Timon GremmelsSPD - Vereinbarte Debatte - 70 Jahre Grundgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als Kasseler Bundestagsabgeordneter hier gerne über die Kasseler Ehrenbürgerin Elisabeth Selbert und ihre Verdienste als eine der Mütter des Grundgesetzes sprechen. Sie war eine von vier Frauen und 65 Männern, die Mitglied des Parlamentarischen Rates waren. Ich glaube, behaupten zu können: Ohne Elisabeth Selbert sähe Artikel 3, Gleichheitsgrundsatz, heute anders aus. Es gab Bestrebungen im Parlamentarischen Rat, die Formulierung aus der Weimarer Reichsverfassung, die sich ausschließlich auf die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten von Mann und Frau beschränkte, in das Grundgesetz zu übernehmen. Aber es ging Elisabeth Selbert nicht nur um Rechte und Pflichten, sondern um Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen. Das war ihre Triebfeder, das war ihr Motto. Deswegen hat sie dafür gekämpft, dass das auch Teil des Grundgesetzes wird.
(Beifall der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU] und Linda Teuteberg [FDP])
Gleichberechtigung sollte als imperativer Auftrag an den Gesetzgeber in unsere Verfassung hineinkommen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU] und Linda Teuteberg [FDP])
Es war damals ein harter Kampf. Es gab mehrere Versuche im Parlamentarischen Rat, diese schlichte Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ ins Grundgesetz zu übernehmen. Das wurde von Männern und Frauen aller Parteien konterkariert. Ich glaube, auch die Männer der Sozialdemokratie waren nicht sofort davon überzeugt. Und dann hat Elisabeth Selbert etwas gemacht, was wir heute Networking nennen würden. Heute würden wir Facebook- oder Campact-Kampagnen oder andere Dinge nutzen; das alles gab es damals nicht im Dezember 1948/Januar 1949. Elisabeth Selbert hat über den Rundfunk, das Radio dafür geworben. Daraufhin gab es massenhaft Briefe und Schreiben an den Parlamentarischen Rat, und das war dann der Durchbruch. Denn natürlich haben auch die männlichen Abgeordneten gesehen, dass die Frauen Wählerpotenzial sind, und sich deshalb dafür eingesetzt, den schlichten und richtigen Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz zu schreiben.
(Beifall bei der SPD)
Artikel 3 – das war Elisabeth Selbert wichtig – sollte verfassungsrechtliche Manifestation und zugleich Anspruch und Motor sein – all das mit diesem schlichten Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Elisabeth Selbert persönlich wurde es nicht gedankt. Sie hatte sich später als Richterin am Bundesverfassungsgericht beworben und ist damit nicht durchgekommen. Sie war noch ein paar Jahre Landtagsabgeordnete in Hessen und dann bis zu ihrem 85. Lebensjahr Anwältin in Kassel, eine vielgeachtete Frau.
Wir feiern heute 70 Jahre Grundgesetz, aber auch 25 Jahre Gemeinsame Verfassungskommission. Diese hat Artikel 3 ergänzt, dass auch auf die Beseitigung bestehender Nachteile im Verhältnis von Männern und Frauen hingewirkt werden soll. Das ist wichtig, und das ist auch die Grundlage für die Frage der Parität. Das Ob steht im Grundgesetz, über das Wie können wir hier leidenschaftlich streiten. Aber Frauen und Männer müssen auch im Parlament gleichberechtigt vertreten sein.
Lassen Sie mich, Frau Präsidentin, zum Schluss sagen: Ich würde mir sehr wünschen, dass wir beim 80. Geburtstag unserer Verfassung hier im Deutschen Bunde stag vor einem Plenum reden, das sich gleichberechtigt aus Männern und Frauen zusammensetzt.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Mein Schlusszitat ist von Elisabeth Selbert:
In die Parlamente müssen die Frauen! Dort müssen sie durchsetzen, was ihnen zusteht!
In diesem Sinne: Alles Gute! Glück auf!
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das Wort hat der Abgeordnete Mario Mieruch.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7355824 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 101 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte - 70 Jahre Grundgesetz |