27.06.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 107 / Tagesordnungspunkt 7

Eckhardt RehbergCDU/CSU - Untersuchungsausschuss zur Treuhandanstalt

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, hier werden Ursache und Wirkung verwechselt. Es gibt Kronzeugen aus dieser Zeit. Wie war denn der Zustand im Juni 1989 in der ehemaligen DDR? Ein Kronzeuge ist Gerhard Schürer. In seinem Schürer-Bericht stellte er fest: Überschuldung der DDR in Höhe von 140 Milliarden DDR-Mark, Zahlungsunfähigkeit, marodes Wirtschaftssystem, 60 Prozent der Arbeitsproduktivität gegenüber der Bundesrepublik. Einzige Hoffnung der DDR: schnellstmöglich einen Kredit in Höhe von 23 Milliarden von der Bundesrepublik Deutschland zu bekommen. Ich zitiere aus dem Schürer-Bericht:

Insgesamt geht es um die Entwicklung einer an den Marktbedingungen orientierten sozialistischen Planwirtschaft …

Wenn Sie noch einen Zeugen haben wollen: Günter Mittag sagte in einem „Spiegel“-Interview 1991:

Man denke nur, … was heute hier los wäre, wenn es die DDR noch gäbe … Mord und Totschlag, Elend, Hunger. Es reißt mir das Herz kaputt.

Und weiter:

Das sozialistische System insgesamt war falsch …

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gerhard Schürer und Günter Mittag sind die Kronzeugen zum Zustand vom Juni 1989.

Wenn Sie von der AfD in Ihrem Antrag von der Zerstörung der Infrastruktur sprechen, dann frage ich Sie: Wie sah die denn aus? Sind Sie denn 1990 einmal in ein Krankenhaus, in ein Pflegeheim, in eine Behindertenwerkstatt gegangen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich wohnte damals in einem kleinen Dorf in der Nähe von Ribnitz-Damgarten. Wenn es überhaupt eine Klärgrube gab, dann war es eine Einkammerklärgrube. Glauben Sie, da wurde irgendetwas entsorgt? Trinkwasser mussten wir uns selber legen. Oder – ich schaue die Kollegin an, die in Mitteldeutschland wohnt – wie sah es denn in Bitterfeld aus? Da konnten Sie die weiße Wäsche nicht auf der Leine hängen lassen, weil sie sonst aufgrund der Umweltbedingungen braun oder schwarz war.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Verena Hartmann [AfD]: Zum Thema!)

– Das genau ist das Thema. Das sind die Rahmenbedingungen gewesen.

Es geht weiter. Die AfD schreibt in ihrem Antrag, dass eine Reihe von hochprofitablen Unternehmen kaputtgemacht wurden.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Welche denn?)

Ich war damals Geschäftsführer in einem Schmuckbetrieb. Zunächst war der Beschiss – Entschuldigung –, dass wir bei dem, was wir im Westen verkauft haben, die Preise mal vier genommen haben. Aber als wir am 1. Juli 1990 Preise kalkulieren mussten und unsere Kosten dagegengesetzt haben – es war ordnungspolitisch nicht richtig, wohl aber gesellschaftspolitisch und sozial richtig, die Löhne und Gehälter eins zu eins umzustellen –, kamen wir nicht ansatzweise gegen die Schmuckindus­trie in Baden-Württemberg an, weil die Produktivität zu gering war. Nicht die Menschen waren das Entscheidende, sondern die Rahmenbedingungen. Wir hatten keine konkurrenzfähigen Produkte. Der Betrieb existiert heute noch, aber statt 700 Mitarbeiter sind es nur noch 35.

(Verena Hartmann [AfD]: Darum geht es überhaupt nicht!)

Zur Wahrheit der Treuhand gehört auch Folgendes: Sie wurde zur Modrow-Zeit gegründet, und am 17. Juni vor 29 Jahren hat die freigewählte Volkskammer das Treuhandgesetz beschlossen, mit dem Hauptauftrag „Privatisierung“.

(Michael Theurer [FDP]: In welcher Partei war Modrow? In der SED war er!)

Herr Kollege Bartsch, ich höre immer gerne zu, wenn Sie die Fehler bei der Treuhand beschreiben. Aber Sie vergessen die Rahmenbedingungen. Wie sah es denn vor gut 29 Jahren zur Jahreswende 1989/90 aus?

Zu Hunderttausenden sind die ehemaligen DDR-Bürger in den Westen gegangen. Wenn man nicht schnell den Pfad zur deutschen Einheit beschritten hätte, dann wäre der Exodus weitergegangen.

Der nächste Punkt. Die Sowjetunion hat der Warnow-Werft in Warnemünde kein Schiff mehr abgenommen. Damit war Schluss. Und waren wir nicht selbst Täter und Opfer zugleich? Herr Bartsch, haben Sie noch einen Kühlschrank des DKK Scharfenstein gekauft?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Bartsch, haben Sie noch ein Fernsehgerät aus Staßfurt gekauft? Oder glauben Sie, dass ich, der für die EDV bei Ostsee-Schmuck verantwortlich war, mir noch einen Computer von Robotron gekauft habe? Nein, das alles waren keine wettbewerbsfähigen Produkte.

(Verena Hartmann [AfD]: Aha!)

Deswegen waren wir Täter und Opfer zugleich. Von Wartburg und Trabant brauchen wir an dieser Stelle gar nicht zu reden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Verena Hartmann [AfD]: Auftragsbücher habt ihr gekauft!)

Man kann immer darüber philosophieren, welche Alternativen es gegeben hätte. Es wäre sicherlich keine Alternative gewesen, den Genossen Bartsch als Chef der Treuhandanstalt zur Modrow-Zeit einzusetzen; denn wir hätten die alte Kommunalstruktur weitergeführt. Es wäre auch keine Alternative gewesen, Ostdeutschland zu einem eigenen Währungsgebiet zu machen. Das hätte alles nicht funktioniert. Deswegen war die schnelle Privatisierung die einzige Alternative. Ja, es waren Glückswanderer unterwegs. Ja, es war auch kriminelle Energie dabei. Aber wenn ich an die maroden Industriestrukturen in Bitterfeld im Jahr 1989 zurückdenke und das mit dem vergleiche, wie es dort heute aussieht:

(Verena Hartmann [AfD]: Blühende Landschaften haben wir!)

Dort hat sich mit die modernste und sauberste Chemieindustrie, die es in Europa gibt, angesiedelt. 5 Milliarden Euro sind dort investiert worden. Viele Betriebe, die damals privatisiert worden sind, haben heute, so meine ich, einen guten Weg eingeschlagen, eine positive Entwicklung genommen.

(Verena Hartmann [AfD]: Die gehören uns aber nicht mehr!)

Wenn Sie noch einen weiteren Kronzeugen brauchen: Ich bin nicht unbedingt Fan des thüringischen Wirtschaftsministers Tiefensee, seines Zeichens Mitglied der SPD, aber er hat vor Kurzem zu Recht gesagt: Wir haben mehr Industriearbeitsplätze pro 1 000 Einwohner als Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen. Die Arbeitslosenquote liegt unter der von Hamburg, Bremen, NRW und dem Saarland. Das zeigt eigentlich, dass wir im Vergleich der Bundesländer untereinander Schritt für Schritt vorangekommen sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was soll dieses Manöver von linken und rechten Populisten? Anders kann ich das nicht bezeichnen, wenn ich mir die Anträge genau durchlese.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es wächst zusammen, was zusammengehört!)

Was soll das hier und heute? Eine seriöse Historikerkommission arbeitet die Arbeit der Treuhand auf. Welchen Nutzen soll ein Untersuchungsausschuss haben? Herr Kollege Bartsch, Sie sagen, dass man hier den Lebensgefühlen der Menschen im Osten Rechnung tragen muss. Ich glaube, man muss zuerst einmal seriös und sachgerecht debattieren: Wo sind wir hergekommen, und warum ist es 1989 so gewesen, wie ich es beschrieben habe und wie es auch Herr Schürer und Herr Mittag beschrieben haben? Das war ein Systemversagen und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bystron?

Ja.

Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Alles, was Sie ausführen, ist richtig. Ich teile Ihre Einstellung; aber Sie reden am Thema vorbei. Selbstverständlich war die DDR völlig pleite. Selbstverständlich waren die Robotron-Computer nicht konkurrenzfähig. Aber das tut hier nichts zur Sache.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bitte?)

Sie verwechseln Volkswirtschaft mit Betriebswirtschaft. Hier geht es darum, dass Betriebe, die ein Betriebsvermögen hatten, privatisiert wurden. Die Frage ist, ob sie zu dem Wert verkauft wurden, den sie damals hatten. Das soll hier untersucht werden.

Herr Kollege, anscheinend haben Sie Ihren Antrag nicht richtig gelesen. Es geht schon um dieses Thema. Sie schreiben darin von einem „Kahlschlag der Infrastruktur“

(Verena Hartmann [AfD]: Ja!)

und dass die Treuhandanstalt zum Teil hochprofitable Unternehmen privatisiert und zerschlagen hat.

(Petr Bystron [AfD]: Genau! – Verena Hartmann [AfD]: Ja! Radeberger!)

– Entschuldigung, jetzt bin ich dran. – Herr Kollege, Sie haben doch eben Ihrem Antrag selber widersprochen. Im Frühjahr 1990 war noch von einem Volksvermögen von 600 Milliarden DDR-Mark die Rede. Die Eröffnungsbilanz der Treuhand wies ein Minus von über 200 Milliarden D-Mark auf. Die Abschlussbilanz der Treuhand war geprägt von der Finanzierung von Sozialplänen: Kurzarbeit null usw. usf. In der Regel wurden für 1 Mark Privatisierungserlös 3 Mark insbesondere für die Umweltaltlastenbeseitigung usw. usf. eingesetzt. Es muss also der Gesamtrahmen betrachtet werden.

Ich gestehe zu, dass es in dem einen oder anderen Fall Fehler gegeben hat. Aber entscheidend ist doch: Wo sind wir hergekommen, und was ist heute? Ich kann nur eines sagen: Wer anfängt, die letzten 30 Jahren zurückzudrehen, um politisch daraus Kapital zu schlagen, der erreicht für die Zukunft gar nichts.

(Verena Hartmann [AfD]: Populismus pur!)

Wir als Union möchten, dass wir mit Blick auf den 9. November 1989 und den 3. Oktober 1990 nach vorne gucken. Linke und AfD wollen aus reinem Populismus und zu Wahlkampfzwecken die Treuhand instrumentalisieren. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Verena Hartmann [AfD]: Gucken Sie in den Spiegel! Da sehen Sie Populismus!)

Vielen Dank, Herr Kollege Rehberg. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Jürgen Pohl, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7367478
Wahlperiode 19
Sitzung 107
Tagesordnungspunkt Untersuchungsausschuss zur Treuhandanstalt
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta