Helge LindhSPD - Vereinbarte Debatte - 70 Jahre Grundgesetz
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin stolz, ein bundesrepublikanischer Deutscher zu sein. Ich bekenne mich zu diesem Land. – Diese Sätze kann ich und können wir nur sprechen, weil es dieses Grundgesetz gibt und weil es uns mit ebendiesem Verfassungspatriotismus, der uns hoffentlich alle durchdringt und der keineswegs blutleer ist, versöhnt hat mit dieser Nation, auch mit ihrer Kultur, mit ihrer Sprache.
(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
Das ist gelungen mit einem einschließenden Patriotismus, der auf Basis der Menschenwürde gilt, ungeachtet dessen, ob ich nun Stephan heiße oder Mohammed oder Alice oder Rahel. Für alle ist dies gültig.
Neben der Versöhnung ist dieses Grundgesetz aber auch manchmal Grund für stille Wut, für stille Wut darüber, dass in diesem Moment auf vielen Plätzen dieser Erde die Ideen des Grundgesetzes mit Füßen getreten werden und dass dies – das müssen wir zugeben – auch manchmal, immer noch viel zu oft, in diesem Land geschieht. Dieses Grundgesetz – so bescheiden, wie es formuliert ist – war getragen von Vertrauen und Zutrauen. Wir alle müssen, glaube ich, zugeben, dass wir in diesem Land, das eines der besten und freisten und tolerantesten ist, gegenwärtig nicht alle frei sind von Angst und dass es uns manchmal an ebendiesem Vertrauen mangelt, das die Verfassungsmütter und -väter hatten. Wir müssen auch sehen, dass dieses Grundgesetz – das in einem radikalen Pathos der Nüchternheit formuliert war – von radikaler Menschlichkeit und von radikalem Mut getrieben war. Können wir wirklich sagen, dass wir heutzutage immer radikal menschlich und radikal mutig sind?
Deshalb will ich mit aller Deutlichkeit feststellen: Bei allen Unzulänglichkeiten, bei allen Fehlern, die wir auch korrigieren, bei allem, was uns nicht mehr gefällt: Die Entscheidung des Septembers 2015, getragen von der Koalition, von dieser Regierung, war keine solche – wie uns die AfD und andere glauben machen wollen –, die einen Verfassungsbruch darstellte, nein, sie war eine Form des Verfassungsschutzes. Und ich bin stolz darauf, dass die Regierung dieses Landes und das Volk dieses wunderbaren Landes damals diese Entscheidung getroffen haben. Ich finde, das sollten wir deutlicher und öfter ausdrücken.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn aber der so aufrechte Verteidiger dieses Grundgesetzes, unser Bundespräsident, hier in diesem Hause als extremistisch denunziert wird,
(Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist schlimm!)
wenn der sächsische Verfassungsschutz eine Demonstration unter dem Motto „Wir sind mehr“, zu deren Besuch der Bundespräsident zu Recht aufgerufen und auf die er zu Recht hingewiesen hat,
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau das ist gegen die Verfassung!)
als linksextremistisch brandmarkt, dann merken wir, dass das Grundgesetz dieses Landes viel stärker und besser ist als oft seine Schützer und Organe.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie sollten vom Verfassungsschutz beobachtet werden, Herr Lindh!)
Und wenn es so ist, dass unser Bundespräsident extremistisch sein sollte,
(Petr Bystron [AfD]: Das war er auch!)
und wenn dieses „Wir sind mehr“ extremistisch sein sollte, dann ist auch das Grundgesetz dieses Landes mit seinem radikalen Bekenntnis zu Menschenwürde, Menschenrechten und Demokratie extremistisch.
(Jürgen Braun [AfD]: Das sagen gerade Sie von der SPD!)
Und wenn das wahr sein sollte, dann sage ich in aller Deutlichkeit:
Kollege Lindh, auch i n dieser Debatte müssen Sie bitte auf mein Zeichen achten und jetzt einen Punkt setzen.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Als Liebhaber des Grundgesetzes bin ich im Land der Menschenwürde stolz, ein Extremist des Grundgesetzes zu sein.
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 19 |
Session | 101 |
Agenda Item | Vereinbarte Debatte - 70 Jahre Grundgesetz |