23.10.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 120 / Zusatzpunkt 1

Helge LindhSPD - Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland

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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Kollege Kuhle, ich habe weitestgehend mit Freude Ihren Ausführungen gelauscht, erlaube mir aber, anzumerken, dass allein dadurch, dass Herr Lindner mit JuLis an einer Hochschule spricht, sie nicht automatisch ihre eigene Filterblase und Echokammer verlassen. Dazu gehört noch mehr.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Was ist denn mit Frau Wagenknecht?)

Eigentlich wollte ich mich zu Beginn Herrn Reichardt und Herrn Jongen zuwenden und folgende Frage aufwerfen: Was bilden Sie sich eigentlich ein, wenn Sie hier behaupten, Sie sprächen für das Volk und die Jugend? Das Volk und die Jugend wollen zum überragenden Teil von Ihnen nachweislich nichts wissen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe nie verstanden, wieso Sie in Ausübung Ihrer Meinungsfreiheit, die Sie ja in diesem demokratischen Land genießen, hier immer von den Altparteien sprechen.

(Frank Pasemann [AfD]: Sie reden doch auch von den Altparteien! Tun Sie doch nicht so!)

Ist alt ein Makel? Ist es defizitär in diesem Land, alt zu sein?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Alte weiße Männer!)

Ich glaube nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte mein eigenes De-Maizière-Erlebnis und könnte es mir jetzt ganz einfach machen und sagen: Ich bin selbst Opfer dieser schrecklichen Gesinnungsdiktatur, von der Sie sprechen. Sie existiert aber nicht. Ich habe Folgendes erlebt: Ich wollte in Wuppertal, in meinem Wahlkreis, auf einer Kundgebung gegen eine Sprechstunde von drei AfD-Bundestagsabgeordneten sprechen und wurde davon abgehalten – zunächst auf der Bühne von mehreren Sprechern; immerhin mit einer Abstimmung –, begründet damit, dass ich in diesem Hause Anfang Januar das Migrationspaket offensiv vertreten und dem zugestimmt habe.

(Frank Pasemann [AfD]: Ja! – Martin Reichardt [AfD]: Warten wir ab bis Sonntag! Dann werden wir sehen, wie viele Leute in Thüringen Sie gewählt haben!)

Die Veranstaltung lief dann so, dass wir eine Stunde diskutiert haben, ob ich sprechen könne oder nicht. Am Ende habe ich gesprochen und darauf hingewiesen, dass wir in dieser einen Stunde leider diesen drei AfD-Abgeordneten ein Freudenfest bereitet haben, indem wir nämlich untereinander, unter Demokratinnen und Demokraten, diskutierten, ob wir Rassisten seien oder nicht, und uns nicht auf die eigentliche Herausforderung des Rassismus konzentrierten.

Meine Schlussfolgerung daraus ist aber nicht, zu denken, diejenigen, die verhindern wollten, dass ich da spreche, die die Meinungsfreiheit nicht wirklich verstanden haben, seien Ausüber einer Gesinnungsdiktatur – mitnichten. Meine und unsere Antwort darauf sollte sein, sie erst recht einzuladen, miteinander über Migrationspolitik, Klimapolitik und andere Fragen zu diskutieren; denn das sind der Kern und das Wesen unserer Demokratie. Das macht es aus. Und weil das so ist, weil wir keine Meinungsdiktatur und keine Gesinnungsdiktatur haben, nur deswegen können Sie hier so sprechen, wie Sie es tun. Sie haben Ihre eigenen Behauptungen glänzend widerlegt.

Die Geschichte über das Erlebnis der Einschränkung der Meinungsfreiheit auf meine eigenen Kosten ist aber noch nicht zu Ende. Ich war mit Herrn Frohnmaier bei „Studio Friedman“ zu Gast – das Thema war Antisemitismus – und musste erleben, wie mir Sympathisanten des Rechtspopulisten schrieben – das sind die harmlosesten Formulierungen –: Du Gollum, du Gnom mit Eunuchenstimme, du Ausgeburt der SPD-Inzucht. – Ich glaube, das macht deutlich, dass das, was Sie seitens der AfD hier in Bezug auf Meinungsfreiheit vorführen, zutiefst bigott ist.

(Beifall des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])

Sie fordern zu Recht für sich Meinungsfreiheit ein, wenn sie Sie aber trifft, treten Sie nicht wie die Vertreter des deutschen Volkes und der deutschen Jugend auf, sondern wie die Vertreter des Bundesverbandes der Mimosen und Selbstmitleidigen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU])

Das ist genau der Punkt. Sie können selbst nicht mit Meinungsfreiheit umgehen, und Ihre Sympathisanten können das noch weniger. Deshalb reicht es, glaube ich, auch nicht, dass wir über Meinungsfreiheit sprechen, und es reicht auch nicht – auch wenn das sehr wichtig ist –, dass wir über das Grundgesetz sprechen. Es gibt noch andere Dinge, in die das eingebettet werden muss. Ich benenne diese Dinge: Es gibt so etwas wie politischen Anstand. Es gibt so etwas wie Respekt und Höflichkeit.

(Martin Reichardt [AfD]: Da reden Sie als Ahnungsloser!)

Sie haben viel dazu beigetragen – da können wir uns alle auch manchmal kritisch betrachten –, dem Diskurs in diesem Land manchmal diesen Respekt und diese Höflichkeit auszutreiben. Viele begreifen Meinungsfreiheit nämlich als „man meint, das Recht zu haben, alles sagen zu können, und das unwidersprochen“. Das hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. Es gibt zu Recht, richtigerweise bestimmte Tabus. Es gibt Dinge, die man nicht sagt. Dabei geht es nicht nur um die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit, sondern dies hat etwas mit den Grundwerten von deutschen Sekundärtugenden

(Lachen bei der AfD)

– wenn man sie so nennen mag – zu tun und damit, wie man anständig mit dem anderen umgeht. Das ist auch ein wesentliches Element. Dazu gehört auch – es wurde schon erwähnt –, dass Sie zum Beispiel den Kollegen Roth wiederholt mit Abmahnungen überziehen. Sie verstehen es nicht, mit Meinungsfreiheit umzugehen. Wenn Sie einmal davon selbst betroffen sind, ziehen Sie sich zurück und greifen zu allen Instrumenten, aber nicht zum Argument. Das zeigt Ihre Schwäche.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich glaube, wir sollten uns nicht von dieser Unkunst der Instrumentalisierung des Missbrauchs treiben lassen. Wir sollten genug Vertrauen in die Demokratie haben, dass wir den Streit austragen können, dass wir das überstehen und dass diese Demokratie stärker sein wird -

Herr Kollege Lindh, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

(Karsten Hilse [AfD]: Ihre Redezeit, Herr Lindh!)

– als ihre Herausforderer. Ich freue mich – wenn ich das zum Schluss sagen darf – über die Linken und Grünen, die die von mir vertretene Migrationspolitik so hart wie möglich kritisieren; denn das macht meine Position klarer und besser.

Setzen Sie jetzt den Punkt.

Die Exzellenz aus dem anderen Lager – seien es die Liberalen, sei es die Union, seien es die Linken, seien es die Grünen – hilft uns und mir, unsere eigene Position zu stärken. Das ist es, was wir brauchen. Das ist der Kern von Meinungsfreiheit. Wir werden sie feiern und nicht verhindern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Marc Jongen [AfD]: Linksradikal gegen linksextrem!)

Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7396480
Wahlperiode 19
Sitzung 120
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Meinungsfreiheit in Deutschland
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