Otto FrickeFDP - Organspende
Geschätzter Herr Vizepräsident!
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, Kollege Spahn, es ist so: Politik ist das ständige Bohren von dicken Brettern. Es geht darum, sich immer wieder an die Bürger zu wenden und zu sagen: Wir bitten euch, da etwas zu tun. – Wir als Staat gehen zum Bürger und sagen: Wir brauchen deine Mitarbeit. – Das ist anstrengend; das ist viel.
Herr Kollege Spahn, weil sich bei der Organspende so wenig geändert hat, hat, ich glaube, fast das ganze Haus Ihrem Entwurf zur Änderung des Transplantationsgesetzes ausdrücklich zugestimmt,
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist es!)
weil sich am Verfahren etwas ändern musste. Und für dieses Vorgehen verdienen Sie Lob. Es ist richtig, bei der Frage des Verfahrens anzusetzen.
Anders ist es bei der zweiten Frage. Bei der Frage „Wie sorge ich für mehr Spendenbereite, durch das Widerspruchsverfahren oder durch unser Verfahren?“ – darum geht es – gehen die Meinungen auseinander. Dazu möchte ich eines sagen, auch an die Adresse derer, die jetzt zuhören und zuschauen: Unser Leben ist endlich; aber wir wollen das nicht wahrhaben. Wir wollen uns nicht mit Themen wie Testament, Patientenverfügung oder Organspende auseinandersetzen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber besser wäre es! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Schlussfolgerung ist spannend!)
Wir wollen nicht mit unseren Kindern darüber sprechen – ich habe das persönlich gemerkt; das war einer der größten Widerstände in der letzten Zeit –: Wie ist das eigentlich bei dir? Wenn du, meine 14-jährige Tochter, wenn du, mein 18-jähriger Sohn, sterben solltest, wie soll ich mich dann verhalten? – Aber ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Politik, dem Bürger immer wieder klarzumachen, dass er sich mit dieser Frage auseinandersetzen muss, weil er ein eigenverantwortliches Wesen ist und weil er die Verantwortung für sich und seine Mitbürger hat.
Dabei kommt es darauf an, dass man am Ende – in der doppelten Bedeutung des Wortes – Gutes tun will. Jetzt kommt die Frage, die man sich, Kollege Spahn, stellen muss: Will ich, dass dieses „Gutes tun“ etwas ist, was in der Grundentscheidung der Staat vorgegeben hat – mit der Möglichkeit, wie Sie es beschrieben haben, rauszugehen –, oder will ich, dass dieses „Gutes tun“ aus dem Menschen selbst kommt, aus dem Individuum, das sagt: „Ich muss mich mit der Frage auseinandersetzen“? Ich kann dann sagen: Ich habe noch keine Lösung. Ich kann Ja oder Nein sagen. Aber muss es nicht so sein, dass der Mensch selbst sagt: „Ja, ich will es; es ist mein Wille, es ist meine Freiheit“, übrigens zur Verantwortung für andere? Das ist der wesentliche Unterschied, um den es geht. Diese Frage muss sich jeder Bürger stellen, aber auch jeder Abgeordnete, wenn er über diese Gesetzentwürfe abstimmt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Meine Damen und Herren, ich will das herleiten, und zwar aus unserer Verfassung. Geht unsere Verfassung davon aus, dass es den Staat gibt, der den Bürgern Rechte zuweist, der sagt: „Du hast diese Pflicht, weil du dem helfen musst, weil du das tun musst“, oder ist es nicht vielmehr so, dass unsere Verfassung mit den Grundrechten am Anfang sagt: „Die Rechte kommen von den Bürgern, und der Bürger entscheidet, was er dem Staat gibt, um ein funktionierendes Gemeinwesen mit verantwortlichen Menschen zu haben, die in diesem leben“, Kollege Nietan? Es ist das Letztere, für das sich die Mütter und Väter der Verfassung entschieden haben. Sie haben sich entschieden, zu sagen: Die Rechte kommen vom Bürger. Das sind Abwehrrechte. Der Bürger ist derjenige, der die Rechte hat, und der Staat muss eine Begründung finden, warum er in diese eingreift. All diese Grundsätze werden in der Widerspruchslösung, so schön Sie sie aufbauen, an dieser Stelle nicht eingehalten.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich will noch zwei Dinge anmerken. Mir geht es nicht darum, ob es jetzt gegen Herrn Spahn, gegen den Gesundheitsminister, gerichtet ist. Ich glaube, darum geht es bei beiden Gesetzentwürfen nicht. Es geht bei beiden Gesetzentwürfen darum, möglichst die beste Lösung zu finden. Ich glaube, dass wir eine Lösung finden müssen, die stetig von den Bürgern, von uns allen verlangt, dass wir uns selber in die Pflicht nehmen, dass wir uns selber in die Verantwortung nehmen.
Zum Schluss. Der Entwurf zur doppelten Widerspruchslösung verkennt nach meiner Meinung, dass unsere Gesellschaft – bei allen Makeln, bei allen Fehlern – nicht so weit gekommen ist, weil der Staat die richtigen Entscheidungen für seine Bürger getroffen hat, sondern weil die Bürger am Ende immer wieder die richtigen Entscheidungen für ihre Mitbürger und damit für den Staat getroffen haben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Da Sie immer so viel Wert auf Förmlichkeiten legen, darf ich Sie darauf hinweisen, dass diejenigen, die hier oben sitzen, während ihrer Sitzungsleitung die amtierenden Präsidenten sind.
Herr Kollege Oppermann, mein Kollege Vizepräsident,
(Heiterkeit)
Sie haben das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7366793 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 106 |
Tagesordnungspunkt | Organspende |