23.10.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 120 / Zusatzpunkt 1

Friedrich StraetmannsDIE LINKE - Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Meinungsfreiheit, wie sie in Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz festgelegt ist, ist ein hohes Gut und ihre Verteidigung eine ehrenwerte Angelegenheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich muss Ihnen hier nicht erklären, dass es sich bei der Meinungsfreiheit um ein Schutzrecht gegen den Staat handelt, jedoch die bisherige Debatte zeigt, dass wir hier über etwas ganz anderes reden, nämlich die Richtung und die Art und Weise, die Debatten in der Gesellschaft eingeschlagen haben. Ich komme nicht umhin, zu sagen, dass mir das großes Unbehagen bereitet.

Da ist beispielsweise der Hang zur brachialen Polarisierung und die zunehmende Brutalität und Lautstärke der Sprache. Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, gehöre ich eher zu den leiseren Mitgliedern meiner Fraktion und kann Ihnen sagen: Ich würde mir manchmal auch von den eigenen Leuten Dinge anders wünschen. Aber wir müssen uns in dieser Angelegenheit als Demokratinnen und Demokraten doch gerademachen und dürfen uns keinen Illusionen hingeben, wo diese Dinge herkommen, die die Diskussionskultur vergiften. Sie kommen von rechts außen und haben ihre Repräsentanten in dieser Truppe gefunden.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Reichardt [AfD]: Das ist doch ein Hohn!)

Ihnen wird tagein, tagaus der Raum gegeben, mit ihrem Geschrei und wüstem Gepöbel unsere Debatten hier im Haus zu prägen.

Damit nicht genug. Auf Straßen und Marktplätzen dieser Republik werden in einer unerträglichen Wortwahl Themen und Inhalte in die Welt gesetzt, die noch vor nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen wären.

(Martin Reichardt [AfD]: Das ist Demonstrationsfreiheit! Ein hohes Gut!)

Das Schlimmste aber ist, dass den selbsternannten Vertreterinnen und Vertretern der bürgerlichen Mitte kein Gebrüll da draußen zu grob ist, als dass es nicht in der einen oder anderen Form Eingang in unsere Debatten finden würde.

Der Vorfall mit Herrn Lindner an der Uni Hamburg ist angesprochen worden. Ich will zu der Kollegin Esken noch einen Nachsatz bringen: Nach der Vergabeordnung für Räumlichkeiten der Uni Hamburg, Raumvergabebestimmungen, heißt es in § 4 Nummer 6d, dass Räume nicht wegen parteipolitischer Veranstaltungen vergeben werden.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Außer an Frau Wagenknecht! – Martin Reichardt [AfD]: Sie verstecken sich doch in Formalismen, weil Sie in der Sache nichts zu sagen haben!)

Es liegt dann doch nahe, dass vielleicht eine solche Veranstaltung dort stattfinden sollte.

Ich will aber Herrn Lindner die Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht absprechen. Zu Recht beklagt er, dass das Wohnhaus eines Parteikollegen aus Thüringen mit Farbe besprüht worden ist. Das ist ein Beispiel für Angriffe auf das Privatleben politisch engagierter Menschen, wie sie sich in den letzten Jahren zunehmend gehäuft haben.

(Martin Reichardt [AfD]: Sie sind der Beweis, dass Demokratiefeinde auch leise reden können!)

Aus diesem Grund forderte kürzlich der Parlamentarische Geschäftsführer meiner Fraktion, Jan Korte, dass die Privatadressen dieser Menschen besser geschützt werden müssen – ein Vorhaben, dem sich die Justizministerin offensichtlich anzuschließen gedenkt.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ute Vogt [SPD])

Das begrüße ich ausdrücklich.

Aber Sie und Ihre Kollegen wie auch Mitglieder der Unionsfraktion handeln im Hinblick auf diese Bedrohungen falsch. Sie versuchen, das Gebrüll von rechts zu beschwichtigen, indem Sie nach links austeilen, weil Ihnen das der einfachere Weg zu sein scheint. Herr Kubicki hat das ja in der Begründung seines Ordnungsrufs gegen meine Fraktionskollegin Martina Renner auch ausdrücklich so festgehalten. Der Ordnungsruf erfolgte, um diese Truppe hier rechts zu beruhigen. Wenn das als Strategie für den bürgerlichen Antifaschismus im Jahre 2019 Schule macht, dann ist es um unsere Demokratie schlecht bestellt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn diese Leute werden sich nicht beruhigen lassen. Bisher haben sie noch jeden Zentimeter Raum, den Sie ihnen gelassen haben, für sich und für ihre spalterische und hetzerische Propaganda genutzt. Wenn wir also über die Verhinderung einer Vorlesung wie die von Herrn Lucke in Hamburg reden, müssen wir diesen Aspekt immer auch im Hinterkopf behalten.

(Karsten Hilse [AfD]: Das kann nicht wahr sein! Sie relativieren die Einschränkung der Meinungsfreiheit!)

Bei aller begründeten Kritik am Vorgehen der Studierenden: Die Verrohung geht von rechts aus und wird auch erst aufhören, wenn die bürgerliche Mitte aufhört, ihr immer wieder nachzugeben, wie auch hier und heute in dieser Debatte.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Bedrohung hat doch weit gravierendere Auswirkungen als den Ausfall einer Vorlesungseinheit zu Makroökonomie II. Kommunalpolitikerinnen und ‑politiker ziehen sich zurück, weil sie den Druck auf sich und ihre Familien einfach nicht mehr aushalten, und das nicht erst seit letzter Woche.

(Martin Reichardt [AfD]: Das kennen wir!)

Meinungsfreiheit bedeutet nicht, wie das von rechts immer gerne dargestellt wird, dass man Dinge widerspruchsfrei äußern kann.

Ich begrüße übrigens sehr, dass im Anschluss an die Protestaktion gegen Herrn Lucke an der Universität ein moderiertes Gespräch der Unileitung mit ihm und dem AStA stattgefunden hat und sein Seminar am nächsten Tag stattfinden konnte.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Kubicki [FDP]: Heute durfte er wieder keine Vorlesung halten!)

Dass er aber kurz darauf – und damit nur wenige Tage nach dem Anschlag von Halle – seine eigene Situation mit der von Juden im Dritten Reich gleichsetzt, trägt keinesfalls zu einer Beruhigung der Lage bei.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten alle etwas runterfahren und nicht mit dem Finger aufeinander zeigen.

(Martin Reichardt [AfD]: Das machen Sie ständig!)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Manuela Rottmann das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7396473
Wahlperiode 19
Sitzung 120
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland
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