27.06.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 107 / Tagesordnungspunkt 9

Frank JungeSPD - Gründungspolitik in Ostdeutschland

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Fraktion der FDP, fast 30 Jahre nach der deutschen Einheit entdecken Sie jetzt mit diesem Antrag den Osten.

(Widerspruch bei der FDP)

Derartiges habe ich bisher noch nicht wahrgenommen, auch nicht, als Sie in Regierungsverantwortung gestanden haben. Entschuldigen Sie bitte, da drängt sich mir der Eindruck auf, dass Ihr Antrag dann vielleicht doch eher was mit den bevorstehenden Landtagswahlen in den neuen Bundesländern zu tun hat

(Thomas L. Kemmerich [FDP]: Die Sie schon aufgegeben haben!)

als mit den Belangen der neuen Länder an sich.

(Beifall bei der SPD)

Wie auch immer: Vielen Dank für den Antrag! Am Ende haben wir Gelegenheit, über die Wirtschaft im Osten zu sprechen. Da will ich zunächst herausstellen, dass bei der Beschreibung der Wirtschaftslage im Osten wichtig ist, mehrere Indikatoren und Parameter zu betrachten, und dass es nicht nur darauf ankommt, handverlesen ein oder zwei herauszugreifen. Macht man das, stellt man fest: Die Entwicklung von Beschäftigung, Investitionen, Bruttoinlandsprodukt und Löhnen belegt, dass es im Osten vorangeht.

(Thomas L. Kemmerich [FDP]: Sie ­stagniert!)

Herr Hirte hat einiges dazu ausgeführt. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wende. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich verdoppelt, und die Produktivität hat sich sogar um das Vierfache erhöht.

Natürlich gibt es im Prozess der Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost und West unglaublich viel zu tun; das wissen wir Ossis alle, die wir unsere Wahlkreise in den neuen Ländern haben. Jetzt jedoch Freiheitszonen zu schaffen, um, wie Sie sagen, an dieser Stelle dafür zu sorgen, bundesrechtliche Regulierungen und Vorschriften zu lockern, zu beseitigen sowie landesrechtliche Ausnahmen zuzulassen und damit unnötige bürokratische Hemmnisse für die Erleichterung von Unternehmensgründungen abzuschaffen, bedeutet nach meiner Auffassung im Kern nichts anderes, als der Verschlechterung von Arbeitsbedingungen Tür und Tor zu öffnen. Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen. Solche Wirtschaftszonen, wie Sie sie wollen, führen nicht nur zu Abgrenzungs- und Wettbewerbsproblemen zwischen den Regionen; sie sind auch EU-rechtlich problematisch. Sie sprengen das Steuer- und Rechtssystem, das wir haben, und sie stehen vor allen Dingen etwaigen tarif- und arbeitsrechtlichen Aspekten entgegen.

Dabei haben wir solche Experimente nicht nötig; darauf will ich auch hinweisen.

(Beifall der Abg. Dr. Manja Schüle [SPD])

Denn Deutschland hat bereits eine hervorragende Förderkulisse im Wirtschaftsstandort, um benachteiligten Regionen zu helfen. Eine der wertvollsten ist – das will ich hier nennen – die Gemeinschaftsaufgabe zur regionalen Wirtschaftsstruktur, mit der jährlich etwa 660 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Alleine von 2012 bis 2017 sind damit 5 Milliarden Euro geflossen, und damit ist ein Investitionsvolumen von 30 Milliarden Euro angeschoben worden. Damit schaffen wir Voraussetzungen für Unternehmen. Damit investieren wir in Infrastruktur.

Lieber Thomas Kemmerich, all die Punkte, die du angesprochen hast, lassen sich auch ohne Freiheitszonen mit solchen Kulissen auf den Weg bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

80 Prozent der Mittel aus der GRW sind in die neuen Länder gegangen. Das ist in dieser Hinsicht also eine Erfolgsgeschichte. Lassen Sie mich auch sagen: Im Übrigen ist das genau die Kulisse, liebe FDP, bei der Sie im Jahr 2018 in den Haushaltsberatungen noch 100 Millionen Euro kürzen wollten. Also, da passt einiges aus meiner Sicht nicht zusammen.

(Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])

Abschließend will ich sagen: Wer es wirklich damit ernst meint, den Wirtschaftsstandort in den neuen Ländern weiter auszubauen, der sorgt dafür, dass unter anderem die GRW bei der Überführung in dieses gesamtdeutsche neue Fördersystem an dieser Stelle nicht hinten runterfällt und wir mindestens die gleiche Wirkung behalten, wie wir sie gegenwärtig haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller-Rosentritt?

Bitte. Gerne.

Sehr geehrter Herr Kollege, mich hat ein Argument sehr betroffen gemacht: dass Sie uns vorwerfen, dass wir erst heute irgendwie den Osten entdecken. Das finde ich ziemlich traurig.

Erstens. Wenn es damals nach Ihrer Partei gegangen wäre, wäre ich heute, aus Ostdeutschland kommend, nicht in diesem Parlament, weil Lafontaine damals eine ganz andere Vorstellung von Deutschland hatte.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das darf man betonen.

Zweitens. Schon Hans-Dietrich Genscher hat diese Forderung vor ganz vielen Jahren gestellt.

Deshalb möchte ich Sie einfach mal fragen, wie Sie dazu stehen – zu Ihrem Vorwurf.

Die Anträge, in denen die FDP sich für die Belange des Ostens eingesetzt hat, lassen sich – das kann man nachlesen – wirklich sehr überschaubar darstellen. Mir ist in dieser Legislatur kein weiterer Antrag bekannt. Vor dem Hintergrund baut meine Aussage genau darauf auf. Der Zusammenhang mit den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg – sie stehen vor der Tür – ist offensichtlich.

(Otto Fricke [FDP]: Den stellen Sie ja die ganze Zeit her!)

Vor diesem Hintergrund erschließt sich mir die Parallele, die ich hier gezogen habe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Oh, Sie waren schon fertig. Das ist natürlich erfreulich,

(Heiterkeit)

weil wir auf diese Weise 30 Sekunden eingespart haben.

Der nächste Redner ist der Kollege Thomas Lutze von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7367553
Wahlperiode 19
Sitzung 107
Tagesordnungspunkt Gründungspolitik in Ostdeutschland
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