09.05.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 98 / Tagesordnungspunkt 6

Hans-Peter Friedrich - Betrieb von Braunkohlekraftwerken

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute wieder einmal eine spannende Debatte über einen Gesetzentwurf der Grünen.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist immer spannend, wenn es was von uns gibt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ihr seid schnell gewesen, gar keine Frage. Ihr legt heute einen Gesetzentwurf auf den Tisch, dessen Vorteil es vielleicht ist, dass er ziemlich dünn ist. Das wünschten wir uns bei manch anderen Gesetzentwürfen auch: schlank und dünn. Wenn man den Gesetzentwurf liest, stellt man aber fest, dass der Inhalt genauso dünn ist wie der Umfang.

(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist aber auch klar; denn Sie beziehen sich zwar auf den Bericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, picken sich aus dem Kommissionsbericht aber nur ein einziges Element heraus. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir betrachten diesen Strukturwandel ganzheitlich, während Sie nur einen Bestandteil herauslösen und sagen: Ihr müsst jetzt sofort die Kohlekraftwerke abstellen. – Das ist immer wieder der Trick der Grünen: Sie versprechen, dass der globale Klimawandel aufgehalten wird, wenn die Kohlekraftwerke jetzt sofort abgeschaltet werden. Unser Blickwinkel ist viel weiter gefasst.

Der Zeitplan ist doch klar – darüber gab es doch nie Diskussionen –:

(Lachen der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Als Erstes kommt der Kommissionsbericht. Wir hatten ja gehofft, dass die Bundesregierung ein klares Statement zum Kommissionsbericht abgibt;

(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch in der Regierung!)

sie entwickelt jetzt aber ein Eckpunktepapier, das in den nächsten Wochen durch das Kabinett gehen soll. Aus diesem Eckpunktepapier, in dem all die Punkte bearbeitet werden, die im Kommissionsbericht aufgelistet sind, entsteht letztendlich der Gesetzentwurf.

Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, wie gesagt, dass wir nicht nur abschalten wollen, sondern auch Strukturentwicklung betreiben wollen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Wie denn?)

Das ist genau der Punkt. Unser Slogan lautet immer: Erst neue Arbeitsplätze schaffen, dann abschalten.

Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, aus politischen Gründen einen ganzen Industriezweig abzuschalten, weil er klimapolitisch angeblich nicht mehr in die Welt passt, dann muss sich die Politik auch darum kümmern, dass der Strukturwandel entsprechend gefördert wird. Diesen Aspekt lassen Sie völlig vermissen. Das ist aber auch klar. Damit befassen Sie sich gar nicht. Es ist Ihnen immer egal gewesen – das ist in allen klimapolitischen Diskussionen deutlich geworden –, was aus den Leuten wird. Sie haben nur Tonnen CO 2 im Kopf, und das ist leider sehr wenig. Sie schießen mit Ihrem Gesetzentwurf aus unserer Sicht vollkommen über das Ziel hinaus.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?

Ja, gern.

Herr Lämmel, ehrlich gesagt, ich finde, das, was Sie hier zum Besten geben, ist eine Unverschämtheit. Wenn ich nicht irre, gehören Sie zu einer Regierungsfraktion. Die Kommission, die von der Bundesregierung eingesetzt worden ist, hat vor drei Monaten – vor über drei Monaten! – ihr Ergebnis vorgelegt. So! Ich komme aus einer Braunkohleregion. Die Menschen dort warten auf eine klare Ansage der Regierungsfraktionen oder der Bundesregierung, wie und in welchem Zeitraum genau dieser Kommissionsbericht umgesetzt werden soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von einer seriösen Regierungsfraktion erwarte ich, dass sie, wenn sie schon keinen Gesetzentwurf zur Umsetzung vorlegt – dass Sie da ein bisschen langsamer sind als wir, das mag ja sein –, hier zumindest zusammen mit dem Koalitionspartner einen Antrag einbringt und den Menschen Klarheit darüber verschafft, wie es weitergehen soll. Dazu sind Sie ganz offensichtlich seit drei Monaten nicht in der Lage; denn sonst hätten Sie einen solchen Antrag hier eingebracht.

Ich frage Sie jetzt hier: Wann werden Sie einen Beschluss im Deutschen Bundestag über die Umsetzung der Ergebnisse der Kommission herbeiführen, um den Menschen in den Regionen Klarheit über die weitere Entwicklung zu verschaffen und deutlich zu machen, wann die Klimaschutzziele erfüllt werden? Wann werden Sie etwas Entsprechendes vorlegen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Offensichtlich haben Sie während meiner Rede auf Ihren Ohren gesessen.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Ich habe mich zum Zeitplan vorhin ganz klar geäußert. Ich sage es noch einmal: Sie picken sich ein ganz winziges Detail aus dem gesamten Kommissionsbericht heraus. Sie wissen genau, dass es nicht nur um die Abschaltung von Kraftwerken geht, sondern auch um einen Strukturwandelprozess. Tausende Leute wollen jetzt natürlich wissen, wie es mit ihnen weitergeht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eben! – Genau!)

– Ja, regen Sie sich nicht so auf. – Mit Ihnen geht es überhaupt gar nicht weiter, weil Sie einfach nur den Schlüssel rumdrehen wollen, und dann ist das für Sie erledigt. Für uns ist das damit noch lange nicht erledigt.

Ich sage es noch einmal zur Erläuterung: Im Moment werden die Eckpunkte erarbeitet. Das Eckpunktepapier befindet sich in der Ressortabstimmung; das wird durch das Kabinett gehen. Wenn der Kabinettsbeschluss vorliegt, wird daraus ein Gesetzentwurf entwickelt. Darin wird sich die Umsetzung des Kommissionsberichts abbilden. – Also, lieber einmal zuhören, bevor man solche halbgaren Zwischenfragen stellt, und, wie gesagt, nicht ablenken davon, dass Sie die Menschen überhaupt nicht im Blick haben. Ihnen geht es um etwas anderes. Früher hieß das „Tonnen-Ideologie“; das kennen wir noch aus DDR-Zeiten. Die hatten das Gleiche drauf wie Sie:

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unverschämtheit, was Sie hier von sich geben! Peinlich!)

Da wurde nur in Tonnen gerechnet, und Pläne mussten erfüllt werden. Um die Leute ging es damals nicht. Um die Leute, um die Menschen in den Regionen geht es bei Ihnen auch heute nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, wie unser Name ist? Bündnis 90! Teile von Ihnen waren damals in der Blockpartei!)

Wenn man den Gesetzentwurf weiterliest, wird es noch viel schlimmer. Herr Hofreiter, Sie stellen sich direkt in die Linie von Herrn Kühnert. Herr Kühnert will nun Konzerne aus dem Bereich der Wohnungswirtschaft enteignen,

(Timon Gremmels [SPD]: Vorsicht! Dünnes Eis, Herr Lämmel!)

und die Grünen haben jetzt ein Hauptkampffeld, nämlich die Enteignung von Energiekonzernen. Konzerne wie RWE sind ja Ihre Feindbilder. Ich will Ihnen bloß einmal Folgendes sagen: Wenn RWE wirtschaftlich in Turbulenzen gerät, weil Sie entschädigungslos sozusagen den Schlüssel umdrehen wollen, dann enteignen Sie damit erst einmal Kommunen – Sie wissen, dass es dabei um große kommunale Vermögen geht; denn zum Beispiel die Städte Dortmund und Essen sind Großaktionäre bei RWE –, und Sie enteignen Tausende Kleinaktionäre, die in RWE investiert haben, möglicherweise als Alterssicherung.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist selbst für Sie zu einfach!)

Das ist Ihre Politik: Sie enteignen den kleinen Mann doppelt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dass Sie von den Grünen sich auf diese Linie begeben, das finde ich schon ziemlich abgefahren; das muss ich ehrlicherweise sagen. Das hätte ich von Ihnen nie erwartet.

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin?

Ja, gern, immer. Sie können dabei ja nur schlechter abschneiden.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Lämmel, meine erste Frage: Haben Sie schon mal was davon gehört, dass Anlagen, auch Kohlekraftwerke, wie zum Beispiel das in Bremen-Farge oder in Niederaußem, nach einem bestimmten Zeitpunkt abgeschrieben sind und die vom Grundgesetz vorgesehene Entschädigungspflicht im Falle von Enteignung dann nicht mehr zieht? Sie können das in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachlesen.

Zweite Frage. Sie haben von der Enteignung von Aktionären gesprochen. Ich habe mir mal die letzten Tage aus anderem Anlass den Aktienkurs von RWE über die letzten 15 Jahre angesehen. Der Wert der Aktien hat sich mehr als halbiert. Können Sie mal beantworten, wer die Städte und Kommunen, BlackRock, die Kleinsparer, die Sie erwähnt haben, um mehr als die Hälfte ihres Vermögens enteignet hat? Wer trägt dafür die Verantwortung? Das sollten Sie sagen, bevor Sie dabei auf die Grünen verweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Erstens. Die Verantwortung – das haben Sie gerade selbst richtig festgestellt – tragen zur Hälfte die Politiker – das sind meistens Sie gewesen –,

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die mit ihrer Politik sozusagen stückweise die Industrie in Deutschland, vor allen Dingen auch die energieintensive Industrie, aus dem Lande treiben. Zum Glück sind wir noch da. Deshalb können Sie nirgendwo allein regieren; das ist auch gut so.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Natürlich gibt es abgeschriebene Kraftwerke; das ist ja gar keine Frage. Sie sprachen gerade von der Steinkohle. In Ihrem Gesetzentwurf geht es jedoch nicht nur um die Steinkohle, sondern auch um die Braunkohle. Schauen Sie sich mal die Altersstruktur der Braunkohlekraftwerke an.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich gerade gesagt!)

Sie differenzieren an dieser Stelle in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht. Also, wenn Sie da Unterschiede machen wollen, dann müssen Sie diese auch darstellen und nicht alles pauschal betrachten.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gerade gesagt! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bleibe dabei: Ihr Gesetzentwurf ist der Weg in die nächste Enteignung. Ich kann nur davor warnen; denn dann sind wir nicht mehr so weit weg vom VEB Energiekombinat. Das mögen Sie vielleicht, aber ich nicht.

(Beifall des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU])

Ich habe das nämlich alles live erlebt, wissen Sie. Ich habe keine Lust, das noch einmal hinter mich zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie haben ja auf die Gewerkschaft verwiesen. Natürlich ist die Gewerkschaft genauso unruhig, weil sie natürlich weiß, dass die Kohlekumpel und ihre Familienangehörigen, die in der Region von der Energie- und Kohlewirtschaft leben, wissen wollen, wo es langgeht. Aber sie wollen nicht hören: Abschalten! Zumachen! Schluss! Vielmehr wollen sie wissen: Was ist denn die Zukunftsperspektive? Genau das machen wir im Moment – ich kann es nur wiederholen; das ist der Unterschied zwischen uns, zwischen der Regierungskoalition und den Grünen –: Wir machen uns Gedanken, wie eine Region ohne Energiewirtschaft oder mit einer anderen Energiewirtschaft leben kann. Sie aber denken nur darüber nach, wie viel Tonnen CO 2 man endlich einsparen kann.

Eine Sache ist reine Augenwischerei. Sie wissen doch ganz genau: Selbst wenn wir in Deutschland über Nacht alle Kohlekraftwerke abschalten würden, würde sich am Weltklima gar nichts ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])

Es sind ja nur 0,2 Prozent CO 2 -Emissionen, die die deutsche Energiewirtschaft erbringt, meine Damen und Herren. Es gibt da doch so eine Redensart, wenn ich mich recht erinnere: Was stört es uns, wenn in China ein Sack Reis umfällt? So ist das auch mit der deutschen Kraftwerkswirtschaft mit Blick auf das Weltklima. Genau deswegen folgen unsere Nachbarländer dem deutschen Weg eben nicht.

Meine Damen und Herren, Sie sollten Ihren Gesetzentwurf besser zurückziehen, bevor wir damit noch mehr Zeit verschwenden. Sie sollten lieber darauf warten, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung hier eingebracht wird. Es lohnt sich viel mehr, darüber zu diskutieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kollege Karsten Hilse ist der nächste Redner für die AfD.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7352883
Wahlperiode 19
Sitzung 98
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