27.11.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 130 / Tagesordnungspunkt I.10

Alexander Graf LambsdorffFDP - Auswärtiges Amt

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Frau Präsidentin! Frau Kollegin Barnett, die Personalreserve, die Sie gerade angesprochen haben, steht ja im Gesetz über den Auswärtigen Dienst. Ich freue mich, dass der Druck der FDP-Bundestagsfraktion geholfen hat, nach 25 Jahren der Umsetzung dieses Gesetzes etwas näher zu kommen. Als ich damals als junger Attaché in den diplomatischen Dienst eingetreten bin, haben wir uns davon mehr und schnellere Fortschritte versprochen.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es bergab!)

Kann man das auch von der Außenpolitik der Bundesregierung sagen – etwas mehr, etwas schneller, etwas besser? Die Bilanz zur Halbzeit sieht leider anders aus. Wir stellen fest: In der deutschen Außenpolitik fehlt es an Konzepten und Ideen. Hans-Dietrich Genscher hat einmal gesagt: „Politische Führung bedeutet gerade in Zeiten des Umbruchs geistige Führung.“

Niemand wird bestreiten, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben. Es gibt tektonische Verschiebungen in der internationalen Ordnung. Deutschland und Europa müssen Wege finden, wie wir den Aufstieg Chinas managen. Das Reich der Mitte fordert uns gleichzeitig wirtschaftlich, technologisch, gesellschaftlich und politisch heraus.

Es wäre die Aufgabe des Außenministers, Ideen zu präsentieren, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir mit Menschheitsherausforderungen wie Klimawandel, Migration, Digitalisierung umgehen oder wie wir den wachsenden Erwartungen unserer Verbündeten gerecht werden. Das Auswärtige Amt könnte dafür Impulsgeber sein. Doch die Herzkammer der deutschen Außenpolitik fährt personell und finanziell nicht nur auf der Felge – die Fähigkeiten des Amtes und seiner Diplomatinnen und Diplomaten bleiben auch weitgehend ungenutzt.

(Beifall bei der FDP)

Es wundert daher überhaupt nicht, dass die CDU-Vorsitzende, die Bundesverteidigungsministerin, versucht, die politische Leerstelle in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu füllen. Der Vorschlag für eine Schutzzone in Nordsyrien war zeitlich und handwerklich unglücklich. Ihre Reaktion darauf in der Türkei aber, Herr Maas, war Ihres Amtes unwürdig.

(Beifall bei der FDP)

Es ist richtig, dass der Auswärtige Ausschuss jetzt prüft, ob Ihre Amtsführung zu missbilligen ist.

Besser war der Vorstoß von Annegret Kramp-Karrenbauer für einen Nationalen Sicherheitsrat. Der ist überfällig. Es ist richtig: Deutschland braucht einen Ort, an dem wir in international komplexen Zeiten vernetzt denken. Nahezu zeitgleich kommt der Vorschlag des Bundesaußenministers für einen europäischen Sicherheitsrat. Wir scheinen wirklich ratlos zu sein in der Außenpolitik: kein Nationaler Sicherheitsrat, kein Europäischer Sicherheitsrat. Aber die Ratlosigkeit manifestiert sich besonders dann, wenn man fragt, was diese Räte eigentlich tun sollen. Wie sollen sie arbeiten? Wer soll Mitglied werden? Soll der Nationale Sicherheitsrat auf dem Bundessicherheitsrat aufsetzen, ja oder nein? – Keine Antwort aus der Bundesregierung. Wer soll Mitglied im europäischen Sicherheitsrat werden? Wie wird die Arbeitsweise aussehen? Je konkreter es wird, je näher man einen Vorschlag der Bundesregierung betrachtet, desto kleiner und wirkungsloser wirkt die deutsche Regierung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Die Impulse in Europa setzen in dieser Zeit andere. Der französische Präsident brennt geradezu vor Ideen und Tatendrang. Ob es die Reform der Beistandsklausel in der Europäischen Union ist, der Erweiterungsprozess, die Wiederbelebung des Normandie-Formats, ein neuer Dialog mit Russland, die Frage nach der Strategie der NATO, Emmanuel Macron forciert die Debatte. Einige Vorschläge gehen in die richtige Richtung, manche Vorschläge finden wir als Liberale falsch. Aber die Bundesregierung ist völlig sprachlos, völlig ohne eigene Position.

In der NATO führt das schwache Auftreten der USA zu einem Führungsvakuum. Dabei hat sich das Sicherheitsumfeld der NATO in den letzten Jahren dramatisch gewandelt: Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland, der Konflikt in der Ostukraine, der Aufstieg Chinas, die andauernden Konflikte in Syrien und Libyen, das drohende Ende der Atomwaffenkontrolle zwischen den USA und Russland, all diese Entwicklungen erfordern Diskussionen über die Kernaufgaben und die strategischen Leitlinien der Allianz. Ja, die Wortwahl des französischen Präsidenten war sicher unglücklich. Aber er hat seinen Finger in die Wunde gelegt: Das Bündnis muss strategisch neu denken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Deutschland hätte vor diesem Hintergrund längst eigene Ideen zur Zukunft der Allianz präsentieren können. Auch die Forderung nach einem neuen strategischen Konzept ist überfällig. Das letzte Konzept stammt von 2010, die Realität hat es längst überholt. Nichts ist aus dem Auswärtigen Amt zu hören, nichts ist von Ihnen zu hören, Herr Maas. Stattdessen haben Sie den Vorschlag gemacht, dass andere einen Vorschlag machen sollen: irgendwann, nächstes Jahr, vielleicht. Das ist zu wenig, meine Damen und Herren, das ist mutlos, das ist ratlos.

Genauso ratlos steht die deutsche Außenpolitik vor dem Zusammenbruch der globalen Rüstungskontrollsysteme. Sie haben sich um den Vertrag über Mittelstreckenraketen gekümmert, als es fünf nach zwölf war. Was ist mit New START? 2021 läuft dieser Vertrag aus. Was ist mit Open Skies? Die Amerikaner haben Europa gerade aufgefordert, zu sagen, was wir von Open Skies erwarten, welche Fragen wir beantwortet sehen wollen, damit dieser wirklich wichtige Rüstungskontrollvertrag erhalten bleibt. Nein, ich sehe bei der Bundesregierung keinen Gestaltungswillen, keine Konzepte, keine Ideen.

Meine Damen und Herren, „Europa muss die Sprache der Macht lernen“, hat Ursula von der Leyen gesagt. Deutschland müsste sich eigentlich an diesem Lernprozess beteiligen.

Kollege Lambsdorff, Sie können selbstverständlich weiterreden, tun das dann aber auf Kosten Ihres Kollegen.

Dann mache ich es jetzt ganz kurz.

Wir müssen endlich damit anfangen, die Werte, Ziele und Interessen der deutschen Außenpolitik regelmäßig auszuformulieren. Wir brauchen eine Gesamtstrategie, die die Bundesregierung ein Jahr nach Beginn der Legislaturperiode vorlegt, um endlich zu dem zu kommen, was die Bundeskanzlerin heute Morgen den vernetzten Ansatz genannt hat. Nur so bekommen wir die Grundlage für eine Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik aus einem Guss.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat der Kollege Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7404268
Wahlperiode 19
Sitzung 130
Tagesordnungspunkt Auswärtiges Amt
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