Rainer SpieringSPD - Aktuelle Stunde zum globalen Report zur Artenvielfalt
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren und vor allen Dingen die vielen jungen und älteren Menschen, die uns heute hier zuhören! Bei mir zu Hause würde man sagen: Jetzt haben wir den Salat. – Die Wissenschaft hat belegt: Es gibt ein massives Artensterben mit absolut unabsehbaren Konsequenzen. Wir haben heute mehrere Interpretationen dazu gehört. Ich habe mich in meinen Überlegungen von zwei Bildern leiten lassen:
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt zeigt auf seiner Homepage die Darstellung des Waldsterbens auf der Welt im Zeitraffer. Ich muss sagen, das hat mich schon sehr erschrocken gemacht. Es ist jetzt dokumentiert, was in den letzten 50 Jahren an Wald verloren gegangen ist. Über TanDEM-X kann man, da alle vier Tage ein neues Bild aufgenommen wird, zwischen riesigen grünen Dächern unglaublich große Lücken sehen.
Weil Kees de Vries und Hermann Färber, die in meinem Alter sind, hier sitzen, will ich sagen: Seit ein paar Monaten bin ich glücklicher Großvater. Deshalb geht mein Blick natürlich auch ins 22. Jahrhundert, und ich kann Ihnen sagen: So ganz optimistisch bin ich nicht, was die Zukunft angeht. Der uns vorgelegte Bericht muss uns zumindest wachrütteln. Dieses Land hat sich im letzten Jahrhundert sozusagen redlich bemüht, sehr viele Menschen in eine andere Welt zu befördern, aber das, was wir jetzt tun, ist womöglich noch gefährlicher. Das macht mich sehr betroffen.
Als ich einmal vor 30 Jahren in dieses Land eingeflogen bin, habe ich vom Flugzeug aus 250 unterschiedliche Felder mit Wiesenstreifen dazwischen, mit Ackerrandstreifen, mit Blühstreifen und mit Hecken gesehen. Wenn ich heute einfliege – das war gerade erst wieder der Fall –, dann sehe ich 20 Felder mit Monokulturen. Das zeigt die Problematik, der wir uns stellen müssen. Ich glaube nicht, dass wir mit einem Stakkato an Vorwürfen, lieber Harald Ebner, einer Lösung näherkommen.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, mit Regierungshandeln!)
Vielmehr müssen wir uns dem zuwenden, was wir tun können.
Ich möchte aber den guten Hinweis, den Harald gegeben hat, aufnehmen. Wir verfügen über wirklich gute Wissenschaftler. Wir sollten uns alle hier gegenseitig versprechen, dass wir die Ergebnisse der Wissenschaftler ernst nehmen. Ich habe in dieser Woche ein langes Gespräch mit Professor Taube geführt. Nun ist er nicht unumstritten, aber fachlich anerkannt. Wir haben die Energiewende gehabt, und was wir jetzt dringend brauchen – das ist mein Anliegen –, ist eine Agrarwende, und zwar eine vorurteilsfreie Agrarwende. Professor Taube kann sehr gut belegen, dass die Maximalsteigerungen von Erträgen in den letzten 20 Jahren zu keinem Erfolg geführt haben. Trotz starker Düngung und trotz starker Einbringung von N und P, also von Stickstoff und Phosphor, ist der Ertrag nicht gestiegen. Das sollte uns dazu bringen, uns zu überlegen, ob die Maximalsteigerung auf Dauer von Erfolg gekrönt ist.
Hermann Färber hat die Situation, was unseren Wirtschaftsstandort angeht, ganz gut beschrieben. Wahr ist, dass wir in vielen Bereichen Exportweltmeister sind, auch in der Landwirtschaft. Wir sind weltweit der drittgrößte Exporteur von Lebensmitteln. In Argentinien und Brasilien werden Regenwälder abgeholzt und wird Soja angepflanzt. Wir importieren es und erzeugen zumindest – das kann ich für meinen Bereich sagen – Unmengen Gülle. Der Bereich Weser-Ems produziert 3 Millionen Tonnen mehr Gülle als er selber verkraften kann. Dem müssen wir uns wirklich mal stellen.
Wenn wir uns dem stellen wollen, dann brauchen wir Agrarfördersysteme – das ist hier heute mehrfach angesprochen worden –, die dieser Forderung gerecht werden. Das heißt, wir müssen Maximalbewertungen und Maximalertragssteigerungen in Korrelation zur Nachhaltigkeit und zum Ökosystem setzen. Das müssen wir neu bewerten; das kann man. Wenn man die Gelder dafür haben will, dann muss man die GAP-Mittel umschichten. Ich glaube, das ist eine der ganz großen Aufgaben, die wir haben.
Die nächste große Aufgabe ist ein Faktencheck. Das, was Hermann hier eben angesprochen hat, nämlich dass Daten nicht durchgeleitet werden, ist wahr. Die deutschen Düngebehörden können aufgrund bestimmter Datenvorgaben die Daten, die sie hinsichtlich der Aufnahme von Düngemitteln erfassen, nicht an die Emissionsschutzbehörden weiterleiten. Was ist das für ein Irrsinn? Das heißt, die Behörden, die überwachen müssen, haben keinen Zugriff auf Daten, die vorhanden sind. Das Allertollste ist: In Brüssel sind sie vorhanden, und deswegen haben wir Schwierigkeiten mit unserer Düngeverordnung, weil man in Brüssel tatsächlich besser bewerten kann, was wir hier tun, als wir das hier selber können. Neben der Veränderung bei der GAP müssen wir also einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung legen und einen Faktencheck durchführen. Die Daten müssen auf den Tisch gebracht werden.
Wenn wir die Daten haben, können wir reagieren. Dann müssen wir zusammen mit der Wissenschaft dafür sorgen, dass wir einen Teil des Verlustes, den wir bis jetzt erlitten haben, wieder geradebiegen. Das ist meine große Forderung an dieses Parlament: Nutzen wir die hervorragende deutsche Wissenschaft, nutzen wir die Kreativität der Landwirtschaft, und bringen wir sie nicht weiter in Abhängigkeit von der Agrarindustrie und vom unseligen Einfluss des Deutschen Bauernverbandes. Dazu wünsche ich uns allen Glück.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat die Kollegin Sybille Benning für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7353436 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 99 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zum globalen Report zur Artenvielfalt |