27.06.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 107 / Zusatzpunkt 7

Helge LindhSPD - Vorgehen gegen kriminelle Clans

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit ich es nicht vergesse, möchte ich den sehr geschätzten Kollegen Middelberg gleich zu Beginn auf eine Vergesslichkeit seinerseits hinweisen. Sie hatten in einem Akt – ich nenne es einmal: parteipolitischer Lobhudelei und Beweihräucherung – den Innenminister Reul erwähnt

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Ja, der ist gut!)

und auf die angeblichen Defizite seines sozialdemokratischen Vorgängers Jäger hingewiesen. In der Eile vergaßen Sie aber nicht nur, zu erwähnen, dass Heiko Maas zwei Jahre lang Ihre Fraktion getrieben hat, damit es endlich eine Vermögensabschöpfung gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nein, die schwarz-gelbe Vorvorgängerregierung unter dem legendären liberalen Innenminister Ingo Wolf ist nicht minder legendär für ihr Polizeikürzungsprogramm. Diese Details hatten Sie vergessen. Ich möchte Sie auf diese Vergesslichkeit nur kurz hinweisen.

(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Das musste mal gesagt werden! – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das werte ich als Ironie! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit haben wir unsere interkoalitionären Differenzen jetzt ausgeräumt, und ich komme zum eigentlichen Thema.

Worum geht es heute? Zum einen geht es um das Phänomen der organisierten Kriminalität, die effektiv, rational, vernünftig und auch verfassungsmäßig fundiert bekämpft werden muss. Zum anderen müssen wir heute über eine gewisse Verkommenheit des politischen Diskurses reden, wofür namentlich insbesondere die sogenannte AfD steht;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Nein!)

das ist hier so zu benennen. Wir erleben bei Ihrer dramatischen, weit ausholenden Schilderung der Clankriminalität in dieser Woche ein interessantes, bemerkenswertes Manöver. In dieser Woche sprechen wir darüber, welche Form der Rechtsextremismus in diesem Land annimmt. Mit Ihrem heutigen Antrag versuchen Sie – man muss Ihre Methoden ja mal erkennbar machen –, die übliche Geschichte zu erzählen: Ihr kümmert euch um die Rechten; aber wir weisen auf die Kriminalität der Ausländer hin. – Leider ist die Geschichte aber noch bitterer. Wir werden heute auch über einen widerlichen Mord an einem christdemokratischen Politiker sprechen. Angesichts der aktuellen Situation würde ich von Ihnen erwarten, dass Sie, wenn Sie die Primärtugenden – ich nenne sie gerne die deutschen Primärtugenden – des Anstandes und der Demut besäßen

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ui!)

– ich betone: besäßen –, erst einmal wochenlang schweigen, in sich gehen und hier gar nichts mehr sagen würden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die Opposition schweigt nicht! Wir sind Opposition! Das hätten Sie wohl gern!)

Unter anderem hat der Abgeordnete Hohmann die Dreistigkeit besessen, auf einer Internetseite der AfD – öffentlich und für jedermann lesbar – folgende Erklärung zu bieten: Hätte es nicht durch Angela Merkel die Grenzöffnung gegeben, wäre Walter Lübcke noch am Leben. – Was ist das für eine widerliche Aktion?

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was hat das mit Clans zu tun?)

Sie wagen es ernsthaft, in Ihrem Antrag über den Schutz des Bürgers und des Rechtsstaates zu sprechen. Walter Lübcke würde wohlmöglich noch leben – ich will nicht mutmaßen –, aber es gäbe wenigstens wesentlich weniger Morddrohungen,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Also mutmaßen Sie doch!)

die viele hier im Raum, mich eingeschlossen, betreffen, wenn Sie nicht auf Ihre ganz spezifisch widerliche Weise diese sogenannte Flüchtlingskrise genutzt hätten, um permanent dieses Land zu verhetzen und Hass zu predigen. Das machen Sie heute wieder.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Erzählen Sie nicht so einen Scheiß, Herr Kollege!)

Sie fordern interessanterweise in Ihrem Antrag, die transnationale Kriminalität zu bekämpfen. Sie nennen Europol und Interpol. Dann schaue ich aber in die Drucksache 19/10171, in der Sie eine 80-prozentige Kürzung des EU-Budgets fordern.

(Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!)

Erstaunlich! Wie soll denn dann die internationale, europäische Kriminalitätsbekämpfung funktionieren? Nicht nur das, Sie fordern auch die komplette Streichung der Mittel für ESF, EFRE, Asyl- und Migrationsfonds. Ich komme aus einer strukturschwachen Stadt, aus Wuppertal. Hier sind viele Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet und aus strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland. Wenn es ESF und EFRE nicht gäbe, sähe es dort auch hinsichtlich organisierter Kriminalität deutlich anders aus. Und Sie wollen diese Mittel streichen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie oder Ihr selbsternannter Arbeiterführer Guido Reil noch einmal behaupten, Sie träten ein für den kleinen Mann und gegen ausländische Kriminelle, dann werde ich persönlich an alle Türen im Ruhrgebiet Ihre Beschlusslagen und Ihre Drucksachen nageln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Zurufe von der SPD: Bravo! – Stephan Brandner [AfD]: Alles leere Versprechungen!)

Aber nicht nur das. In der Debatte zu den Themen „Bekämpfung illegaler Migration“ und „Sozialleistungsbetrug“ haben Sie vorgeschlagen – nachzulesen auf Seite 4 Ihres Entschließungsantrags –, den Personalmehrbedarf beim Zoll durch Rationalisierungsmaßnahmen zu erreichen. Der Zoll ist ausdrücklich ein Mittel zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Geldwäsche und ähnlicher Delikte.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaela Noll [CDU/CSU] und Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie empfehlen glatt Rationalisierungsmaßnahmen. Es ist an Scheinheiligkeit, Bigotterie und Dummheit nicht zu übertreffen, wenn man so etwas fordert und hier ernsthaft als Kämpfer gegen die Clankriminalität auftritt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN und der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Noch ein dritter Punkt: Wenn Sie in dieser ganzen Debatte auch noch deutlich machen, dass jetzt auch Geflüchtete zum Kreis der möglichen Täter gehören, was ja eine ernsthafte Frage ist, dass sie rekrutiert würden und selber Clans – in Anführungszeichen – bildeten, warum haben Sie dann dem Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz nicht zugestimmt?

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das hat mit Clans nichts zu tun! Sie haben das überhaupt nicht verstanden!)

Warum haben Sie dann nicht dem Gesetzentwurf über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung zugestimmt? Das sind wesentliche Ursachen: Kettenduldung, Nichtbeschäftigung, Perspektivlosigkeit. Das sind die sozialen Bedingungen dieser Form von Kriminalität. Sie haben gegen diese Gesetze gestimmt.

Kurze Zusammenfassung: Die AfD-Fraktion steht für Unsicherheit und Bedrohung,

(Lachen bei der AfD)

und sie ist das schlechteste Mittel zur Bekämpfung organisierter Kriminalität.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wer aus Ihren Reihen von Clankriminalität spricht, der spricht von sich selbst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege, bei aller Begeisterung, kommen Sie bitte zum Ende.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Wenn Sie von einer hohlen Inszenierung sprechen, dann sage ich: Die Formulierung ist richtig, nur der Adres ­sat ist falsch. Nicht diese Fraktionen, nicht die sozialdemokratischen und christdemokratischen Innenminister betreiben eine hohle Inszenierung; die hohle Inszenierung sind Sie selbst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Marc Henrichmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7367452
Wahlperiode 19
Sitzung 107
Tagesordnungspunkt Vorgehen gegen kriminelle Clans
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