Carsten SchneiderSPD - Bericht zum Stand der Deutschen Einheit 2019
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass dieses Land frei ist und dass die freie Rede in diesem Land und in diesem Parlament möglich ist, sieht man an Ihnen, Herr Holm. Wenn Demagogen über Ideologie sprechen, dann handelt es sich um Redner der AfD. Und dabei kommt nichts Vernünftiges heraus.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit 30 Jahre nach der Wende debattieren wir hier im Deutschen Bundestag in der Kernzeit, weil es uns wichtig ist, Bilanz zu ziehen, aber auch weil es uns wichtig ist, den Stand der deutschen Einheit, den Stand des Zusammenlebens in unserem Land und den wirtschaftlichen Fortschritt bzw. Nichtfortschritt zu bewerten und auch politisch darüber zu streiten.
Herr Hirte, ich gebe Ihnen bei der Beschreibung des ökonomischen Zustands der DDR recht. Ich glaube, man kann noch hinzufügen, dass nicht nur die Ökonomie vollkommen im Eimer war, sondern auch die Umwelt. Ich sehe Christoph Matschie hier im Plenum sitzen, der einer derjenigen in der DDR war, der die Umweltbewegung mitbegründet und auch die SDP mit nach vorne gebracht hat. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie es war, als Rennradfahrer durch die Stadt Erfurt zu fahren, vom Plattenbau in Erfurt-Süd zum Plattenbau in Erfurt-Nord; das sind etwa 15 Kilometer. Wenn man durch die Innenstadt gefahren ist, hat man vor lauter Dreck und Smog aus den Kohleheizungen nicht atmen können. So war das damals. Die Lage heute ist eine vollkommen andere. Wir reden über ein anderes Land, und ich bin sehr froh, in diesem Land heute leben zu können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Der Bericht zum Stand der Deutschen Einheit zeigt Licht und Schatten. Wir können mit Sicherheit leider nicht feststellen, dass alles glücklich aufgegangen ist. Die Freiheit gehört für mich natürlich elementar dazu. Aber nicht jeder berufliche Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Viele Freunde, die ich habe, viele Bekannte meiner Eltern, die beispielsweise Ingenieure waren, mussten sich nach der Wende mit 30 oder 35 Jahren vollkommen neu aufstellen. Für sie hat sich ihr Leben komplett verändert. Sie haben in dieser Situation beispielsweise einen Dienstleistungsbetrieb aufgemacht, der für sie beruflich gesehen vielleicht nicht so attraktiv war, der aber ihr Auskommen gesichert hat. Es gilt, diesen Menschen in unserem Land Dank zu sagen. Es gilt, auch denjenigen Dank zu sagen, die dies alles in den letzten Jahren mit großer Solidarität finanziell gestemmt haben. Das war eine große, eine gigantische Leistung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Es gibt hinsichtlich der Bewertung aber auch durchaus Unterschiede. Ich will drei Punkte nennen:
Der erste Punkt: Es war ein eklatanter Fehler, auch von weiten Teilen der Union, viel zu lange auf eine Niedriglohnstrategie zu setzen. Wir, die wir aus Thüringen kommen, wissen, dass zum Beispiel die CDU in Thüringen es immer als Standortfaktor gepriesen hat, dass die Löhne dort so niedrig sind. Das Ergebnis sind niedrigste Renten für diejenigen, die jetzt in Rente gehen. Das wollen wir mit der Grundrente ändern.
(Beifall bei der SPD)
Wir wollen ihnen eine Anerkennung geben. Ich hoffe, dass Sie Ihre skeptische Haltung dazu noch ändern werden.
Der zweite Punkt, auch in die Zukunft gedacht: Wir brauchen mehr Innovation. Entscheidend ist – ich komme gleich noch zur Demografie –, dass wir Arbeitsplätze, fitte junge Menschen und kluge Unternehmen nur dann bekommen, wenn wir Innovationen haben. Es hilft nichts, nur auf die jetzige Situation zu schimpfen, nein, im Gegenteil, wir müssen den Spirit der letzten 10, 15 oder 20 Jahre weitertragen. Das bedeutet: Wenn es Gründungsinnovationen gibt, wenn Forschungseinrichtungen neu gegründet werden, dann in Ostdeutschland.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Thüringen!)
Institutionen des Bundes zum Beispiel müssen dort angesiedelt werden.
Ich will Ihnen klar sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Entscheidung der Bundesforschungsministerin, den Zuschlag für die neue Batterieforschungsfabrik – einer der absoluten Zukunftsbereiche – nach Münster zu vergeben, nicht unterstützt. Das hat nichts mit dem Auswahlverfahren zu tun, das sehr schwierig war und sehr umstritten ist, aber wenn man eine Investition von über 500 Millionen Euro für die Zukunft tätigt, dann sollte der Standortfaktor bei der Vergabe eine ganz zentrale Rolle spielen. Eine solche zentrale Rolle hat das in den Überlegungen der Bundesforschungsministerin in ihrem CDU-geführten Haus nicht gespielt. Das ist ein schwerer politischer Fehler.
(Beifall bei der SPD – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Quatsch! Eine ganz normale Standortvergabe!)
Der dritte Punkt, auf den ich eingehen will, betrifft die Demografie. Entscheidend für das Zusammenleben, aber auch für Wachstum und Fortschritt in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist, dass dort in Zukunft noch genügend junge Menschen leben. 2030 wird jeder dritte Bürger über 65 Jahre alt sein. Es fehlen also die jungen Leute. Wenn es uns nicht gelingt, attraktiv zu sein – attraktiv bedeutet weltoffen, tolerant, offen für Menschen aus anderen Bundesländern oder Staaten –, dann wird es uns nicht gelingen, in den ostdeutschen Bundesländern nach vorne zu kommen und eine Gemeinschaft zu entwickeln, die progressiv ist und in der man gut leben kann.
(Beifall bei der SPD)
Herr Holm, Sie haben die Wende jetzt für sich vereinnahmt. Das ist natürlich alles Blödsinn. Wenn es etwas gibt, das ein Arbeitsplatzkiller in Ostdeutschland ist, dann ist es die Korrelation von Wahlergebnissen der AfD mit dem Arbeitsplatzabbau.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jörn König [AfD]: Das ist totaler Quatsch!)
Jedes Unternehmen, jeder halbwegs vernünftige Mensch wird sich überlegen, ob er in ein Land geht, in dem die AfD, die für national-völkische Abschottung ist, das Wort führt. Meine Damen und Herren, auch dies gilt es 30 Jahre nach der Deutschen Einheit zu bedenken.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Mark Hauptmann [CDU/CSU] – Leif-Erik Holm [AfD]: Wir hatten noch nie so viele Urlauber auf Usedom!)
Vielen herzlichen Dank, Carsten Schneider. – Nächster Redner: Thomas Kemmerich für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7391404 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 116 |
Tagesordnungspunkt | Bericht zum Stand der Deutschen Einheit 2019 |