Rita Schwarzelühr-Sutter - Aktuelle Stunde zum globalen Report zur Artenvielfalt
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich ist es gut, dass wir dieses existenzielle Thema heute hier behandeln und dass es die Aufmerksamkeit bekommt, die es dringend braucht und auch verdient. Zynismus ist hier völlig fehl am Platz, weil er überhaupt nicht dem Ernst der Lage entspricht.
(Karsten Hilse [AfD]: Scheinheiligkeit! Es geht um Scheinheiligkeit!)
Die anderen, Herr Hilse, lieben ihre Heimat genauso.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so wie die AfD!)
Das lassen wir andere hier im Parlament uns gar nicht absprechen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Lachen bei der AfD)
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist eine ebenso große Herausforderung wie der Klimawandel. Der Bericht beschreibt ganz deutlich, wie der Zustand in der Natur bei uns und weltweit ist. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass es ohne Forschung und ohne internationalen Austausch nicht geht. Bloße Phrasen und das in irgendwelche Ideologieschubladen stecken zu wollen, ist einfach nicht angebracht und völlig fehl am Platz.
(Beifall bei der SPD)
Es diskreditiert auch die Arbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich drei Jahre intensiv damit auseinandergesetzt und daran geforscht haben. Ich kann Ihnen sagen: Die Bundesregierung ist durchaus stolz darauf. Wir sind froh, dass wir den IPBES, den Weltbiodiversitätsrat, unterstützt haben und es auch ermöglicht haben, dass dieser Bericht erstellt wurde.
Wer diesen Bericht aufmerksam gelesen hat, weiß, wie erschreckend die Zahlen beim Rückgang der Arten sind. Es ist ein Alarmzeichen. Dass wir jetzt darüber diskutieren, macht noch einmal klar: Es geht um unsere Lebensgrundlagen. Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen. Damit will ich noch einmal sagen: Das zerstört nicht nur den Lebensraum der Arten, der Tiere und Pflanzen, es zerstört unseren eigenen Lebensraum. Deswegen ist es wichtig, dass wir nach Lösungen suchen – dafür müssen wir uns einsetzen –, wie wir das verhindern, wie wir den dramatischen Verlust der biologischen Vielfalt verhindern und stoppen können.
Der Bericht stellt ganz klar fünf Haupttreiber in den Mittelpunkt.
An erster Stelle sind das Nutzungsänderungen an Land und im Meer. Wir verlieren tropischen Regenwald für landwirtschaftliche Flächen, natürlich in Form intensiver Landwirtschaft. Frau Skudelny, Sie machen hier ein Fass auf, wenn Sie sagen, wir verbrauchen hier Fläche für Windanlagen und importieren – Sie haben es auch beschrieben – von Regenwaldländern. Wir sind aber auch – das muss man dazusagen – Hauptexporteure bei manchen Nahrungsmitteln, wie zum Beispiel Schweinefleisch. Deswegen haben wir eine intensive Landwirtschaft.
(Judith Skudelny [FDP]: Unsere Bilanz ist ausgeglichen? Das behaupten Sie ernsthaft?)
Wenn wir über Landwirtschaft diskutieren, muss man nicht nur A, sondern auch B sagen und es im gesamten Zusammenhang sehen;
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und dann reden wir über eine nachhaltige Landwirtschaft.
(Beifall bei der SPD)
Ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns darüber intensiv austauschen.
(Judith Skudelny [FDP]: Lesen Sie mal den Bericht, dann verstehen Sie mich besser, und dann korrigieren Sie sich bitte!)
Es wird nun immer davon gesprochen, dass es die Windkraftanlagen sind.
(Judith Skudelny [FDP]: Stromtrassen und Infrastruktur!)
Man weiß, was dann, wenn die FDP an der Regierung ist, kommt. Dann legt man als Abstandsfläche nicht 500 Meter oder 1 000 Meter fest, nein, dann legt man 1 500 Meter wie in Nordrhein-Westfalen fest. Obwohl es dort ein großes Potenzial gibt, regt man sich auf und sagt: Die Windkraftanlage ist der Killer der biologischen Vielfalt.
(Judith Skudelny [FDP]: Wir reden von Flächenversiegelung!)
Sie machen hier ein großes Getöse und machen Nebenkriegsschauplätze auf. Kehren Sie erst einmal vor Ihrer eigenen Tür.
(Beifall bei der SPD)
Ich komme zum zweiten Haupttreiber: das Abholzen von Wäldern und die Überfischung. Natürlich ist das eine Bedrohung für Pflanzen- und Tierarten.
Dritter Haupttreiber ist der Klimawandel, weil der Anstieg der Temperaturen den Arten ganz deutlich zu schaffen macht. Schauen wir uns nur mal die Korallen an: Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad bleiben nur noch 10 bis 30 Prozent des Vorkommens bestehen, und bei einer Erwärmung um 2 Grad wäre es weniger als 1 Prozent. Man muss die Korallen nicht nur deswegen erhalten, weil man sie vielleicht mal beim Tauchen angucken will. Vielmehr sind die Korallen die Geburtsstuben der Fische. Deswegen sind sie elementar. Um ihren Schutz voranzubringen, arbeiten wir mit dem BMZ bei der Internationalen Klimaschutzinitiative zusammen. Sie bezieht sich auch auf den Bereich der Mangrovenwälder; auch hier wollen wir Kapazitäten bilden, weil es um die Existenz der Menschen vor Ort geht.
Viertens: Abfallprodukte. Viele unserer Konsumgüter landen in der Natur: Plastikmüll, Schwermetalle, Pestizide und Düngemittel. Hier zeigt sich auch, wie wichtig die Leistungen der Ökosysteme sind. Sie filtern Schadstoffe und sorgen unter anderem dafür, dass wir Menschen sauberes Trinkwasser haben. Umso wichtiger ist es, die Ökosysteme zu schützen.
Fünftens. Globale Transportwege und zunehmender Tourismus zerstören natürlich auch Lebensräume, und sie haben einen weiteren unerwünschten Nebeneffekt: Invasive, gebietsfremde Arten breiten sich aus – mein Kollege Klaus-Peter Schulze hat es anhand des Beispiels des Waschbären deutlich gemacht – und verdrängen heimische Flora und Fauna. Natürlich haben wir auch das im Fokus.
Wie beim Klimaschutz gilt: Noch haben wir das Steuer in der Hand, noch können wir umsteuern. Wir müssen es nur jetzt tun, und wir tun es auch. Wir haben die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt, wir haben das Blaue Band und das Grüne Band, und wir haben das Nationale Naturerbe.
Ich möchte jetzt noch auf drei Projekte eingehen, die für uns ganz wichtig sind, die im Koalitionsvertrag stehen und die wir auch abarbeiten:
Erstens. Wir brauchen ein größeres und effektiv gemanagtes Netz an Schutzgebieten. Zum Beispiel fördert die Bundesregierung schon das Grüne Band und das Blaue Band – ich habe es eben schon erwähnt. Das reicht aber noch nicht aus. Wir wollen erreichen, dass die Lücken geschlossen werden und die vorhandenen Schutzgebiete ihren Aufgaben gerecht werden, unter anderem mit einem gemeinsam mit den Ländern getragenen Nationalen Aktionsplan Schutzgebiete. Wir wollen die Schutzgebiete noch besser managen und zum Beispiel den Einsatz von Pestiziden in besonders schutzbedürftigen Bereichen, also Natur- und Wasserschutzgebieten, grundsätzlich beenden.
Zweitens: Insektenschutz. Das Thema der Bestäuber ist in aller Munde. Ich finde es eigentlich schon ziemlich bezeichnend, wenn man als größte Oppositionsfraktion über 1,8 Millionen Menschen aus Bayern hinweggeht, die die Dringlichkeit des Insektenschutzes erkannt haben. Es wird nicht nur Greta diskriminiert, sondern es werden auch diejenigen in die Ecke gestellt, die sich für Insektenschutz einsetzen. Das gehört sich einfach nicht. Das ist in dieser Situation nicht angebracht. Die Initiative aus Bayern gibt uns Rückenwind für die Vorschläge des Bundesumweltministeriums hinsichtlich eines Aktionsprogramms Insektenschutz. Wir haben es auf den Tisch gelegt. Der IPBES-Bericht bestärkt uns. Jetzt geht es darum, zu handeln und es mutig und schnell umzusetzen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU])
Drittens geht es um die Agrarförderung. Im Bericht des IPBES-Beirats ist immer wieder von schädlichen Subventionen die Rede. Gleichzeitig tragen wir natürlich durch die Ausgestaltung der EU-Agrarförderung mit dazu bei, wie sich die Landwirtschaft weiterentwickelt. Deswegen ist es wichtig, dass wir, wenn wir die GAP weiterentwickeln, bei dem ansetzen, was im IPBES-Bericht steht, und dies auch in der zukünftigen Finanzierung seinen Niederschlag findet.
Es ist klar: Dem IPBES-Bericht muss politisches Handeln folgen, und zwar schnell. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wir haben das im Koalitionsvertrag festgehalten. Wir sind aber auch international gefordert: bei den Themen Wilderei und illegaler Artenhandel, beim Schutz der Weltmeere, im Bereich Abfall und beim Chemikalienhandel.
Ich habe heute der Presse entnommen – man kann sich manchmal gar nicht vorstellen, was es alles gibt –, dass jemand im Ortenaukreis mehrere streng geschützte Orchideenarten ausgegraben hat. Das hat zu einem immensen Schaden geführt, weil man sie nicht so schnell rekultivieren kann. Solche Nachrichten müssen dazu führen, dass man sich dessen bewusst wird, dass man die Arten tatsächlich schützen muss, nicht nur im Ausland, sondern auch bei uns. Das ist kein Kavaliersdelikt.
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir gemeinsam ein ambitioniertes Rahmenwerk für die Weltbiodiversitätskonferenz in China entwickeln. Die Chancen stehen gut. Deswegen wünsche ich mir, dass wir in den nächsten Wochen tatsächlich Themen wie den Insektenschutz voranbringen. Der Sommer steht an. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt an der Bundesregierung, ob das passiert!)
– Wir haben den Wecker schon lange gehört, wir sind schon lange aufgestanden, Frau Lemke.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])
Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7353426 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 99 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zum globalen Report zur Artenvielfalt |