Barbara HendricksSPD - Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicher bin ich nicht die einzige Abgeordnete in diesem Haus, die sich schon Beleidigungen hat anhören müssen, vermutlich gibt es kaum jemanden in den demokratischen Fraktionen,
(Karsten Hilse [AfD]: In allen Fraktionen! Alle Fraktionen sind demokratisch!)
der nicht schon bedroht, diffamiert und bepöbelt wurde.
(Karsten Hilse [AfD]: Alle Fraktionen sind demokratisch!)
– Es sind alle Mitglieder aller Fraktionen demokratisch gewählt – das ist nicht zu bestreiten –; aber es sind nicht nur Demokraten gewählt worden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)
Ich persönlich bin meistens relativ gelassen mit Beleidigungen umgegangen, nur selten habe ich etwas zur Anzeige gebracht. Die Kollegin Renate Künast hat dies jedoch kürzlich getan. Sie wurde auf Facebook aufs Übelste beschimpft und hat sich dagegen gewehrt. Das Landgericht Berlin wertete Beschimpfungen wie – ich zitiere – „Dreckschwein“ und „Sondermüll“ allerdings nicht etwa als Beleidigungen, sondern als – ich zitiere wieder – „legitime Meinungsäußerungen“ mit Sachbezug. Die Richter hatten auch die Aussage, man müsse der Kollegin Renate Künast „die Fresse polieren“, als sachbezogen bewertet. Gegenstand des Gerichtsverfahrens waren auch noch deutlich schlimmere Beleidigungen, die ich hier nicht wiederholen will. Ich halte das Urteil für gefährlich.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Es wird doch revidiert vom Kammergericht!)
Ich will nicht im eigentlichen Sinn eine Urteilsschelte machen. Aber im Ergebnis halte ich es für gefährlich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es zeigt ein Problem, das es zwar immer gab, das mit dem Wiedererstarken des Rechtsextremismus jedoch eine neue Dimension erreicht hat. Es geht um die Frage, was wir unter Meinungsfreiheit verstehen. Da lohnt natürlich ein Blick in Artikel 5 des Grundgesetzes:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
Dies ist ein hohes Gut und ein Gradmesser für alle demokratischen Staaten.
Das Grundgesetz garantiert jedem Menschen in Deutschland, seine Meinung frei zu äußern und sie mit anderen zu teilen – allerdings, und das darf nicht vergessen werden, ist die Voraussetzung allen Handelns in diesem Land Artikel 1 des Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Das berücksichtigt eben auch Artikel 5 des Grundgesetzes, indem zwar jedem das Recht eingeräumt wird, seine Meinung zu äußern, jedoch nur, solange die Würde anderer Menschen gewahrt wird. Dies vergessen leider viele, wenn sie davon reden, dass es in diesem Land keine echte Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gebe.
Auch das Strafrecht setzt natürlich klare Grenzen: Es gibt zahlreiche Straftatbestände, die regeln, was noch unter Meinungsfreiheit zu verstehen ist und wo Grenzen überschritten werden. Dazu zählen unter anderem Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Volksverhetzung, und zwar ausdrücklich und einschließlich der Leugnung des Holocaust. Wenn in unserem Land eine wegen Leugnung des Holocaust rechtskräftig verurteilte Delinquentin einen Unterstützerkreis hat, der sie mit Finanzmitteln ausstattet, so ist das gewiss eine nonverbale Meinungsäußerung, aber als solche noch nicht strafbar.
Neben der rechtlichen Dimension gibt es natürlich auch eine politisch-philosophische Dimension, die für unser Zusammenleben ganz elementar ist. Rosa Luxemburg drückte es so aus: Die Freiheit ist immer auch zugleich die Freiheit der Andersdenkenden.
(Stefan Keuter [AfD]: Das haben Sie aber nie ernst genommen! Sie meinen immer nur die Freiheit anders links Denkender!)
Das impliziert, dass der Andersdenkende sich auf diese Freiheit berufen kann, aber unmittelbar und zugleich die Freiheit des wiederum Andersdenkenden zu respektieren hat.
Gerade unsere parlamentarische Demokratie lebt von der Vielfältigkeit der Meinungen, und über diese lässt sich natürlich vortrefflich streiten. Doch dabei geht es um inhaltliche, sachbezogene Differenzen. Ich bin nicht immer einer Meinung mit den Kolleginnen und Kollegen etwa der Union, respektiere jedoch ihre Meinung und weiß, dass auch die Abgeordneten von CDU und CSU meine Meinung respektieren. Dies ist eine wesentliche Errungenschaft unserer Demokratie.
Wir müssen jedoch unterscheiden zwischen Meinungen und Hetze. Denn leider sitzen heute in deutschen Parlamenten wieder Rechtsextremisten. Auch in diesem Haus gibt es Abgeordnete, die immer wieder die Meinungsfreiheit bedroht sehen, weil Menschen den kruden und teils menschenverachtenden Thesen der AfD widersprechen. Der Abgeordnete Gauland sagte im Mai, Grüne und Linke hätten sich schon seit Langem daran gemacht, die Meinungsfreiheit schleichend und schrittweise einzuschränken. Die beiden Vorredner der AfD haben genau dieses auch zum Ausdruck gebracht, wie Herr Gauland es auch im Mai gesagt hat.
(Dietmar Friedhoff [AfD]: Weil es stimmt! – Stefan Keuter [AfD]: Weil es die Wahrheit ist!)
– Genau darauf kommen wir: Was ist die Wahrheit?
Herr Gauland, Ihnen und Ihren absurden Vorstellungen vom Traum eines völkischen und autoritären Staates zu widersprechen, ist nicht nur genau die Meinungsfreiheit, die sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes gewünscht haben, meiner Meinung nach ist es die Pflicht jeder Demokratin und jedes Demokraten in diesem Land,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ihnen immer zu widersprechen, wenn Sie und Ihre Anhänger Menschen ausgrenzen und Minderheiten gegeneinander ausspielen. Denn es gibt nicht die Freiheit, unwidersprochen nationalistische Hetze zu verbreiten.
Das verstehen Sie jedoch nicht. Sie verstehen unter Meinungsfreiheit, Ihre Ideologie zu verbreiten, und Sie sehen jede Kritik an Ihren Thesen als Einschränkung Ihrer Freiheit -
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Quatsch! – Martin Reichardt [AfD]: Haben Sie die Shell-Studie gelesen? 68 Prozent der Jugend sehen das so!)
Kollegin Hendricks, achten Sie bitte auf die Zeit.
– noch einen Satz, Frau Präsidentin – und leiten daraus eine vorgebliche Opferrolle ab.
(Widerspruch bei der AfD)
Genauso, wie wir die teils unerträglichen und herabwürdigenden Ausführungen der AfD in diesem Haus und in der öffentlichen Debatte ertragen müssen, werden Sie unseren Widerspruch ertragen müssen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Fabian Jacobi [AfD]: Herabwürdigende Äußerungen der SPD! Wie wäre es denn damit?)
Das Wort hat der Kollege Konstantin Kuhle für FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 19 |
Session | 120 |
Agenda Item | Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland |