Martin RosemannSPD - Soziale Garantien
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon bemerkenswert, dass gut eine Woche nach dem Urteil die Interpretation des Urteils von Teilen dieses Hauses immer noch so selektiv vorgenommen wird. Die Linken lesen das eine aus dem Urteil heraus, die CDU/CSU liest das andere heraus.
Dabei müssen wir schon das Urteil in Gänze zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Das heißt dann – das haben Frau Tack und Frau Schmidt auch schon ausgeführt –, dass Mitwirkungspflichten weiterhin abverlangt werden können,
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können, nicht müssen!)
aber dass Sanktionen verhältnismäßig sein müssen. Das gilt für die Höhe. Das gilt für die Möglichkeit, Sanktionen zurückzunehmen. Das gilt vor allem dafür, dass der oder die Einzelne in den Mittelpunkt gestellt wird.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nichts anderes haben wir auch gesagt!)
Da sind wir als Gesetzgeber gefragt. Damit bin ich zuerst einmal bei der FDP. Also, ich wünsche mir nach dieser Rede mehr Vogel in der FDP; ich wünsche mir wirklich mehr Vogel in der FDP.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber wenn hier der Eindruck erweckt wird, wie vor allem vom Kollegen Kober, alles sei nur ein Problem finanzieller Anreize, dann muss ich sagen: Das greift doch etwas zu kurz.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will nicht sagen, dass wir gar keine Probleme bei Zuverdiensten haben, aber was die FDP will mit ihren Vorschlägen zum Zuverdienst, mit ihrem liberalen Bürgergeld, das hieße ja – –
Kollege Rosemann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Kober?
Ich glaube, er sollte erst mal zuhören, was ich dazu sagen will.
„Erst mal“ ist nicht. Ich habe vorhin schon deutlich gemacht, wer hier das Wort erteilt. Entweder Sie gestatten das, oder es geht jetzt weiter.
Ich gestatte die Frage jetzt nicht. Vielleicht erledigt sie sich dann auch.
Der Ansatz der FDP bedeutet ja, dass zunächst mehr Menschen in die Grundsicherung kommen. Wir wollen genau das Gegenteil, wir wollen verhindern, dass Menschen überhaupt in die Grundsicherung kommen,
(Beifall bei der SPD)
durch einen höheren Mindestlohn, dadurch, dass wir die vorgelagerten Systeme stärken, dass wir jetzt ein höheres Wohngeld machen, dass wir den Kinderzuschlag ausgebaut haben und dass wir eine Kindergrundsicherung wollen. Weniger Leute in SGB II, nicht mehr – das ist doch die Antwort.
(Beifall bei der SPD)
Finanzielle Anreize mögen ein Problem sein, zum Beispiel wenn Menschen, die keine Hartz-IV-Leistungen mehr bekommen, plötzlich Kitagebühren zahlen müssen, was sie vorher nicht mussten. Da müssen wir aber zielgenauer ansetzen. Vor allem sind finanzielle Anreize nicht das einzige Problem. Denn viele Menschen im SGB II haben eben Probleme. Da müssen wir doch in erster Linie zielgenau unterstützen durch eine individuelle Hilfe, indem der Sozialstaat als Partner die Leute im Einzelfall passgenau unterstützt.
(Beifall bei der SPD)
Das genau verlangt uns das Urteil ab. Was müssen wir tun, um das zu leisten?
Erstens. Wir brauchen einen Kulturwandel, nämlich dass die Menschen Bürgerinnen und Bürger mit eigenen Rechten sind und eben keine Bittsteller, dass sie nicht von einer Stelle zur anderen geschickt werden dürfen, sondern Hilfe und Unterstützung wie aus einer Hand bekommen.
(Beifall bei der SPD)
Zweitens. Wir müssen für mehr Augenhöhe sorgen. Wir brauchen ein Bündnis auf Augenhöhe zwischen dem Jobcenter und demjenigen, der die Unterstützung bekommt. Dazu gehört ein respektvoller Umgang, dazu gehört aber auch, dass wir eine Teilhabevereinbarung abschließen mit konkreten Schritten, verständlich und klar für beide Seiten, klar darin, was welche Seite zu leisten hat.
Drittens. Es geht um umfassende Unterstützung, nicht nur um Arbeit. Natürlich geht es um Arbeit und Weiterbildung, aber eben um mehr, um Kinderbetreuung, um Gesundheit, um alles, was die Menschen in ihrem persönlichen Umfeld an Problemen haben, was sie selber nicht mehr auf die Reihe kriegen. Deswegen lasst uns – ich bin Peter Weiß dankbar, dass er das Coaching angesprochen hat – das Coaching über den sozialen Arbeitsmarkt hinaus ausdehnen hin zu einem umfassenden Begleitungsangebot für alle.
(Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)
Und damit die Menschen, die in den Jobcentern arbeiten, die dort Beschäftigten, das auch leisten können, müssen sie in der Tat entlastet werden, auch von Bürokratie. Ja, das stimmt. Aber bitte kein Bürokratieabbau und keine Pauschalisierung auf Kosten der Betroffenen, wie das die FDP in Teilen vorgeschlagen hat!
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Meine Damen und Herren, ein umfassender Hilfeansatz kann nur funktionieren, wenn Hilfe und Unterstützung immer im Vordergrund stehen und wichtiger sind als Sanktionen. Wenn man so fördert, dann kann man von den Leuten auch einfordern, dass sie daran mitwirken und selbst etwas dafür tun, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Kollege Rosemann.
Das ist auch eine Frage der Solidarität, meine Damen und Herren. Deshalb wollen wir das SGB II in diesem Sinne gemeinsam mit dem Koalitionspartner weiterentwickeln.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: „Gemeinsam“ ist gut!)
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Astrid Freudenstein das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7401646 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 127 |
Tagesordnungspunkt | Soziale Garantien |