Frank HeinrichCDU/CSU - Soziales Entschädigungsrecht
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten kommt man in eine Debatte – zumindest was das Thema angeht, und es gibt auch eine so große Übereinstimmung –, wo ich so dankbar bin, was die Vorschläge, die vom Ministerium kommen und von uns jetzt bewertet werden, angeht. Das hat sich dann um 13.24 Uhr schlagartig geändert, nicht dem Inhalt nach, sondern weil ich mich fragte, auf welchen Weg wir da in der Debatte geführt wurden. – Ich bin aus zwei Gründen besonders dankbar:
Sie, Minister Heil, haben am Anfang gesagt: Wir müssen uns die Opfer vor Augen führen. – Ich bin ja Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales wie auch im Menschenrechtsausschuss. Als Menschenrechtler freue ich mich besonders, dass das Thema Menschenhandel von Ihnen und von einem anderen Kollegen angesprochen worden ist. Heute ist der Europäische Tag gegen Menschenhandel, und ich habe einige Kollegen gesehen, die mit diesem Bändchen rumlaufen und ganz bewusst für Freiheit auftreten. Ich freue mich darüber, dass das jetzt den Grund und Boden abgibt und vielleicht auch den Grundwasserspiegel hebt, auch für andere als Vorbild.
Zum Zweiten freue ich mich als ehemaliger Sozialarbeiter. Da habe ich tatsächlich eine Person vor Augen: Damaris – Name geändert, aus Absicht. In meiner Sozialarbeiterzeit hatte ich eine Tafel gegründet. Meine erste Mitarbeiterin war diese Damaris. Ja, und sie war schusselig. Das haben wir alles darauf geschoben, dass sie ein bisschen einfach gestrickt war. Und dann hatte sie eine Macke irgendwo am Kopf. Dafür gab es eine Erklärung: Ich bin an der Kellertreppe hängen geblieben. – Und Ähnliches. Irgendwann mal besuchte ich ihren Mann im Krankenhaus, weil er im Wald umgefallen war. Ich habe ihn gefragt, was denn los sei, wenn man ihn beim nächsten Mal nicht pünktlich fände, und Scherze gemacht. Am nächsten Tag hat er sich selbst mit Unterschrift aus dem Krankenhaus entlassen. Die erste Tat war, zum Telefon zu gehen und seine Frau anzurufen, um Damaris anzukündigen: Du, da kommen nachher zwei Männer. Sei bitte zu Hause, die haben schon für dich bezahlt. – Da überschneiden sich die beiden Themen „Menschenhandel“ und „sexueller Missbrauch“. Sie ist sofort abgehauen. Das ist für jeden von uns nachvollziehbar. Sie ist dann ein paar Tage später, als sie vermutet hat, dass er nicht zu Hause ist, in die Wohnung, um irgendwas zu holen, und fand ihn tot in der Wohnung liegen. Dann konnte sie sich öffnen, und dann hat sie erzählt, was sie alles in ihrer Familie, in ihrer Ehe, in ihrer Beziehung erlebt hat.
Dieses ganze Trauma, dieses ganze Schicksal dahinter müssen wir uns vor Augen führen, wenn wir verstehen wollen, was Menschen begegnen kann. Dann konnte sie sich öffnen und mir als Leiter der Einrichtung auch erzählen, dass sie am Heiligen Abend im Jahr zuvor den Fehler gemacht hatte, sich neben mich zu setzen – wir hatten eine Feier für Menschen am Rand der Gesellschaft gemacht –, und aus Eifersucht hatte sie von ihrem Mann die größten Prügel ihres Lebens dafür bekommen. Auf einmal ist man hautnah dran. Deshalb freue ich mich über das Leistungsspektrum bei der Reform für Opfer sexueller Gewalt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich freue mich über die gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung von Traumaambulanzen. Ich freue mich, dass dies nicht nur in Akutfällen, sondern auch zur Bewältigung wieder hochkommender, zum Teil sehr weit zurückliegender Erlebnisse möglich ist. Bei Damaris war es so: Wenige Monate später hat sie sich einem ähnlich gestrickten Mann an den Hals geworfen.
Ich freue mich über die Einführung der Vermutungsregelung. Bislang musste der Nachweis geführt werden, dass eine Kausalität zwischen der Gewalttat und den Schädigungsfolgen besteht. Dieser war sehr schwer zu erbringen. Wenn man nicht nur den Fall von Damaris, sondern auch viele andere kennt, weiß man das. Diese Reform enthält eine weitgehende Vermutungsregelung zum Nachweis der Kausalität zugunsten von Opfern psychischer Gewalt.
Es ist sehr gut, dass es in den meisten Fällen keine Anzeigepflicht gibt. Sie, Frau Lötzsch, haben das angesprochen. Bislang war Anzeigeerstattung die Grundvoraussetzung. Wenn man Menschen ganz am Rand oder ganz im Schatten und mit viel Scham kennt und vor Augen hat, dann weiß man: Das ist fast nicht möglich für diese Menschen. Jetzt muss man keine Strafanzeige mehr stellen.
Ich freue mich über die Erleichterungen bei der Antragstellung für die Traumaambulanz. Sie hatten das angesprochen, Herr Heil. Ich bin dankbar, dass es keinen Anspruchs- und Leistungsausschluss mehr bei Rückkehr zum Täter gibt; denn das ist eine ambivalente Beziehung. Bei dem, was in diesem geschlossenen System passiert, ist oft die einzige Person, zu der man überhaupt gehen kann, der, der auch der Gewalttäter war.
Der Gewaltbegriff wird ausgeweitet. Sexualisierte Gewalt äußert sich eben nicht nur durch körperliche Angriffe, sondern auch in anderen Formen, die nötigend auf die Willensentscheidung der Betroffenen einwirken. Daher sind die Leistungen und die soziale Entschädigung nicht nur für Opfer körperlicher, sondern auch für die Opfer psychischer Gewalt möglich.
Es freut mich unter anderem auch als Menschenrechtler – damit komme ich zum Schluss –, dass es auch Leistungen für Betroffene geben wird, die durch die Herstellung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung von Kinderpornografie geschädigt worden sind und geschädigt werden – in unserem Land leider viel zu viel. Ich wünschte mir, dass wir sogar über die Fälle nachdenken, wo die Schädigung von hier ausgeht, aber in einem anderen Land, durch die neue Mobilität, stattfindet, dass wir darüber nachdenken.
Herr Heinrich, jetzt aber wirklich.
Herr Kartes hat gerade den Fonds Sexueller Missbrauch angesprochen; ich will das nicht wiederholen. Ich freue mich, dass Herr Spahn vorgestern noch einen Zusatz gebracht hat: Spurensicherung als Kassenleistung. Lassen Sie uns darüber nachdenken, ob es vielleicht nicht sogar sinnvoll ist, das noch hinzuzufügen.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7395712 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 119 |
Tagesordnungspunkt | Soziales Entschädigungsrecht |