Detlef MüllerSPD - Vermeintliche Hetzjagden in Chemnitz
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass wir heute noch einmal über die erschütternden Vorfälle in meiner Heimatstadt sprechen, ist richtig. Warum? Weil die AfD eben hier ihr wahres Gesicht zeigt.
(Lachen bei der AfD)
Der AfD geht es nicht um Aufklärung. Es geht Ihnen um Wortklauberei;
(Jürgen Braun [AfD]: Es geht um Menschenleben, Herr Müller, Menschenleben, die Ihnen egal sind offenbar!)
denn es ist schlussendlich egal, ob es sich bei den Vorfällen am 26. und 27. August um „Hetzjagden“ handelte oder um „Jagdszenen“. Richtig ist, dass hier Menschen verfolgt und angegriffen wurden, verbal und körperlich
(Zurufe von der AfD)
– hören Sie doch erst mal zu –, aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer politischen Einstellung, ihrer Herkunft oder auch nur aufgrund ihrer Tätigkeit. Gewerkschafter, Linke, Ausländer, Journalisten und Polizisten wurden gejagt.
(Martin Reichardt [AfD]: Wie viel Prozent haben Sie eigentlich noch in Chemnitz? Zwei?)
Beispiele, und zwar nur für den 26. August:
Auf dem Johannisplatz befinden sich laut Augenzeugen mehrere junge Männer, mutmaßlich Migranten. Als der Demonstrationszug den Platz erreicht, kommt es zu Prügelszenen.
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Es wird geschlagen und getreten. Menschen gehen zu Boden. In einem Video ist festgehalten, dass sich Polizisten nähern und die Menge zurückdrängen. Es kommt zu Handgemengen. Mindestens ein Polizist geht zu Boden. Polizisten werden aus der Gruppe heraus mit Steinen und Flaschen beworfen.
Eine Auseinandersetzung beobachten Journalisten auf der Brückenstraße nach dem Abschluss dieser Demonstration. Dabei rennen drei bis vier Männer plötzlich weg. Verfolgt werden sie ebenfalls von drei oder vier Männern aus der Demonstration heraus, die anschließend wieder umkehren.
Eine Videoaufnahme einer Chemnitzer Sozialarbeiterin zeigt den Moment, in dem die Masse in Richtung Johannisplatz abbiegt. Die Stimmung ist aggressiv. Schimpfwörter sind zu hören. Die Frau wird attackiert. Ein Mann ruft: Hau hier ab! – Dann ist ein Polizist da. „ Es bringt nichts, wenn der Mob Sie angreift“, sagt er, und: Wir können hier für Ihre Sicherheit nicht garantieren.
Im Bereich Bahnhofstraße beobachten Journalisten eine Szene, bei der es erst eine verbale Auseinandersetzung zwischen einem jungen Mann und vier bis fünf Männern auf der anderen Seite gab. Anschließend rennt der junge Mann über die Bahnhofstraße Richtung Parkplatz an der Johanniskirche. Er wird ebenfalls verfolgt von vier bis fünf Männern, kann sich aber auf dem Parkplatz zwischen den Autos verstecken und dann flüchten.
(Zuruf von der AfD)
Ähnliches berichten junge Gewerkschafter, die über die Augustusburger Straße flüchteten, sich in Hauseingängen und in Innenhöfen verstecken mussten.
Menschenjagden, Hetzjagden, Jagdszenen – und das war nur der 26. August. Wenn ich mir den 27. August angucke: Angriff auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz. Weiteres geschah am 28. August oder auch am 1. September.
(Zuruf des Abg. Andreas Bleck [AfD])
Weil Herr Dr. Martens gerade gefragt hat, wo denn die AfD war: Am 1. September waren Sie da, und zwar in der ersten Reihe,
(Martin Reichardt [AfD]: Zum Glück glaubt Ihnen in Chemnitz niemand mehr! Das wird das nächste Wahlergebnis zeigen!)
gemeinsam mit Pegida und Pro Chemnitz: Bernd Höcke, Ihre Abgeordneten Otten, Müller, Oehme in der ersten Reihe, Schulter an Schulter mit Pro Chemnitz.
(Frank Müller-Rosentritt [FDP]: Widerlich!)
Pro Chemnitz wird übrigens vom sächsischen Verfassungsschutz klar als rechtsextrem bewertet. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Martin Reichardt [AfD]: Sie haben moralisch abgewirtschaftet!)
Die rein semantische Diskussion über das korrekte Wort ist sinnlos und nützt vor allem den Opfern gar nichts. Sie beziehen sich ja immer gern auf die „Freie Presse“. Die „Chemnitzer Tageszeitung“ hat genau auseinandergenommen, ob es nun „Hetzjagden“ oder „Jagdszenen“ waren. Aber es ist so wie immer bei der AfD: Sie lassen halt immer die Hälfte weg.
(Martin Reichardt [AfD]: Vielleicht lassen Sie die Hälfte weg und haben deshalb nur noch die Hälfte Ihrer Wähler!)
Deswegen bringe ich das Zitat aus der „Freien Presse“ vom 3. September 2018 noch einmal komplett:
Wir, die Redaktion der Freien Presse, haben uns bewusst entschieden, für das Geschehen am Sonntag von Anfang an den Begriff Hetzjagd nicht zu verwenden …
(Martin Reichardt [AfD]: Wer hat denn Herrn Maaßen abserviert, weil er die Wahrheit gesagt hat?)
Wenn aus dieser Differenzierung interessierte Gruppen und Medien nun ableiten, es sei alles halb so schlimm gewesen oder eine große Erfindung, dann ist das weder in unserem Sinne noch entspricht es der Wahrheit.
Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Rabanus [SPD]: Das ist so jämmerlich! – Jürgen Braun [AfD]: Herr Maaßen spricht die Wahrheit! Wer sonst? Er kennt sich ein bisschen besser aus als Sie!)
Sie, die AfD in Chemnitz, plakatieren und schalten Anzeigen in der Tagespresse mit dem Slogan: Wir fordern eine Entschuldigung für die Chemnitz-Lüge. – Wissen Sie, was die eigentliche Chemnitz-Lüge war? Die Fake-Meldungen und Lügen nur wenige Stunden nach der Tat; Dr. Martens hat darauf hingewiesen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP])
Daniel wollte angeblich sexuelle Übergriffe auf anwesende Frauen abwehren, und es gäbe ein zweites Todesopfer – das alles aus Ihren ganz sicheren Quellen, von angeblichen Augenzeugen bestätigt, von der Boulevardpresse aufgenommen, tausendfach geteilt, auch von Ihren Leuten –, das alles ist gezielte Falschinformation. Diese Lügen haben das Klima vergiftet, und Sie halten das Thema weiter am Köcheln, obwohl Stadt, Polizei und Klinikum diese Fakes sofort dementierten und alles richtigstellten.
Herr Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der AfD?
Ja, gerne. – Ist das der mit der Wetterkarte? Ja, oder?
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Danke, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Sie sind ja sehr besorgt um das Klima in der Gesellschaft und sind ein großer Demokrat; so stellen Sie sich hier zumindest dar.
Augenblick mal, Herr Kollege. Hinter Ihnen sitzt jemand, der gerade Zeitung liest, während Sie eine Zwischenfrage stellen. Das gehört nicht zu den Gepflogenheiten dieses Hauses.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Gut, dass die Zeitung jetzt weggelegt worden ist. – Jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Es ist nun schon einige Monate her, dass in Ihrer Parteizeitung „Vorwärts“ dafür geworben wurde, mit Antifa und Antideutschen offen zusammenzuarbeiten. Die Antifa ist ja eine Gruppierung, aus der heraus auch immer wieder Angriffe auf Polizisten und eben auch auf Politiker verübt wurden. Die Jusos haben geworben – auch das ist schon einige Zeit her – mit Slogans wie „Rechte Strukturen zerschlagen“, und dabei sind Baseballschläger zu sehen. Sie haben nun viel Zeit gehabt, darauf zu reagieren. Welche Schritte haben Sie innerparteilich unternommen, um das zu unterbinden?
(Beifall bei der AfD)
Whataboutism, das ist Ihre Strategie.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Ihre Strategie ist Ablenken von eigenen Geschichten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was ist denn mit Ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss, mit Ihrer Unvereinbarkeitsliste?
(Zurufe von der AfD: Antworten Sie doch mal!)
Was ist denn mit Pro Chemnitz? Was ist denn mit Pegida?
(Martin Erwin Renner [AfD]: Er hat keine Antwort! – Weitere Zurufe von der AfD)
– Alles gut.
(Martin Reichardt [AfD]: Was haben Sie unternommen? – Weitere Zurufe von der AfD)
Die Jusos, der Jugendverband der SPD, sind ein eigenständiges Glied der SPD. Die Chemnitzer SPD arbeitet mit den Jusos zusammen. Wir machen aber keinerlei Gewaltaufrufe,
(Martin Reichardt [AfD]: Ach so?)
im Gegensatz zu Ihnen. Das mussten wir in Chemnitz am 1. September erleben, wo Sie in der ersten Reihe gestanden haben.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP])
Herr Nolte, jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Denken Sie an das Thema Wetterkarte, das Sie losgetreten haben. Sie vergiften das Klima, indem Sie Menschen auf die völlig falsche Fährte ziehen, indem Sie nur halbherzig Politik machen. – Danke schön.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Andreas Bleck [AfD])
Letzter Gedanke. Sie machen das Ganze mit dem Ziel, Ängste zu schüren und Menschen aufzubringen, und marschieren mit Rechtsextremisten.
(Widerspruch bei Abgeordneten der AfD)
Aber das wird Ihnen nicht gelingen. Wenn ich mir die Ergebnisse der Kommunalwahl in Chemnitz anschaue, sehe ich, dass 76 Prozent der Menschen in Chemnitz eben nicht die AfD gewählt haben.
(Martin Reichardt [AfD]: Wie viel Prozent haben nicht mehr die SPD gewählt? Über 90 Prozent wählen nicht mehr die SPD! – Weitere Zurufe von der AfD)
Sie haben in Sachsen im Vergleich zur Bundestagswahl 150 000 Stimmen verloren. Das gibt mir Hoffnung, dass es dabei bleibt: Chemnitz ist weder grau noch braun.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. André Hahn.
(Beifall bei der LINKEN)
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Electoral Period | 19 |
Session | 105 |
Agenda Item | Vermeintliche Hetzjagden in Chemnitz |