Markus KurthDIE GRÜNEN - Herstellung der Renteneinheit
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Rede von Frau Lötzsch war in mehrerlei Hinsicht sehr traurig, zum einen, weil es ihr überhaupt nicht um Rentenpolitik geht,
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Da haben wir es wieder!)
sondern darum, ein Zerrbild von Spaltung zu schaffen und zu beschreiben, zum anderen, weil Sie hoffen, damit ein paar mehr Stimmen bei der kommenden Landtagswahl in Thüringen zu bekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]: Man kann auch Klartext reden!)
Denn wovon reden wir? Wir reden davon, dass der Rentenwert Ost bei über 96 Prozent im Vergleich zum Rentenwert West liegt. Das ist noch ein ganz kleiner Unterschied, und der wird sich in den nächsten drei bis vier Jahren nicht nur wegen Ihres Gesetzes, sondern auch wegen der zurückliegenden guten Beschäftigungsentwicklung angeglichen haben. Das heißt also: Wir haben zwar noch eine gewisse Ungleichheit, eine kleine – uns wäre auch lieber, ihn würde man sofort aufheben; das will ich dazusagen –, aber sie ist keineswegs so groß, dass man hier in irgendeiner Weise Formulierungen benutzen muss, die, ich finde, wirklich schon fast an der Grenze des Hetzerischen sind, wie: Sie setzen auf eine biologische Lösung. Also, ich kritisiere die Große Koalition auch gerne hart und scharf; das wissen Sie. Aber ihr zu unterstellen, sie würde bei der Rentenpolitik Ost/West jetzt sehenden Auges darauf setzen und hoffen, dass ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner sterben, damit man nicht mehr für sie zahlen muss, ist eine Grobheit, die sich hier eigentlich verbietet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Es ist ja auch falsch. Allein im Jahr 2017 sind aufgrund dieser Höherwertung, die schon mehrfach zur Sprache gekommen ist, rund 29 Milliarden Euro an ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner geflossen: Rentenleistungen, die durch Beitragszahlungen nicht gedeckt sind, da die damaligen DDR-Löhne der heutigen Rentner bei der Rentenberechnung zum Teil dreifach berücksichtigt wurden, und das auch zu Recht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass insbesondere die Zusammenführung der Rentenversicherung ein großer Solidarakt der westdeutschen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler war. Das gehört zur Wahrheit, zu den beiden Seiten der Medaille dazu.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In den Jahren nach der Wiedervereinigung war die Aufwertung der ostdeutschen Löhne auch durchaus gerechtfertigt; denn das Lohnniveau betrug 1992 im Osten nur etwa 42 Prozent des Westniveaus. Das war also ein riesiger Unterschied. Darum war auch die Kompensation, der Ausgleich durch eine Höherwertung gerechtfertigt.
Wo stehen wir heute? Ich habe das von dieser Stelle schon mehrfach gesagt, aber Sie scheinen es sich einfach nicht zu merken. In Jena beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf über 40 000 Euro. In Dortmund, in meinem Wahlkreis, liegt es bei gut 36 000 Euro. In Herne, im nördlichen Ruhrgebiet, in einer strukturschwachen Region ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf etwa 23 000 Euro, also nur fast halb so hoch wie in Jena. Es gibt in Deutschland also Unterschiede in Ost und West. Es ist nicht mehr gerechtfertigt, das an der früheren Grenze zur DDR festzumachen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Bei der Grundsicherung im Alter – da wird in Zukunft einiges auf uns zukommen, auch aufgrund der Phasen nach der Wiedervereinigung – ist der Bezug in Westdeutschland im Moment höher als im Osten. Schauen Sie sich das hier an. Ich kann Ihnen das auf dieser mitgebrachten Karte zeigen. Der Grundsicherungsbezug im Alter ist am niedrigsten in Thüringen und in Sachsen und am höchsten zum Beispiel in Berlin und im Ruhrgebiet.
Frau Präsidentin, ich glaube, Frau Lötzsch möchte mir eine Zwischenfrage stellen.
Erlauben Sie die Zwischenfrage oder ‑bemerkung?
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt Nein sagen!)
Ja, gerne.
Gut.
Lieber Kollege Kurth, Sie halten eine sehr emotionale Rede, haben aber bewiesen, dass Sie meiner Rede überhaupt nicht zugehört haben. Gerade was die Grundsicherungsfrage betrifft, habe ich explizit darauf hingewiesen, dass es im Augenblick weniger Grundsicherungsempfänger im Osten gibt, dass aber viele Studien, zum Beispiel vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, darauf hingewiesen haben, dass sich die Anzahl im Osten in Zukunft verdoppeln wird. Wir arbeiten hier, denke ich, nicht für die Vergangenheit, sondern vor allen Dingen für die Zukunft. Und wir haben eine Verpflichtung – das ist eine Zwischenbemerkung; Sie müssen darauf nicht antworten, wenn Sie nicht wollen, können Sie aber natürlich –, für die Zukunft der Rente zu arbeiten, statt zu betrachten, wie es heute ist. Unsere Verantwortung als Politikerinnen und Politiker – so verstehe ich das jedenfalls – geht über den Tag hinaus. Und gerade die Rentenfrage geht über den Tag hinaus.
(Beifall bei der LINKEN)
Frau Lötzsch, selbstverständlich haben wir die Verpflichtung, in die Zukunft zu blicken. Mir sind diese Prognosen zum Grundsicherungsbezug auch durchaus bekannt.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann ist doch alles gut!)
Darum schlägt meine Fraktion das Instrument der Garantierente vor, mit dem die Rente von langjährig Versicherten deutlich über Grundsicherungsniveau aufgewertet wird, und zwar in Ost und West gleichermaßen. Es ist also ein vereinigendes Element gegen Altersarmut.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In Ansätzen hat ja auch die Große Koalition, wenngleich nicht so schön wie wir mit der Garantierente, zumindest ein Schrittchen in Richtung Grundrente gemacht. Das heißt also, es geht nicht darum, aufgrund von regionalen Zugehörigkeiten in Ost und West Unterschiede zu zementieren oder sogar aufzubauen. Vielmehr geht es darum, sich auf Instrumente für die Zukunft zu besinnen, die in Deutschland gleiche Lebensverhältnisse herstellen. Das ist das Entscheidende.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das hat sie doch gesagt! Was werfen Sie denn Frau Lötzsch vor?)
Ich hatte gerade die Bruttoinlandsprodukte genannt und verglichen. Ich könnte dasselbe auch für die Verdienste machen: Durchschnittsentgelte in ausgewählten Kommunen. Ich habe aber nicht mehr viel Redezeit, deshalb stelle ich das auf meiner Seite online, dann können Sie das nachlesen.
Ich glaube nicht – das will ich abschließend an dieser Stelle sagen –, dass die Strategie, die Sie immer wieder und offensichtlich verfolgen – Sie planen das auch wieder für die nächste Sitzungswoche –, nämlich in besonders aggressiver und verzerrender Weise das Bild vom benachteiligten, armen, zu kurz gekommenen Ostdeutschen zu zeichnen, einschlagen wird. Ich glaube nicht, dass sich das für Sie auszahlt. Dass diese Strategie nicht aufgeht, haben die zurückliegenden Landtagswahlen gezeigt.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ja!)
Ich befürchte, dass möglicherweise ganz andere – Herr Straubinger hat schon darauf hingewiesen –, die Sie und wir hier im Parlament nicht wollen, jedenfalls nicht in einer signifikanten Stärke, von dem profitieren, was Sie hier veranstalten. Sie sollten wirklich noch einmal in sich gehen und überlegen, ob Sie strategisch mit der Rhetorik, die Sie hier betreiben, wirklich auf der Höhe sind.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Vielen herzlichen Dank, Markus Kurth. – Nächster Redner in der Debatte: Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7391937 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 116 |
Tagesordnungspunkt | Herstellung der Renteneinheit |