10.05.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 99 / Zusatzpunkt 15

Sonja SteffenSPD - Rückabwicklung von Finanzhilfen für Griechenland

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Vielen Dank für die freundliche Begrüßung, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Als ich vorhin einen Blick auf die Rednerliste geworfen habe, habe ich sehr traurig feststellen müssen, dass ich die einzige Frau bin, die heute zu diesem Thema redet.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Oah!)

Das ist für mich ein Anlass, noch einmal dafür zu werben, dass wir dringend ein Parité-Gesetz brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Was?)

Aber nun zum Antrag. Es liegt uns wieder einmal ein Antrag vor, mit dem die AfD, unsere Rechtsaußenfraktion im Deutschen Bundestag, die Europäische Union spalten will. Aber ich freue mich, dass Sie sich immerhin meine Kritik zu Herzen genommen haben und nicht wieder, wie letzte Sitzungswoche zu Target2, einen alten Antrag aus der Mottenkiste holen, sondern sich etwas Neues einfallen lassen. Aber das heißt leider nicht, dass es damit besser wird – im Gegenteil.

Worum geht es? Das haben wir schon gehört: Sie fordern mit Ihrem Antrag die Rückabwicklung der Finanzhilfen für Griechenland. Sie fordern also, dass Griechenland 15 Milliarden Euro an den ESM zurückzahlt, also die 15 Milliarden Euro, die im August 2018 überwiesen wurden. Warum fordern Sie das? Weil Sie unterstellen, dass die Griechen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Übrigens: Herr Kollege Fricke hat das auch gemacht. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich die Sichtweisen sein können. Ich möchte in meiner Rede mit den Vorurteilen, die Sie in dem Antrag zur Geltung bringen, mit Ihrer Arroganz, mit Ihrer Überheblichkeit und vor allem mit den falschen Begründungen, die Sie hier liefern, einmal aufräumen.

(Martin Reichardt [AfD]: Aufräumen ist immer gut!)

Sie reden in Ihrem Antrag vom Fehlschlag diverser Rettungspakete. Was für ein marktschreierischer Unsinn! Denn die Wirklichkeit sieht völlig anders aus. Herr Boehringer – wo ist er? da ist er noch –, ich und auch Herr Kindler kommen gerade aus dem Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union. Dort hatten wir ein Gespräch mit Herrn Regling. Sie haben schon darauf hingewiesen. Herr Regling ist der Geschäftsführer des ESM

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Frühere!)

und immerhin der Vorstandsvorsitzende der EFSF.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Donnerwetter!)

Ich frage mich, ob Sie über ein gutes Gehör verfügen oder ob Sie vielleicht Ihren Zwillingsbruder geschickt haben. Vielleicht lag es aber auch an einer mentalen Abwesenheit. Herr Regling hat uns gerade bestätigt, dass Irland, Spanien, Zypern und Portugal sich als wahre Erfolgsmodelle nach der Hilfe durch die EU erwiesen haben.

(Marc Bernhard [AfD]: Dann können sie ja die Kredite zurückzahlen!)

Auch Griechenland hat nach den Worten von Herrn Regling große Fortschritte gemacht. Es werden momentan in Griechenland so viele Jobs geschaffen wie seit 20 Jahren nicht. Meine Herren und Dame von der AfD, auch Sie sollten doch verstehen, wie wichtig das in Bezug auf die dortige Arbeitslosigkeit ist. Auch hier gibt es neue Zahlen von Herrn Regling.

(Martin Reichardt [AfD]: Die jungen Damen da hinten hören Ihnen nicht mal zu! Die spielen am Handy!)

Mein Kollege aus der Union, Eckhardt Rehberg, hat sie gerade wiederholt. Die Arbeitslosigkeit in Griechenland ist um 10 Prozentpunkte seit der Krise gesunken.

(Marc Bernhard [AfD]: Wie viel? Real?)

Das ist ein gutes Zeichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Wachstumsprognosen für Griechenland hat die EU-Kommission auf 2,2 Prozent für dieses Jahr festgelegt. Griechische Exporteure gewinnen weltweit Marktanteile.

(Lachen des Abg. Marc Bernhard [AfD])

Der Primärüberschuss im Haushalt der Griechen beträgt schon zum dritten Mal in Folge 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Davon schreiben Sie nichts in Ihrem Antrag. Stattdessen schreiben Sie, dass Griechenland in den Jahren 2019 bis 2022 das dazu vereinbarte Globalziel von jährlich mindestens 3,5 Prozent des BIP nicht einhalten wird. Da frage ich mich: Woher nehmen Sie diese Zahl? Haben Sie eine Glaskugel in Ihrer Fraktion, wo draufsteht: „AfD, ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“? Ich weiß es nicht, jedenfalls haben Sie nicht in die Nachprogrammüberprüfung geschaut, auf die Sie sich in Ihrem Antrag ja beziehen. Vielen Dank an Bettina Hagedorn! Sie hat uns diese Nachprogrammüberprüfung zukommen lassen. Sie könnten das schon auf Seite 4 lesen. Dort steht: In Bezug auf den Staatshaushalt dürfte Griechenland zum dritten Mal in Folge das Primärüberschussziel von 3,5 Prozent des BIP im Jahr 2018 übertroffen haben. – Davon schreiben Sie in Ihrem Antrag nichts.

Frau Steffen, erlauben Sie – –

Ich habe schon gesehen, dass sich Herr Fricke gemeldet hat.

Er kann sich schon melden, aber Sie müssen sagen, ob Sie eine Frage zulassen.

Ja.

Gut.

Frau Kollegin Steffen, weil Sie auf die 3,5 Prozent Primärüberschuss, also unter Nichtberücksichtigung der Zinsen, für Griechenland, hingewiesen haben und wir beide wahrscheinlich der Meinung sind, dass das das Ziel ist, was für uns immer die Orientierung war, nämlich zu helfen, freizugeben: Kann ich davon ausgehen, dass in dem Moment, wo Griechenland erklären würde, es fühle sich an die 3,5 Prozent nicht mehr gebunden, sondern mache nur noch 3,0 Prozent, 2,5 Prozent, 2,0 Prozent, auch die Sozialdemokratie sagen wird: „Das ist das Ende von dem, was an Zusagen möglich ist“? Oder sagen Sie: Das ist uns egal? Es wird in den nächsten Wochen – es gibt in Griechenland Wahlen – sicherlich Versuche geben. Und dann muss nach unserer Meinung jedenfalls – ich glaube, da sind wir uns einig – gehandelt werden. Die konkrete Frage: Wenn Griechenland selbst erklärt: „3,5 Prozent interessiert uns nicht mehr“, ist das dann der Punkt, an dem Sie sagen: „Jetzt geht es nicht mehr“?

Diese Frage kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten. Ich weiß, dass es entsprechende Überlegungen gibt, auch von Griechenland, im Hinblick auf das derzeitige Wachstum. Insofern meine ich, wird man darüber reden müssen. Aber es wäre, glaube ich, anmaßend von mir,

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja!)

mich hierhinzustellen und zu sagen: Meine Fraktion wird dem auf jeden Fall zustimmen.

(Peter Boehringer [AfD]: Hört! Hört! – Jürgen Braun [AfD]: Ah ja!)

Meine Herren und Dame von der AfD, die positive Entwicklung Griechenlands passt schlicht nicht in Ihr Bild und widerspricht Ihrer Absicht, die EU und den Euro zu zerstören. Sie wollen mit Ihrem Antrag das Zerrbild vom faulen Griechen, der nicht liefert, krampfhaft aufrechterhalten. Aber wir wissen: Die Griechen waren nie per se faul. Das Land ist nie gescheitert. Natürlich haben die Griechen in den vergangenen Jahren viele Dinge reformiert. Sonst hätten sie manche Kredittranche aus der EU gar nicht erhalten.

Wissen Sie was? Zum Glück ist die Zeit der Daumenschrauben vorbei, die Zeit, in der Reformen mit heillosem Kürzen von Renten und Geldern für Krankenhäuser verwechselt wurden. Und – auch das hat übrigens Herr Regling vorhin bestätigt –: In dieser Zeit sind auch seitens der EU Fehler in Bezug auf Griechenland gemacht worden.

(Zuruf von der LINKEN: Aha!)

Wenn Griechenlands Wirtschaft aktuell wieder wächst, dann liegt das auch daran, dass das Land inzwischen wieder politische Freiräume hat und die Regierung in Athen seither gerade nicht mehr so heillos kürzt. Übrigens, was Herr Tsipras jetzt an Wahlversprechen gibt: Ich glaube, jeder hier im Bundestag weiß, dass vor der Wahl nie nach der Wahl ist.

(Zuruf von der LINKEN: Für die SPD gilt das!)

Wir sollten einfach mal abwarten, wie sich das entwickelt.

Ich möchte noch etwas zu Zinsgewinnen sagen. Vielleicht schaffe ich es noch in meiner Redezeit. Sie haben gefordert, dass die Zinsvergünstigungen zurückgenommen werden. Was Sie aber nicht erwähnt haben, ist, dass die Zinsgewinne der EU-Staaten, die wir auch bei den griechischen Anleihenankäufen haben, auch in Deutschland, zurückgezahlt werden – in Abhängigkeit von der Erfüllung der vereinbarten Reformmaßnahmen. Wir haben eine Tranche ausgezahlt. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses werden sich erinnern: 644 Millionen Euro. Die restlichen sieben Tranchen in Höhe von 644 Millionen Euro werden davon abhängig gemacht, ob alle Reformziele erreicht wurden.

(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])

Übrigens, nach dem Bericht, der uns zugeleitet wurde, sind lediglich 4 von 16 vereinbarten Reformmaßnahmen bislang nicht ergriffen worden.

Insofern hat Ihr Antrag noch ein Gutes: Wir können darüber reden, dass Griechenland, aber auch Spanien, Portugal, Zypern und Irland sich gut entwickelt haben. Auch für Griechenland besteht Optimismus, dass es in eine gute Richtung geht. Aber das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, würde zu einem Scheitern der EU und zu einer kollektiven Rezession führen. Ich behaupte mal: Das wissen Sie auch. Es geht Ihnen nur darum, auf billigste Art und Weise und mit wissentlichen Fehlinformationen Angst und Zwiespalt zu verbreiten. Es geht Ihnen nur darum, Stimmen zu fangen, und dabei ist Ihnen wirklich jedes Mittel recht.

Redezeit, bitte.

Beschämend und dumm. Gut, dass unsere Wählerinnen und Wähler nicht auf Ihre billigen Tricks hereinfallen werden!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: 5 Prozent schaffen Sie!)

Vielen Dank, Frau Steffen. – Nächster Redner: Michael Leutert für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7353156
Wahlperiode 19
Sitzung 99
Tagesordnungspunkt Rückabwicklung von Finanzhilfen für Griechenland
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