Saskia EskenSPD - Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diese Richtung des Parlaments sage ich: Mit Ihnen, mit einer Partei, die Portale zur Denunziation von Lehrkräften eingerichtet hat, die Ihnen unliebsam sind,
(Zuruf von der AfD: Das ist doch Schwachsinn!)
die schwarze Listen mit Namen von Journalisten aufstellt, die unliebsame Meinungen äußern, rede ich gar nicht über die Meinungsfreiheit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Dann können wir es auch lassen!)
– Nein, mit Ihnen rede ich nicht über die Meinungsfreiheit.
Auf Antrag der FDP diskutieren wir über die Meinungsfreiheit.
(Zurufe)
– Jetzt sind Sie mal still!
(Beifall des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE])
Ehrlich gesagt: Ich habe bis jetzt noch kein Wort über die Meinungsfreiheit gehört, sondern nur darüber, ob Meinungen geäußert werden können, dass man Meinungen äußert und wie man sie wahrnimmt. Die Meinungsfreiheit wird in unserer Verfassung gegenüber dem Staat gewährt. Der Staat darf die Meinungsfreiheit nicht einschränken. Er tut es nur im Rahmen des Strafgesetzes.
(Fabian Jacobi [AfD]: Deswegen meinen Sie als SPD, Sie können es!)
– Sind Sie jetzt dran, oder bin ich jetzt dran? Alles klar. Das würde ich auch vorschlagen. Sie haben gerade gesprochen; das war lang genug. – Volksverhetzung, Verleumdung und Beleidigung sind eben nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Es ist zum Beispiel auch nicht erlaubt, den Holocaust zu leugnen. Vieles andere, was wir zum Beispiel hier jeden Tag erleben müssen, ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt und schwer zu ertragen. Aber wir halten es aus. Wir sind eine starke demokratische Gesellschaft.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man darf ihnen widersprechen!)
Wir haben die sprachgesetzlichen Beschränkungen vor langer Zeit vereinbart. Sie werden meines Wissens selten infrage gestellt. Die wenigen Beschränkungen der Meinungsfreiheit sind also Konsens. In Deutschland gibt es eine sehr weitgehende Meinungsfreiheit – und das seit langer Zeit.
Warum diskutieren wir also heute über die Meinungsfreiheit, über das Thema „Meinungsfreiheit in Deutschland verteidigen“? Gibt es neue Bestrebungen des Staates gegen die Meinungsfreiheit, die wir irgendwie verpasst haben? Aktueller Aufhänger unserer Debatte ist eine Allensbach-Umfrage, die die Zeitung mit den vier großen Buchstaben noch einmal aufgewärmt hat. Ich zitiere:
Erschreckende Umfragen: Deutsche trauen sich nicht, offen ihre Meinung zu sagen!
Renate Köcher von Allensbach hat mit der Interpretation ihrer Umfrage in einem Namensbeitrag für die „FAZ“ ein erschreckendes Fehlverständnis der Meinungsfreiheit an den Tag gelegt. In diesen fast schon suggestiven Fragen und Befunden geht es eben nicht um Beschränkungen der Meinungsfreiheit durch den Staat oder durch andere dunkle Mächte. Es geht schlicht darum, ob man fürchten muss, für eine geäußerte Meinung Widerspruch oder Kritik zu ernten.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Liebe Frau Köcher, es gibt in Deutschland ein Recht darauf, so ziemlich jede Meinung zu äußern, ohne staatliche Repression zu befürchten.
(Martin Reichardt [AfD]: Dann fragen Sie mal die Kinder in der Schule!)
Es droht uns kein Maulkorb. Es droht uns kein Berufsverbot, keine Gefängnisstrafe.
(Frank Pasemann [AfD]: Sie glauben das, ja?)
Es gibt andere Länder auf dieser Welt, wo das so ist. Dass man eine Meinung aber ohne Widerspruch oder ohne Kritik äußern darf, dafür ist unsere Verfassung nun wirklich nicht zuständig, und ich glaube, das ist auch gut so.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)
Die „Zeit Online“ macht dazu deutlich – ich zitiere –:
Vor allem aber schützt keine Meinungsfreiheit vor der Meinungsfreiheit der anderen. Kritik, auch harte, gehört zum freien Diskurs, und das gilt für alle gleichermaßen.
Ganz aktuell empört sich nun der Vorsitzende der Liberalen darüber – leider ist er nicht da –, dass er auf Einladung der Liberalen Hochschulgruppe an der Hamburger Uni sprechen sollte, die Veranstaltung vom Präsidenten aber abgesagt wurde. Herr Lindner hat deshalb einen Brief an die Hamburger Wissenschaftssenatorin Fegebank geschrieben und fordert sie darin auf, sich klar hinter die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit zu stellen. Lieber Kollege Lindner, die Meinungs- und auch die Wissenschaftsfreiheit sind vom Staat zu gewähren, nicht von der Präsidentin einer Hochschule.
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der AfD und der FDP – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das sind Sozialdemokraten! Da sind wir gelandet! Das ist wunderbar!)
– Nein, sie ist keine Vertreterin des Staates; sie hat Hausrecht. Der Staat ist aber nicht dafür zuständig, Ihnen ein Podium zu gewähren oder ein Publikum zu garantieren.
(Martin Reichardt [AfD]: Das ist doch ein Hohn!)
Auch Sie, Herr Lindner – richten Sie es ihm vielleicht aus –, haben, wie ich gehört habe, einen bekannten deutschen Satiriker aus Ihrer Debattenplattform bei Twitter ausgeschlossen, man hat gesagt: geblockt. Nach Ihrem Verständnis der Meinungsfreiheit könnte ich ebenso gut an Sie appellieren: Herr Lindner, heben Sie diesen Block wieder auf; gewähren Sie meinem Genossen Jan Böhmermann Meinungsfreiheit. – Also ehrlich!
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesellschaft hat im Großen und Ganzen verlernt, in aller Ruhe mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen und sauber zu diskutieren.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was ist mit der Uni in Hamburg?)
Die Willensbildung und die kontroverse Debatte ist unsere Aufgabe; auch das steht in der Verfassung. Wir als Parteien haben die Aufgabe, die Willensbildung zu befördern, und zwar auch in kontroversen Debatten.
(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das ist doch gar keine Debatte! Die haben Sie gar nicht zugelassen!)
Da müssen wir aushalten, dass Menschen ihre Meinung sagen.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Herr Lindner durfte seine Meinung gar nicht sagen!)
„Die Zeit“ ist zu der Auffassung gelangt: Wenn Allensbach auf der Grundlage dieser Studie behauptet, die Meinungsfreiheit in Deutschland sei in Gefahr, dann bedient sie rechte Ressentiments. – Darauf sollten wir uns nicht einlassen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Totschlagargument! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Super Rede! Erstklassig!)
Das Wort hat der Kollege Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7396472 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 120 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland |