16.05.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 101 / Tagesordnungspunkt 11

Helge LindhSPD - Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir hier jetzt über die Frage des Verlustes von Staatsangehörigkeit sprechen und uns um Details streiten – dafür oder dawider – und manchmal auch erleben, dass eine eventuell zu weit gehende oder nicht weit genug gehende Position skandalisiert wird, vergessen wir allzu leicht, dass der eigentliche Skandal, warum wir hier überhaupt darüber reden, die Wirklichkeit ist. Das wurde mir spätestens im Jahr 2014 klar, als ich den ersten jungen Menschen aus dem Irak kennenlernte, der im Rahmen der sogenannten Flüchtlingskrise meine Stadt Wuppertal erreichte. Er ist Jeside, war früher Polizist und schilderte mir mit einer erschütternden Sachlichkeit, wie Teile seiner Familie von Daesh, IS, ermordet, versklavt, hingerichtet, verschleppt wurden. Seine Frau wagte es nicht einmal, ihre Wohnung in meiner Stadt zu verlassen, weil sie fürchtete, möglichen Tätern oder auch Täterinnen von damals wiederzubegegnen.

(Karsten Hilse [AfD]: Die Sie reingelassen haben!)

Es bereitete viel Mühe und brauchte viele Gespräche, um deutlich zu machen, dass mitnichten jeder Mensch muslimischen Glaubens in meiner Stadt eine potenzielle Gefahr darstellte.

Über diesen Hintergrund reden wir, über solche Erfahrungen, die Menschen, die in diesem Land als Geflüchtete leben, gemacht haben. Deshalb ist der Skandal nicht, dass wir Gesetze wie das vorliegende machen, sondern der Skandal ist, dass es überhaupt so etwas wie Daesh, wie IS gibt und dass wir uns mit einer solchen Wirklichkeit, die wir vor Jahren nicht für denkbar gehalten haben, auseinandersetzen müssen.

Daher ist das, was wir jetzt mit der Regelung des Verlustes der Staatsangehörigkeit – und zwar maßvoll – versuchen, eine Reaktion auf die Wirklichkeit, und so muss Gesetzgebung auch funktionieren. Sie ist gewiss nicht anlasslos, aber maßvoll. Es wurde bereits geschildert: Es gibt mit § 28 StAG schon die Grundlage, bezogen auf ausländische Staaten.

Im Zuge dieser – aus der Sicht meiner Fraktion richtigen – Entscheidung werden wir als Fraktionen im parlamentarischen Verfahren durch einen Änderungsantrag selbstverständlich auch noch den Ausschluss der Einbürgerung bei Mehr- und Vielehe normieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. René Röspel [SPD] – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Es hat ein bisschen gedauert!)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir machen dies alles heute, am vielzitierten Tag der Erinnerung des Grundgesetzes, fest auf dem Boden desselben. Und wir machen es uns eben nicht leicht und versuchen nicht, das Staatsangehörigkeitsrecht falsch zu instrumentalisieren. Deshalb sind Minderjährige von dieser Regelung auch ausgeschlossen; deshalb respektieren wir selbstverständlich das Rückwirkungsverbot, das es uns nun schwieriger macht, weil wir damit eben nicht diejenigen erreichen, die diese grausamen Taten in der Vergangenheit begangen haben. Aber es ist richtig so, dass wir das nicht tun und nicht tun können, weil wir uns an diese Verfassung halten und zu halten haben. Und wir achten auch ganz genau die Prinzipien der Verlässlichkeit sowie der Gleichberechtigung und Zugehörigkeit. Deshalb wird nur derjenige betroffen sein, der mit eigenen Handlungen dazu beitragen konnte, diesen Zustand zu vermeiden. Wer sich aber wissentlich an einer Terrormiliz beteiligt, der muss künftig auch die Konsequenz tragen können, als Doppelstaatler – und das ist ja eine sehr maßvolle Einschränkung – nicht mehr Bürger oder Bürgerin dieses Landes sein zu können. Ich formuliere es einmal ganz deutlich: Wenn Menschen zu dem beitragen, was ich eben geschildert habe, dann geht mein Mitgefühl mit ihnen, dass sie womöglich den Verlust ihrer Staatsangehörigkeit erleiden müssen, absolut gegen null.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann mich noch genau erinnern – das können wir uns nicht deutlich genug vor Augen führen, wenn wir hier darüber sprechen –, wie ich vor ein paar Wochen im Zimmer mit zwei Frauen saß,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

die mir nicht nur berichteten, dass sie selber durch IS-Täter – darunter auch Doppelstaatler mit deutscher Staatsangehörigkeit – serienvergewaltigt wurden, sondern auch, dass ihre elfjährige Schwester sechsmal verkauft, unzählige Male vergewaltigt wurde und niemand weiß, ob sie lebt und wo sie lebt.

Kollege Lindh, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Straetmanns?

Selbstverständlich, sehr gerne.

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade sehr schön ausgeführt, wie wichtig das Staatsangehörigkeitsrecht ist. Wir haben heute 70 Jahre Grundgesetz in der Debatte gewürdigt – ein wirklich wichtiges Datum. Ich komme zurück auf historische Erfahrungen mit der Entziehung der Staatsbürgerschaft. Wie sehen Sie es als Sozialdemokrat, dass es im Nazireich in der Tat Entziehung von Staatsbürgerschaften gab – ein prominentes Opfer war zum Beispiel ­Willy ­Brandt – und dass heute wieder über den Entzug von Staa tsangehörigkeitsrechten nachgedacht wird und Ihre Fraktion das mit vertritt?

Vielen Dank für die Frage. Ich kann sie Ihnen ganz einfach beantworten: Erstens ist es eine bewusste Schlussfolgerung unserer Verfassung, die sich ja bescheiden „Grundgesetz“ nennt und die wir in diesem Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen, dass niemand staatenlos wird. Das ist übrigens auch im europäischen Recht berücksichtigt und äußerst sinnvoll. Niemand wird durch diese Entscheidung staatenlos. Das ist eine klare Schlussfolgerung aus der Barbarei des Nationalsozialismus.

Ich sage Ihnen noch etwas: Ich halte es nicht für angemessen, jetzt mit Verweis auf den Nationalsozialismus diesen allzu einfach und wohlfeil zu instrumentalisieren, um diese richtige und maßvolle Entscheidung, die Staatsangehörigkeit in einer überschaubaren Zahl von Fällen – man rechnet mit einer niedrigen zweistelligen Zahl – zu entziehen, totzumachen. Ich halte das nicht für ein angemessenes Argument. Wir bewegen uns sehr wohl auf dem Boden des Grundgesetzes, und wir brauchen uns – das wage ich auch zu sagen – als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die unter dem NS-Terror unheimlich gelitten haben, nicht vorwerfen zu lassen, dass wir keine Lehren aus dem Nationalsozialismus gezogen hätten. Wir waren in erster Linie Kämpfer gegen den Nationalsozialismus.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir machen uns nichts vor: Der Entzug der Staatsangehörigkeit allein ist mitnichten die künftige Generalprävention von jeglicher Form von islamistischem Terrorismus. Aber wenn schon eine oder einer dadurch abgehalten würde, ist es aus meiner Sicht wert, diese Entscheidung zu treffen. Vielmehr ist es aber eine Gesamtleistung. Dazu gehört Repression und Konsequenz, und zwar mit aller Härte, und dazu gehört die vorliegende Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Dazu gehört aber auch umfassende Prävention; denn wir müssen uns auch einmal fragen, wie es sein kann, dass Doppelstaatler, die auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben, sich in die Situation begeben, dass sie eine solche Barbarei begehen. Diese Fragen müssen wir uns stellen.

Neben Prävention und Repression, die wir heute angehen, bedarf es auch politischer Bildung. Diese ist nicht auf Prävention zu reduzieren, sondern sie bedeutet letztlich, dass Menschen lernen, frei und demokratisch zu entscheiden. Je mehr vernünftige Demokratiebildung und gute politische Bildung wir haben, desto weniger groß ist die Gefahr, dass Menschen sich verführen lassen und sich dem IS oder vergleichbaren künftigen Terrormilizen anschließen. Dafür zu sorgen, ist unsere Aufgabe, und ich halte es für falsch, das eine gegen das andere auszuspielen. Wir müssen beides tun, und wir müssen es mit aller Konsequenz tun.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe bei Ihrem Beitrag vorhin und bei einigen Diskussionsbeiträgen im Vorfeld erlebt, dass man im Zuge dieser Debatte nun leider wieder versucht, das Gift der Instrumentalisierung zu verwenden. Ich rate dringend davon ab. Die hier vorgesehene Maßnahme, einer bestimmten Zahl von Bürgerinnen und Bürgern zukünftig die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, ist mitnichten ein Instrument, generell gegen Doppelstaatlichkeit und gegen mehrfache Staatsangehörigkeit vorzugehen. Das ist mit der Sozialdemokratie nicht machbar. Diese Vision, diese Alptraumvision, die zum Beispiel Sie von der AfD vorhin hier präsentiert haben, werden wir gewiss nicht mitgehen; denn wir begrüßen es, dass Menschen in diesem Land mehrere Staatsangehörigkeiten haben können.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es trifft nur die Mehrstaatler!)

Dies ist nicht das Problem, das wir haben. Das Problem ist, dass Menschen sich von der Werteordnung dieses Landes verabschieden, dass sie so weit gehen – und das ist ja einer der Hauptgründe dafür, dass wir diese Gesetzesänderung überhaupt vornehmen –, dass sie sich von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung fundamental verabschieden – dafür gibt es keine Entschuldigung –, und dass sie dies in einer Weise tun, die dem Grundgesetz, das heute so sehr beschworen wird, aber auch jeder Form von Mitgefühl und jeder Form von Respekt zwischen Menschen widerspricht.

Deshalb appelliere ich an Sie alle, in sich zu gehen und zu prüfen, ob Sie nicht diesen Weg, den die Koalition mit den beiden von mir genannten Schritten, dem Gesetzentwurf der Regierung und dem ergänzenden Änderungsantrag, heute einschlagen will, mitgehen können.

Es ist unsere Aufgabe, mit Gesetzgebung auf eine Wirklichkeit zu reagieren, die eben nicht von Humanität, sondern in zu viel Teilen dieser Welt von Barbarei geprägt ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, Menschen, die diese Republik und ihr Denken in jeder Hinsicht mit Füßen treten, noch mit der deutschen Staatsangehörigkeit zu belohnen. Deshalb ist das, was wir tun, nicht nur rechtlich geboten, sondern es ist auch moralisch aufrichtig. Wir werden es tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Wort hat die Kollegin Linda Teuteberg für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7355993
Wahlperiode 19
Sitzung 101
Tagesordnungspunkt Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
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