Jürgen PohlAfD - Untersuchungsausschuss zur Treuhandanstalt
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer, vor allem in den alten Bundesländern! Sehr geehrter Herr Präsident! Was wir heute hier debattieren, rührt an den Grundfesten des wiedervereinten Deutschlands. Wir gehen bis dorthin zurück, wo die Einigung beschlossen, organisiert und umgesetzt wurde. Wir reden über die Ereignisse der 1990er-Jahre. Wir reden über die Treuhand, oder genauer: Wir reden über das Trauma der Ostdeutschen.
Meine Damen und Herren, die Arbeit der Treuhand hat tiefe Wunden in die ostdeutsche Seele gerissen. Ich weiß, dass gerade viele Westdeutsche hier im Hause geneigt sind, uns Ost- und Mitteldeutschen in dieser Frage Weinerlichkeit vorzuwerfen. Aber ich sage Ihnen: Für das, was die Treuhand bei uns angerichtet hat, ist keine Träne zu viel vergossen worden. 4 000 Firmen liquidiert, von 4 Millionen Arbeitsplätzen im Jahr 1990 blieben 1994 gerade mal 1,5 Millionen, Privatisierungserlöse: 60 Milliarden D‑Mark, eingesetzt: 300 Milliarden D‑Mark – ich sage Ihnen: Jedes DDR-Kombinat hätte besser gewirtschaftet.
(Beifall bei der AfD – Lachen bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Herr Kollege Rehberg, Sie haben über die Missstände gesprochen. Aber warum wehren sich so viele Damen und Herren hier im Hohen Haus, endlich auch die Misswirtschaft der Treuhand aufzudecken? Warum fehlt Ihnen da der Mumm? Gibt es einen Grund, über den Sie nicht reden wollen, oder was? Wir wollen einfach wissen: Warum hat die Treuhandanstalt so mies gewirtschaftet?
(Beifall bei der AfD)
Meine Damen und Herren, kein Geringerer als der frühere Präsident des renommierten Münchener ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, schrieb sinngemäß: Die Ostdeutschen haben die Einheit mit ihrem Volksvermögen bezahlt. – Genau darum geht es. Herr Rehberg, hören Sie zu: Die DDR war pleite – das stimmt –, sie war aber nicht wertlos. In Ostdeutschland lebten damals 16 Millionen Menschen, denen diese Werte gehörten. 1990 hatte eine Gruppe um den Potsdamer Physiker und Bürgerrechtler Gerd Gebhardt eine Idee. Sie wollte jedem DDR-Bürger ein Sechzehnmillionstel des DDR-Volksvermögens übertragen. Der Runde Tisch stimmte diesem Plan einstimmig zu. Die Regierung Modrow hat den Plan nicht umgesetzt. Warum? Warum wurden die Bürger um ihren Anteil am Volksvermögen betrogen? Das ist eine der zentralen Fragen, die zu klären sind. Was heißt das für den von uns geforderten Untersuchungsausschuss? Wir müssen über den Verlust von Millionen Industriearbeitsplätzen reden. Wir müssen über die Familien reden, die plötzlich durch Arbeitslosigkeit ins soziale Elend gerutscht sind. Wir müssen über die Familien reden, die auseinandergerissen wurden, weil Vater oder Mutter erst Hunderte Kilometer entfernt, im Westen, eine Arbeit fanden.
Meine Damen und Herren, an vieles von dem, was geschah, kann ich mich persönlich gut erinnern. Ich war dabei und handelnde Person. Das ist nicht ungewöhnlich. Es hat im Osten fast jede Familie betroffen, auch meine eigene. Nehmen wir mal diesen Lebenslauf: Der Mann als Kind aus Schlesien vertrieben. 1946 fing er als 14‑Jähriger in einem Unternehmen an. 1991, nach 45 Dienstjahren, brauchte ihn die Treuhand nicht mehr. Er wurde freigesetzt. Ein Jahr später starb er als gebrochener Mann, und mit ihrem Mann verlor gleichzeitig seine Ehefrau ihre Arbeit. – Ein typischer Lebenslauf aus dieser Zeit.
In Magdeburg Süd-Ost, meinem Stadtviertel, wurde fast die gesamte Industrie liquidiert. Circa 40 000 Menschen verloren dort ihre Arbeit. In meiner heutigen Heimat, in Nordthüringen, wurde nicht nur die Computerindustrie zerschlagen. Technische Zulieferer und auch die Textilindustrie waren nicht mehr gewollt. Noch besser die Kali-Industrie: Die Kali-Industrie zum Beispiel in Sondershausen und in Bischofferode wurde trotz effektiver Arbeit und guter Absätze zugunsten der Westkonkurrenz stillgelegt und zur Sondermüllhalde entwickelt.
Herr Kollege, –
Für den Müll war der Osten gut genug. Das ist eine Schweinerei!
(Beifall bei der AfD)
– erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Theurer?
Der Ablauf war immer derselbe.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Lassen Sie mich bitte.
Ja.
Der Ablauf war immer derselbe: Der Volkseigene Betrieb wurde unter Verwaltung gestellt, und dann wurde er dem westdeutschen Konkurrenten angeboten. Wie das ablief? Oftmals betrug der Kaufpreis 1 Mark. Sodann kam ein Auktionshaus und versteigerte die Maschinen und Anlagen. Die Personalabteilung entließ die Arbeitnehmer auf Raten, und die letzten fegten aus und schlossen ab. Das Grundstück wurde schließlich veräußert oder in lukrativen Lagen selbst bebaut. Das Ganze ergab einen satten Gewinn – für den westdeutschen Unternehmer. Ganz nebenbei wurde die ostdeutsche Konkurrenz ausgeschaltet. Wissen Sie das alle? In unzähligen Fällen mussten die Ostdeutschen ihr Lebenswerk für 1 Mark hergeben. Für 1 Mark wurden ihre Lebensläufe entwertet. Dieser Treuhand-Untersuchungsausschuss ist das Mittel, um mit Ihrer Scheinheiligkeit aufzuräumen.
Ostdeutsche – das haben wir inzwischen gelernt – sind für Sie, die Vertreter der Altparteien, die Bewohner des unbelehrbaren Dunkeldeutschlands. Dunkeldeutschland, das sind die politisch Unzuverlässigen und Rückständigen, die undankbaren Hinterwäldler im Osten, die einfach nicht so wählen, wie sie sollen. Wir in Thüringen waren überrascht, dass Herr Habeck von den Grünen unser Land zu einem „freien, liberalen und demokratischen Land“ machen wollte. Toll! Herr Gabriel fand das „Pack“ in Ostdeutschland, und Herr Maas empfand Ostdeutsche als „Schande für Deutschland“. Da war Herr Özdemir mit der „Mischpoke“ noch fast liebevoll.
(Beifall des Abg. Petr Bystron [AfD] – Stefan Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)
Iris Gleicke von der SPD sagte am 25. Jahrestag der Treuhandgründung – ich zitiere –:
Die Treuhand … gilt im Osten … als Symbol … eines brutalen, ungezügelten Kapitalismus, verbunden mit Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit.
Sie hat Recht. Darum müssen Sie hier und heute erklären, was denn nun mit dem Osten ist, wie Sie es mit Ihren Brüdern und Schwestern halten wollen. Alternative eins: Sie gestehen sich und den Mitteldeutschen ein: Ja, wir müssen den Wildwestkapitalismus dieser Zeit aufklären. Ja, es braucht einen Untersuchungsausschuss. – Alternative zwei: Der Mitteldeutsche bleibt Deutscher zweiter Klasse. Er wohnt im Armenhaus. Er hat keinen Anspruch auf Gerechtigkeit. – Meine Damen, meine Herren, wenn Sie sich für Alternative zwei entscheiden, dann wundern Sie sich nicht, wenn der Ostdeutsche Ihnen bei der nächsten Landtagswahl eine Lehre erteilt.
(Beifall bei der AfD)
Ich kann meine Landsleute nur aufrufen: Setzt das Kreuz bei der Wahl nicht bei den Parteien, die sich weigern, den Betrug an den Mitteldeutschen aufzuklären,
(Beifall bei der AfD)
kein Kreuz bei den Parteien, die am Elend ihrer Familien und an der Perspektivlosigkeit ihrer Kinder schuld sind.
Schauen Sie her: Das ist eine Mark. Mit dieser Mark konnten Westdeutsche regelmäßig Firmen in Ostdeutschland kaufen, dann den Menschen in den Hintern treten, um dann Vermögen anzuhäufen. Wenn Sie wirklich meinen, meine Damen und Herren, dass diese kriminellen Machenschaften der Treuhand nicht aufgeklärt werden sollen, dass es den Treuhand-Untersuchungsausschuss nicht braucht, dann wünsche ich Ihnen, auch Herrn Rehberg, dass Ihr Lebenswerk, Ihre Familie, Ihre Seele mehr als diese Mark wert ist.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mark ist abgeschafft!)
Sagen Sie es den Ost- und Mitteldeutschen hier und heute ins Gesicht: Wir brauchen euch nicht, wir schätzen euch nicht, aber wählt uns trotzdem.
Danke schön.
(Beifall bei der AfD – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Blödsinn! So ein Blödsinn!)
Als nächste Rednerin erhält die Kollegin Sonja Amalie Steffen, SPD-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 107 |
Tagesordnungspunkt | Untersuchungsausschuss zur Treuhandanstalt |