15.11.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 128 / Tagesordnungspunkt 27

Johannes FechnerSPD - Modernisierung des Strafverfahrens

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Dieses Gesetz heute ist ein weiteres Element von vielen Maßnahmen, die wir uns in der Koalition vorgenommen haben, um die Strafprozesse moderner und effektiver zu gestalten, um die Opfer besser zu schützen und so für mehr Sicherheit in Deutschland zu sorgen. Deswegen ist das ein ganz wichtiges Gesetz, welches wir heute hier beschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bevor ich auf die einzelnen Gesetzesänderungen eingehe, will ich gleich zu Beginn einmal mehr sagen, dass die besten Gesetze nichts bringen, wenn wir für ihre Anwendung bei Polizei und Justiz zu wenig Personal haben. Uns als SPD war es deshalb sehr wichtig, dass die Länder die 2 000 Richter und Staatsanwälte, die wir im Pakt für den Rechtsstaat vereinbart haben, und das zugehörige weitere Personal für die Gerichte auch einstellen.

(Marianne Schieder [SPD]: Genau!)

220 Millionen Euro – 220 Millionen Euro! – haben wir als Bund den Ländern für diese Personalmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Wir erwarten, dass dieses Personal jetzt auch eingestellt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Von Verteidigern aus der rechten Szene mussten wir leider öfter erleben, etwa in dem Fall vor dem Landgericht Koblenz, dass Beschuldigtenrechte missbräuchlich ausgeübt wurden, dass ins Blaue hinein Beweis- oder Befangenheitsanträge gestellt wurden, nur mit dem Ziel, den Prozess zu verzögern oder ihn gar zum Platzen zu bringen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann sich ein starker Rechtsstaat nicht bieten lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wir regeln deshalb, dass ein Befangenheitsantrag eben nicht mehr dazu führt, dass die Hauptverhandlung unterbrochen werden muss, sondern weiterverhandelt werden kann. Innerhalb von zwei Wochen muss dann ein Gericht darüber entscheiden, ob ausnahmsweise ein Fall vorliegt, bei dem eine Befangenheit gegeben ist. Wenn dies in den ganz wenigen Fällen tatsächlich der Fall sein sollte, dann müssen diese zwei Wochen mit einer neuen Gerichtsbesetzung nachverhandelt werden. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass nur sehr, sehr wenige Befangenheitsanträge tatsächlich erfolgreich sind, ist dies eine zumutbare Regelung für alle Beteiligten. Das wird auch zu einem effektiveren Strafprozess führen.

In der Neuregelung des Beweisantragsrechts wird der Begriff des Beweisantrags erstmals präzise beschrieben, was allen Beteiligten nützt. Dabei erfinden wir das Rad nicht neu, sondern greifen zurück auf Definitionen und Voraussetzungen, die der BGH in ständiger Rechtsprechung schon ausgeurteilt hat. Wir wollen, dass im Beweisantrag konkret benannt ist, warum der Antrag gestellt wird bzw. was das Beweisergebnis für den Prozess konkret erbringen soll. Wir halten es für zumutbar, dass wir dieses Konnexitätsprinzip einführen, damit Beweisanträge nicht mehr einfach ins Blaue hinein gestellt werden können.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war noch die Regelung enthalten, dass ein Beweisantrag abgelehnt werden kann, wenn unter anderem der Antragsteller sich der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst ist. Das war schon ein Vorwurf gegen die Strafverteidiger, geradezu ein Generalverdacht. An dieser Formulierung haben wir uns dann doch gestört und sie gestrichen. Ich glaube, die Anwälte stehen so nicht mehr unter dem Generalverdacht der Prozessverschleppung. Ich glaube, auch das war eine gute Maßnahme. Uns geht es nur darum, die im Einzelfall – wirklich nur im Einzelfall – ganz deutlich auftretenden Missbräuche zu verhindern.

Relativ wenig Kritik gab es – zu meiner eigenen Überraschung – in der Sachverständigenanhörung zu der notwendigen Regelung, dass die Polizei zukünftig die aus DNA-Spuren gewinnbaren äußeren Merkmale wie Hautfarbe, Haarfarbe, Augenfarbe und das Geschlecht für die Ermittlungstätigkeit nutzen kann. Ich finde, das ist eine sehr sinnvolle Regelung, weil die Polizei dann ganz konkret ihre Ermittlungen konzentrieren kann. Das hat insbesondere nichts mit Stigmatisierung oder Racial Profiling zu tun.

Bemerkenswert fand ich die Ausführungen von einem Sachverständigen in der Anhörung, der ein Beispiel aus Holland anführte. Dort war in unmittelbarer Nähe einer Flüchtlingsunterkunft ein schweres Verbrechen geschehen, und sofort gab es die zu befürchtenden Vorurteile. Der DNA-Test hat dann aber ergeben, dass es sich um einen blonden, hellhäutigen Täter handelte, und damit waren die Flüchtlinge von dem Verdacht und den Attacken, die es dort gab, befreit. Sie sehen: Die Stigmatisierung tritt hier gerade eben nicht ein. Ich finde, hier geht die Wahrheitsfindung vor, und genau dem dient es. Die Polizei kann dann effektiver ermitteln, und wir erhöhen dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter rasch gefunden wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Vereinzelt gab es in der Debatte um dieses Gesetz Kritik an der Bündelung der Nebenklage. Ich finde, aus der Begründung wird doch deutlich, welche Fälle wir hier im Auge haben, nämlich Fälle wie etwa den Duisburger Love-Parade-Fall, wo es Hunderte Nebenkläger geben kann, weil eben schrecklich viele Menschen zu Tode gekommen sind oder schwer verletzt wurden. Wenn etwa Geschwister ein Elternteil verloren haben, dann haben sie gleichgelagerte Interessen, und dann, finden wir, ist es nicht erforderlich, dass sie jeweils einen eigenen Rechtsanwalt beigeordnet bekommen. Beispiele aus Skandinavien zeigen, dass hier keine Beschuldigtenrechte beschnitten werden, dass die Nebenkläger bei Bündelungen keine Nachteile haben. Im Übrigen bleibt auch unberührt, dass sich jemand selber einen Anwalt nimmt, ihn selber bezahlt und sich dann von ihm in der Nebenklage vertreten lässt.

Also, ich glaube, dass diese Regelung gerade den Opfern und auch den Angehörigen nützt, weil es eine schnellere Entscheidung im Strafprozess geben kann, und das dient gerade den Opfern und ihren Angehörigen.

(Marianne Schieder [SPD]: Jawohl!)

Für richtig und sinnvoll halte ich auch die Regelung des § 58a StPO, wonach Vernehmungen bei Sexualstraftaten zukünftig zwingend aufgezeichnet werden müssen, wenn das Opfer dem zustimmt. Und wenn das Opfer nach Beendigung der Aufnahme nicht widerspricht, kann das Video sogar in der Hauptverhandlung vorgeführt werden und die Zeugenaussage ersetzen. Das hört sich jetzt recht technokratisch an, wird aber in der Praxis gerade bei den Sexualstraftaten zu mehr Verurteilungen der Täter führen; denn wir haben ja leider oft die Situation, dass prügelnde Ehemänner oder Partner oder Zuhälter die Frauen, wenn sie schon den Mut hatten, Anzeige zu erstatten, vor der Hauptverhandlung im Strafprozess so unter Druck setzen, dass sie eingeschüchtert sind und aus Angst vor Gewalt keine Aussage machen möchten. In genau diesen Fällen steht dann das Video zur Verfügung und kann, wenn die Frau nicht widersprochen hat, sogar als Zeugenaussage eingesetzt werden. Ich glaube, gerade wenn wir mehr Sexualstraftaten ahnden wollen, ist dies ein ganz wichtiges Mittel, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Jürgen Martens [FDP]: Warum nur dort?)

Gerne hätten wir diesem Gesetz, das ja den Titel „Modernisierung des Strafverfahrens“ trägt, eine weitere Regelung beigefügt, nämlich die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung. Deren Vorteile sind aus unserer Sicht unbestreitbar; in vielen anderen Ländern gibt es das schon, mit den entsprechenden Vorteilen. Allen Beteiligten steht gerade in großen, längeren Prozessen der Verhandlungsstoff zur Verfügung, und alle Beteiligten können sich einfach darüber informieren, was etwa ein früherer Zeuge ausgesagt hat.

(Dr. Jürgen Martens [FDP]: Ja, dann macht es doch!)

Wir bedauern sehr, dass die Union das blockiert hat. Umso mehr begrüßen wir, dass die Diskussion hierüber in den letzten Monaten immerhin dazu geführt hat, dass die Ministerin Frau Lambrecht noch in diesem Jahr eine Expertenkommission einberufen wird, an der insbesondere die Anwaltschaft beteiligt sein wird und die konkrete Vorschläge für die Aufzeichnungen erstellen wird. Wir werden die Ergebnisse dieser Expertenkommission auf jeden Fall nutzen für einen weiteren Anlauf, dies in der Strafprozessordnung zu verankern.

Ich komme zum Schluss. – Ich möchte mich ganz herzlich für die Erarbeitung dieses umfangreichen Gesetzespakets bei Ministerin Lambrecht, Herrn Staatssekretär Lange, beim Koalitionspartner, bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMJV und auch bei unseren Fraktionsmitarbeiterinnen und ‑mitarbeitern, die hier wirklich viel geleistet haben, bedanken und möchte noch eins sagen: Es wird nicht die letzte StPO-Änderung sein. Die Sachverständigenanhörung in unserem zugegebenermaßen sehr sportlichen Zeitplan hat sehr viele gute Impulse gebracht.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sehr viel Kritik!)

Die sind nicht verloren, sondern die nehmen wir bei der Beratung zur nächsten StPO-Änderung auf und werden sie diskutieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege Roman Johannes Reusch.

(Beifall bei der AfD)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7401940
Wahlperiode 19
Sitzung 128
Tagesordnungspunkt Modernisierung des Strafverfahrens
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