11.09.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 111 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 23

Dagmar ZieglerSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mir ist noch ganz schlecht von gerade eben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Der Haushalt des Deutschen Bundestages ist eben kein Selbstzweck. Das Parlament setzt die Prioritäten, gibt den Ministerien die Richtung vor und untersetzt dies mit finanziellen Mitteln. Ich sage ausdrücklich: der Deutsche Bundestag, wir, die wir hier sitzen. Entwicklungszusammenarbeit, früher Entwicklungshilfe genannt, hat mit deutlich über 10 Milliarden Euro einen guten Anteil daran. Ich finde, diese Mittel sind kein Feigenblatt, um uns von früheren, manchmal vielleicht auch heutigen Fehlern freizukaufen oder sie zu entschuldigen – jedenfalls aber in dem Bewusstsein für Verantwortung, die Sie nicht kennen: Verantwortung, die wir tragen, wenn wir billige T-Shirts kaufen, Handys in der Hand halten oder ohne Ende Wasser verbrauchen. Verantwortung, wenn wir viel zu viele Rinder halten und nicht wissen, wohin mit der Gülle. Verantwortung, wenn wir Obst und Gemüse aus weiter Ferne genießen, wohl wissend, dass dafür ganze Landstriche abgeholzt werden und Monokultur gefördert wird.

Wir kennen die Ursachen für diese weltweiten Entwicklungen, die die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen zerstören und Natur unwiederbringlich vernichten, und wir genießen trotzdem. Wir genießen diesen unseren vermeintlichen Wohlstand. Und unsere rechte Fraktion ignoriert all das, spricht von „Größenwahn“ angesichts unserer Hilfe und Unterstützung. Ich sage: Der Größenwahn sitzt rechts von uns.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Verantwortung zu tragen. Der Bedarf an Entwicklungszusammenarbeit wird nicht weniger. Um nur ein paar Herausforderungen zu nennen: Immer noch ist jeder neunte Mensch unterernährt. Alle zehn Sekunden stirbt ein Kind an Hunger; dabei könnten wir 12 Milliarden Menschen ernähren. Immer noch sterben pro Tag 15 000 Kinder unter fünf Jahren mangels angemessener Gesundheitsversorgung. Immer noch haben über 1,8 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 4,5 Milliarden zu sanitären Einrichtungen. Immer noch haben weltweit 260 Millionen Kinder – vor allem Mädchen – keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen, und 50 Prozent dieser Kinder leben in Kriegs- und Konfliktgebieten. Deshalb bleibt eine Menge zu tun.

Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht es uns, Verbesserungen herbeizuführen, aber auch Verschlechterungen vorzubeugen. Dass das auch im Einklang mit deutschen geopolitischen und strategischen Interessen steht, ist klar. Für die Umsetzung bedarf es aber einer ausreichenden finanziellen Basis, auch, weil sich Partner wie die USA zunehmend auf sich selbst konzentrieren und sich aus der Finanzierung der internationalen Organisationen zurückziehen, und auch, weil andere Länder Entwicklungspolitik für die Erweiterung ihrer machtpolitischen Einflusssphären nutzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um den entwicklungspolitischen Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ weiterzuschreiben, treten jedenfalls wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dafür ein, verstärkt Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit und Bildung zu fördern.

Es braucht deshalb erstens existenzsichernde Löhne für Mütter und Väter, damit Kinder eben nicht zum Lebensunterhalt beitragen müssen und die Schule besuchen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es braucht zweitens einen sozialen Basisschutz, damit ein Arztbesuch nicht den finanziellen Ruin der Familie bedeutet.

Und es braucht drittens bessere Kontrollmechanismen gegen ausbeuterische Kinderarbeit, damit eben Kinder nicht in den Steinbrüchen Pakistans für unsere Pflaster- und Grabsteine ihr Leben riskieren. Hier braucht es auch eine wirklich unabhängige und vertrauenswürdige Zertifizierung.

Lieber Herr Minister, um solche Zertifizierungen effektiv und vertrauenswürdig zu gestalten, schlagen wir als SPD-Fraktion vor, zukünftig eine wissenschaftliche Begleitung aller Initiativen im Bereich der globalen Lieferketten zu etablieren. Dies gilt insbesondere für den diese Woche anlaufenden Grünen Knopf für fair hergestellte Kleidung, aber auch für das bereits laufende Textilbündnis. Das heißt, dass der wissenschaftliche Beirat des Grünen Knopfs ausschließlich und hoffentlich mit fachkundigen und unabhängigen Personen besetzt wird und auch ein Veto- und ein Mitspracherecht haben muss.

Und: Die finanziellen Aufwendungen wissenschaftlicher Untersuchungen müssen in dem entsprechenden Haushaltstitel zusätzlich eingestellt werden. Die zusätzliche Finanzierung betrifft auch die überaus begrüßenswerte Ankündigung unserer Kanzlerin, den Beitrag Deutschlands für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria um rund 18 Prozent auf 1 Milliarde Euro in den nächsten drei Jahren aufzustocken. Zusätzliche finanzielle Versprechen dürfen nicht die bestehende Finanzierung gut laufender Programme gefährden.

(Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])

Das gilt auch hinsichtlich der versprochenen und notwendigen Mittel für die internationale Klimafinanzierung.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir begreifen, dass wir mit den Mitteln der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch einen Beitrag für Frieden, für Klimaschutz, für Bildung und Gesundheit leisten, dann begreifen wir hoffentlich auch, dass dieses Geld gut angelegt ist – für die Menschen, die jetzt darauf angewiesen sind, aber eben auch für unsere zukünftigen Generationen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für die FDP-Fraktion hat nun Dr. Christoph Hoffmann das Wort.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7388062
Wahlperiode 19
Sitzung 111
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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