Siemtje MöllerSPD - Syrien
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „ Wir verurteilen die türkische Offensive im Nordosten Syriens auf das Schärfste.“ Das, meine Damen und Herren, ist kein Zitat aus den vorliegenden Anträgen, sondern Teil der sofortigen Reaktion unseres Außenministers, Heiko Maas, die gemeinsam mit dem Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, abgegeben wurde und die unsere unumstößliche Position deutlich macht: Die Offensive ist völkerrechtswidrig, und wir verurteilen diese Seitʼ an Seitʼ oder, wenn man so will, im Gleichschritt mit der Europäischen Union.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die türkische Offensive in Syrien ist unbenommen ein weltpolitisches Problem, ausgelöst durch den unvorhergesehenen Abzug der USA und die damit einhergehenden geostrategischen Veränderungen in der Region. Offenkundig wird nun der Einfluss des Iran, offenkundig wird die Zerstrittenheit der Kurden untereinander, und offenkundig wird auch die unsichtbare Hand des russischen Einflusses. Offenkundig wird aber auch, dass in dieser Region nun Weltpolitik ohne die westliche Allianz, ohne Europa und ohne Deutschland gemacht wird. Denn wir finden in der Diskussion der Akteure vor Ort nicht statt. Angesichts des Fundaments, auf dem die EU aufgebaut wurde, und unserer ureigenen Interessen an einem stabilen Mittleren Osten und an der Verbreitung und Wahrung der Menschenrechte halte ich das für eine absolut bedenkliche Entwicklung.
Die Krise in Syrien ist eine weltpolitische Krise, die in vielerlei Hinsicht – so auch hier – bisher zur Profilierung in der innerdeutschen Debatte missbraucht wurde. Ich finde, das wird der Krise und den notleidenden Menschen nicht gerecht,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
das wird dem Ernst der Lage in Syrien nicht gerecht. Es wird auch der fragilen Situation, in der die EU sich befindet, nicht gerecht, und es wird vor allen Dingen unseren Ansprüchen an uns selber und unsere ethischen Prinzipien nicht gerecht.
Weltpolitische Probleme bedürfen globaler Allianzen. Die Menschen in Syrien haben zumindest ein abgesprochenes Vorgehen der europäischen Mitgliedstaaten der NATO oder der gewillten EU-Mitgliedstaaten verdient. Nationale Alleingänge führen nur zu Vielstimmigkeit und öffentlich zur Schau getragener Uneinigkeit – zulasten der bedrohten und notleidenden Menschen.
Es ist an der Zeit, tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Deshalb ist es vollkommen richtig, dass Deutschland innerhalb der EU, innerhalb der NATO und innerhalb der UN seine Handlungsspielräume auslotet und sich Partner sucht: internationale Partner wie die Mitglieder der Small Group zu Syrien und europäische Partner, die beispielsweise Mitglieder der NATO sein können.
Zugleich ist es richtig, sich mit den unmittelbaren Nachbarn der Türkei, mit Griechenland, mit Bulgarien, aber auch mit Rumänien, Albanien, Mazedonien über die Auswirkungen des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens auseinanderzusetzen. Auch hier müssen wir Handlungsoptionen entwickeln, damit Erdogan uns nicht länger erpressen kann. Nur so können wir als Europa tatsächlich zu einer Handlungsperspektive kommen.
Es ist auch richtig, dass das Auswärtige Amt mit Hochdruck daran arbeitet, Zugang für humanitäre Hilfe für die Menschen vor Ort zu schaffen.
Es ist auch richtig, in mühsamer Kleinstarbeit daran mitzuwirken, dass der Prozess der Verfassungsbildung weitergehen kann.
Und es ist auch richtig, alle noch so kleinen Bemühungen zu wagen, um mit Russland und dem Iran ins Gespräch zu kommen. All das ist so viel mehr als ein öffentlichkeitswirksam erhobener moralischer Zeigefinger, wie Sie es hier tun – wohlgemerkt ein Zeigefinger, der nur auf die innerdeutsche Debatte zielt.
Genau in diesem Zusammenhang müssen wir uns alle – auch Sie, liebe Opposition – die Fragen gefallen lassen: Wie kann denn Frieden in Syrien geschaffen werden? Was gehört eigentlich dazu? Was wäre uns dieser Frieden wert? Wie hinterlegen wir vollmundige Verurteilungen so, dass auch Autokraten wie Erdogan verstehen, dass es uns ernst damit ist? Welche Bündnisse, welche Allianzen, welche Druckmittel und am Ende auch welche Konsequenzen – militärischen Mittel – können wir zumindest als Drohkulisse oder auch als Schutzkulisse aufbauen? Das sind zugegebenermaßen unbequeme Fragen. Aber wir dürfen uns nicht aus Angst vor unbequemen Antworten in innenpolitisch motivierte Diskussionen zurückziehen. Dafür geht es um zu viel.
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Ich bin überzeugt: Es ist an Deutschland, seine erfahrene und besonnene Stimme in dieser unübersichtlicher werdenden Welt einzubringen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU])
Vielen Dank, Frau Möller. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Ulrich Lechte.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7400270 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 124 |
Tagesordnungspunkt | Syrien |