaftsebene bleibt konstant hoch – über 20 000 Funktionsstellen. Gleichzeitig wird beim Bestandspersonal massiv weiterverpflichtet. Die Verpflichtungszeiten der Zeitsoldaten steigen steil an. Das macht aus vielen SaZ halbe Berufssoldaten. Darauf passt das alte System mit Nachversicherung in der Rentenkasse zum Beispiel aber immer weniger. Wir sollten aufpassen, dass jetzt nicht, ohne bösen Willen, eine Zweiklassenberufsarmee entsteht. Und übrigens löst auch die beabsichtigte Erhöhung des Pensionierungsalters der aktiven Berufssoldaten nur scheinbar die quantitativen Personalprobleme. Denn erstens wird die Bundeswehr auf diese Weise immer älter, und zweitens kommt die massive Pensionierungswelle dann eben später. Aber sie kommt. Und spätestens dann geht es nicht mehr ohne massive Neueinstellungen.

Werden wir also in einigen Jahren wieder über eine Auswahlwehrpflicht diskutieren? Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin dafür, jetzt erst einmal alles für den Erfolg der Freiwilligenarmee zu tun. Noch sind die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, die Nachwuchsgewinnung läuft noch nicht rund, wie ich überall höre. Das kann und muss besser werden.

Bei der Abfassung dieses Jahresberichts – es ist mein vierter – habe ich mir überlegt, ob ich noch einmal die gleiche alarmierende Botschaft sende: Das bekannte Personalfehl ist zu groß, die Materiallücken sind riesig, es ist von allem zu wenig da, und mit den Trendwenden geht es nicht schnell genug. Das gilt alles immer noch für 2018. Die Statistik über die Klarstände der Hauptwaffensysteme hat das in diesen Wochen noch einmal eindrucksvoll bestätigt – mit allen negativen Folgen, übrigens auch für die Ausbildung.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber geheim!)

– So ist es. – Aber mein Jahresbericht nicht. Und der sagt nun doch etwas mehr, nämlich: Viele der Blockaden im System, die dafür sorgen, dass immer Mangel herrscht und dass nichts schnell geht, sind selbstgemacht. Man kann sie beiseiteräumen, man kann die Spielregeln ändern.

Die Truppe wartet auf eine neue Kultur der ganzheitlichen Verantwortung. Kommandeure, Chefs und Spieße müssen für das Ganze Verantwortung übernehmen dürfen. Sie wollen das, sie können das. Aber sie dürfen es nicht: nicht in Personalfragen, nicht in Ausrüstungsfragen, nicht in Infrastrukturfragen.

Alles ist in eigenen speziellen Organisationsbereichen weggeschlossen, „zentralisiert“: Förderung, Beförderung und Auswahl von Personal zum Beispiel – das macht für alle ein zentrales Bundesamt. Fernmeldeanbindung? Verpflegung? Unterbringung? Sanität? Nachschub? Dafür gibt es jeweils einen eigenen Organisationsbereich mit eigenen Vorgesetzten und eigenen Formblättern. Es ist das Prinzip „Toolbox“ aus früheren Bundeswehrreformen, aus der Zeit des Schrumpfens.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Scharping!)

Dem gegenüber steht heute die Forderung nach einsatzfähigen organischen Verbänden, die schon im Grundbetrieb so aufgestellt sind, wie sie im Ernstfall kämpfen müssten. Die Kampfform im Grundbetrieb aber – so wird es mir bei vielen Truppenbesuchen mitgegeben – ist heutzutage der Kampf mit der Überorganisation, der Kampf mit dem „Bürokratiemonster“.

(Karin Strenz [CDU/CSU]: So ist das!)

Um es etwas vornehmer auf den Punkt zu bringen: Die hochgerüstete Verantwortungsdiffusion, die überall vorherrscht, widerspricht militärischer Rationalität, blockiert das Prinzip des Führens mit Auftrag und untergräbt die Innere Führung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Nun sind Entscheidungen nötig. Strukturen müssen zurechtgerückt werden. Das wird nicht jedem gefallen, aber ein strukturelles Weiter-so würde den Erfolg der Trendwenden massiv gefährden.

Ich habe in diesem Jahresbericht erneut vorgeschlagen, jedem Kommandeur einen Etat für Kleinigkeiten an die Hand zu geben. Bisher darf zum Beispiel der Kommodore eines Taktischen Luftwaffengeschwaders mit 3 Milliarden Euro teuren Flugzeugen, einem immobilen Anlagevermögen von 1 Milliarde Euro und 1 500 Geschwaderangehörigen im Jahr einen Fonds von 250 Euro selbst verantworten – für Kaffee und Kekse.

Ich schlage vor, ihm 50 000 Euro im Jahr anzuvertrauen – für kleine Sofortreparaturen, für Anschaffungen aus dem Baumarkt und einfach für das, was er oder sie für nötig hält, ohne damit zehn weitere Erwachsene in fünf anderen Behörden behelligen zu müssen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der AfD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß, dass in der Regierung inzwischen an einer solchen Lösung gearbeitet wird. Aber Ergebnis: offen. Jetzt mal im Ernst: Jeder hinhaltende bürokratische Widerstand dagegen ist vollständig inakzeptabel.

Der Jahresbericht 2018 enthält wieder eine Auswahl von Vorgängen, die das menschliche Miteinander in der Bundeswehr beeinträchtigten: unangemessenes Führungsverhalten, Fälle von Mobbing, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Jeder konkrete Fall verdient es, ernst genommen zu werden.

Tatsächlich ist die Bundeswehr die einzige öffentliche Institution in Deutschland, die so genau registriert, welche Normenverstöße es in ihren Reihen gibt, und die solche Verstöße sanktioniert und versucht, daraus zu lernen.

Erziehung und Persönlichkeitsbildung gehören elementar zu den Aufgaben der Vorgesetzten. Es gibt das Recht der Wehrbeschwerde, die Disziplinarordnung und die Truppendienstgerichtsbarkeit, Vertrauensleute und Gleichstellungsbeauftragte, den Militärischen Abschirmdienst und ein inzwischen ziemlich sensibles Meldewesen zur sozialen und inneren Lage in unseren Streitkräften.

Und es gibt seit nunmehr 60 Jahren den Wehrbeauftragten mit seinen Möglichkeiten. Es ist meine Pflicht, genau hinzuschauen, auch wenn es mal lästig fällt. Einige dieser Themen haben schon den Verteidigungsausschuss beschäftigt. Das ist gut so.

Danken will ich abschließend allen, die mir mit ihren Eingaben und Hinweisen Arbeit gemacht haben. Dank auch dem Verteidigungsausschuss, dem Verteidigungsministerium, unseren Ansprechpartnern in der Truppe und schließlich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Amt des Wehrbeauftragten, die für Nachhaltigkeit sorgen, auch wenn manches Thema längst schon wieder von der politischen Tagesordnung verschwunden ist. Wir alle tun diese Arbeit im Interesse unseres Landes zum Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der AfD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich im Namen des Hauses dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Vorlage des Jahresberichts 2018 und überhaupt für ihre Arbeit danken.

(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Peter Tauber.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7343930
Wahlperiode 19
Sitzung 96
Tagesordnungspunkt Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2018
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