Helge LindhSPD - Aufarbeitung des NS-Kunstraubs
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begreife uns hier als Gemeinschaft. Deshalb schäme ich mich, wenn Mitglieder dieses Parlaments ein Verhalten zeigen, dass des Moments und des Antrags nicht würdig ist. Deshalb entschuldige ich mich in diesem Augenblick in unser aller Namen dafür, dass Kollege Jongen es wirklich gewagt hat, ausgerechnet das Thema des NS-Kunstraubes zu instrumentalisieren, um die vermeintlich kluge These von der Moralisierung der Bundesrepublik zu verbreiten. Das ist zutiefst peinlich und beschämend, finde ich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Zutiefst peinlich ist das, was Sie sagen! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Nicht überzeugend!)
Sie geben aber unwissentlich genau das richtige Stichwort; denn eine bittere Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus und des systematischen Kunstraubs und des Entzugs von Kunst ist, dass man Recht, vermeintliches Recht eben nicht blind gegenüber Moral gestalten kann. Denn das war ja die nächste Perfidie der Nazis, dass sie diese mit einer Scheinrechtlichkeit und durch Verklausulierungen – angebliche Führervorbehalte und Ähnliches – durchführten.
Deshalb ist dies sehr wohl als rechtliche wie als moralische Frage zu betrachten. Denn warum stellen wir diesen Antrag? Warum bemühen wir uns überhaupt in dieser Frage? Es geht um konkrete Personen. Es geht um Otto, Konrad und Kurt, Nachname Bernheimer. Und es gibt viele von ihnen, mit anderen Namen, ganz individuelle, einzigartige Schicksale; aber alle schrecklicherweise geeint in diesem Unrecht, in dieser Demütigung, die sie durch den Nationalsozialismus, die Verfolgung und auch durch die Enteignung erfahren haben. Und das ist keine ferne Geschichte, sondern eine Geschichte, die unmittelbar in unsere Gegenwart und unsere Nachbarschaft reicht.
Ich komme aus dem Wahlkreis Wuppertal. Vor Kurzem eröffneten wir dort eine Ausstellung zu dem verfemten, geächteten, als entartete Kunst Produzierenden begriffenen Künstler Oskar Schlemmer. Er hat in den 40er-Jahren die Möglichkeit bekommen, bei dem Unternehmer Kurt Herberts, einem Wuppertaler Chemieproduzenten, der aber auch Lackkunst förderte, zu arbeiten. Selbiger Kurt Herberts kaufte von der sogenannten Kameradschaft der Künstler einen Sekretär der Familie Bernheimer. Diese Kameradschaft der Künstler war nichts anderes als eine vermeintlich rechtlich korrekte Form der Arisierung jüdischen Eigentums durch das Deutsche Reich, das Unrechtsreich. Heute, seit einigen Monaten, ringt nun sein Enkel, Konrad Bernheimer, in Bayern um die Frage der Restitution, weil mittlerweile, nach verschlungenen Wegen, ebendieser Sekretär im Eigentum des Bayerischen Nationalmuseums ist. Er erfährt, welche Widrigkeiten mit einem solchen Prozess verbunden sind.
Der Vater des Konrad Bernheimer, der die Nachfolge als Kunsthändler antreten sollte, Sohn des Otto Bernheimer, versuchte einmal, 1948, wieder nach Deutschland einzureisen. Aber er konnte es nicht ertragen und musste aufgrund posttraumatischer Störungen das Land wieder verlassen. 1954 versuchte er es wieder, doch er nahm sich vor der Einreise das Leben. Das ist, wovon wir hier sprechen.
Wir sprechen in letzter Konsequenz nicht von der Restitution von Kunstwerken und Artefakten, wir sprechen von der Restitution von Würde und Menschenleben.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Wir sprechen davon, einen Moment der Versöhnung zu schaffen und den Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wenn wir – das ist ja auch in dem Antrag enthalten – von Provenienz und einer Weiterentwicklung der Provenienzforschung sprechen, so sollten wir uns auch klarmachen, dass es in diesen Fällen nicht primär um die Provenienz von Kunstwerken geht, nicht primär um die sicher wichtige wissenschaftliche Aufarbeitung der Herkunft und der ganzen Geschichte geht, sondern es letztlich um die Provenienz zerrütteter sozialer Verhältnisse geht. Diese Kunstwerke gehörten Menschen, diese Kunstwerke waren eingebunden in ihr Leben und in ihre Realität, und diese Realität haben wir ihnen genommen. Das ist die Höhe des Auftrages. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir – erst recht hier – rechtlich wie moralisch argumentieren. Es geht um die Wiederherstellung der Würde von Menschen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Daher bin ich ausdrücklich dankbar, dass die Kulturstaatsministerin, die BKM, aber auch Michelle Müntefering im Auswärtigen Amt schon frühzeitig verstärkte Anstrengungen unternommen haben – zusammen mit den Vereinigten Staaten, mit der Joint Declaration –, um einen entsprechenden verstärkten Prozess der Restitution und der Aufklärung auf den Weg zu bringen. Ich bin dankbar dafür, dass die deutsche Regierung bei Fragen der Beutekunst sehr offensiv und sehr entschieden vorgeht. Ich bin auch dankbar dafür, dass einige Schritte, die wir hier fordern, wie das Helpdesk, wie die einseitige Anrufung, bereits umgesetzt sind.
Aber ich denke, angesichts des Auftrages, den wir haben, sollten wir das mit aller Demut und Bescheidenheit machen. Denn der Hintergrund ist ein einmaliges Versagen – und das werden wir niemals gutmachen können –: Das ist der Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus, des Dritten Reiches. Die Erkenntnis ist, dass es uns nie gelingen wird – mit keiner Restitution –, das wiedergutzumachen. Was wir aber machen können, ist: Schluss machen mit dem Prozess des Scheiterns. Und es ist leider oft passiert – das erlebt gerade auch Herr Bernheimer –, dass wir es nicht schaffen, die Opfer und ihre Nachfahren würdevoll in diesem Prozess der Aufklärung, der Restitution zu begleiten. Das ist, was geschehen muss – und das ist genau der Geist dieses Antrages, um den ich für Zustimmung bitte –: Wir müssen begreifen, dass die Perspektive der Opfer und ihrer Nachfahren der Maßstab allen Handelns ist. Das allein ist der Maßstab.
(Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] und Gabriele Hiller-Ohm [SPD])
Es gibt Hunderte von Gründen – Komplexität der Provenienzforschung, bürokratische Hemmnisse, all die Fragen, gute Gründe –, einen langwierigen Prozess zu beschreiten, auch Dinge zu verzögern, vielfach nachzufragen. Aber es gibt einen Grund, der all diese guten Gründe bricht, und das ist der Grund, dass wir die Perspektive der Opfer werten und anerkennen müssen. Genau das hat auch heute Herr Lauder, der Präsident des World Jewish Congress, in seiner Veröffentlichung in der „Süddeutschen Zeitung“ deutlich gemacht. Das ist unser aller Aufgabe, und weniger können und dürfen wir nicht leisten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich versuche auch noch, zu erklären, warum wir das tun müssen. Es geht nicht darum, dass wir mit dieser Restitution, dass wir mit Formen des Gedenkens uns selbst ein Gedenken schaffen, dass wir uns stolz und glücklich fühlen, dass wir jetzt einen wirklich, wirklich guten Antrag auf den Weg bringen, der das Potenzial hat, eine fundamentale Verbesserung der Beratenden Kommission zu konstituieren. Nein, es geht eben nicht um uns, sondern es geht um die anderen – in den Vereinigten Staaten, in vielen anderen Ländern –, die so schwer betroffen sind.
Aber im letzten Schritt geht es eben doch um uns. Denn die Bernheimers und die Schlemmers und all die anderen, das waren unsere Nachbarn, sie waren ein Teil von uns, und wir haben uns, das Deutsche Reich in seinem Unrecht, in seinem Schrecken hat sich damals selbst beraubt. Deshalb tun wir uns auch selbst einen richtigen Dienst, wenn wir mit diesem Antrag, wenn wir mit den begleitenden Maßnahmen endlich die Restitution der Würde der Opfer und ihrer Nachkommen betreiben.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Danke. – Das Wort hat der Kollege Hartmut Ebbing für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/cvid/7402163 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 128 |
Tagesordnungspunkt | Aufarbeitung des NS-Kunstraubs |