29.11.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 132 / Tagesordnungspunkt I.18

Johannes VogelFDP - Arbeit und Soziales

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister, lieber Hubertus Heil, ein dominierendes Thema der letzten Wochen und auch das erste Thema Ihrer Rede war ja die Grundrente. Ich will ganz ehrlich sagen: Gut ist, dass überhaupt etwas passiert. Denn wir alle waren uns hier einig: Es geht hier um eine wichtige Frage. Schade ist allerdings, dass Sie sich bei dieser wichtigen Frage auf ein so schwaches Modell geeinigt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das muss man der Wahrheit halber hinzufügen.

(Beifall bei der FDP – Katja Mast [SPD]: Ihr wollt nur Grundsicherung, oder was?)

Die Mehrzahl derjenigen, die gearbeitet haben und dennoch von Altersarmut bedroht sind, hat weniger als 35 Versicherungsjahre. An denen geht Ihr Modell einfach mal komplett vorbei. Die werden auch künftig in der Grundsicherung bleiben; das ist das erste Problem.

(Kerstin Tack [SPD]: Stimmt ja überhaupt nicht!)

Das zweite Problem ist: Sie schaffen viele neue Ungerechtigkeiten. Und das dritte Problem bei der Grundrente ist: Die Finanzierung ist völlig ungeklärt; denn bei der Finanzierung – Finanzierung gehört zu seriöser Politik immer dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition -

(Beifall bei der FDP)

setzen Sie allen Ernstes auf eine EU-Finanztransaktionsteuer, über die seit acht Jahren in der EU keine Einigkeit besteht und von der völlig unklar ist, ob und wann sie kommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist Politik, als würden Sie dieser Tage in Geschäfte gehen, sich an die Kasse stellen und sagen: Zahlen tue ich hinterher; denn ich erwarte noch Geld von der Europäischen Union. – Da fliegen Sie zu Recht aus jedem Laden raus. Das ist keine seriöse Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.

(Beifall bei der FDP – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Es sei denn, der Laden heißt Mövenpick!)

Ich finde es richtig, dass wir jetzt nach langer Debatte über die Grundrente schauen: Wie ist denn generell die Bilanz in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik? Lieber Herr Minister, lieber Hubertus Heil, du hast viele Themen aufgezählt. Eines muss man sagen: Fleißig war die Koalition. Der „Welt“-Journalist Robin Alexander hat Hubertus Heil gar als „Galopper des Jahres“ bezeichnet. Galopp ist aber kein Selbstzweck. Es ist sogar fatal, wenn man im vollen Galopp in die falsche Richtung unterwegs ist.

(Beifall bei der FDP)

Das ist bei der Sozialpolitik dieser Koalition zu oft der Fall; das ist das Problem.

Das eine ist: An allen Gestaltungsfragen der modernen Arbeitswelt reiten Sie im großen Bogen vorbei. Wo ist denn ein modernes Arbeitszeitgesetz? Wo ist denn das ressortübergreifende Konzept für eine echte nationale Weiterbildungsstrategie? Das sind die Fragen, auf die wir Antworten bräuchten. Bei dieser Koalition leider Fehlanzeige, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP)

Das Zweite ist die Rentenpolitik, ganz abseits der Grundrente. Da meine ich ganz bewusst nicht das Thema Grundrente; denn da sind wir uns wenigstens im Ziel der Verhinderung von Altersarmut eigentlich einig. Da macht diese Koalition in der Rentenpolitik insgesamt im vollen Galopp leider sogar das Falsche.

Wenn man sich die Bilanz Ihres Rentenpakets im letzten Jahr und die Ihrer Rentenpolitik in der letzten Legislaturperiode anschaut, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, dann muss man sagen: Heute schon ist bei den Lohnnebenkosten der Rentenversicherungsbeitrag einen Prozentpunkt höher – das trifft gerade Menschen mit kleinem Einkommen –, als hätte es Ihr Handeln nie gegeben.

Sie haben die Rentenformel zulasten der Jüngeren manipuliert.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!)

– Doch, das haben Sie.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hört auf mit „manipulieren“! Das ist Unsinn!)

Und Sie haben allein bis 2030 Mehrkosten in Höhe von einer Viertelbillion Euro kreiert, von denen uns bis heute niemand sagen kann, wie das künftig finanziert werden soll, weder Bundesarbeitsminister Heil noch Bundeswirtschaftsminister Altmaier noch Bundesfinanzminister Scholz. Das ist keine solide Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.

(Beifall bei der FDP)

Ausgerechnet in dem Jahr, in dem wir das Jahrzehnt der 20er-Jahre einleiten – wir entscheiden heute über den Bundeshaushalt 2020 –, in dem die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, knacken Sie die 100-Milliarden-Marke beim Steuerzuschuss in die Rentenkasse, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es ist doch Unsinn, über absolute Zahlen zu reden! Bruttoinlandsprodukt!)

Dass das unsolide ist, weil Sie es nicht dauerhaft finanzieren können, hat sogar die Koalition erkannt.

Ich sehe auf der linken Seite des Hauses Aufregung. Ich zitiere die Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Union, Annegret Kramp-Karrenbauer:

Wir haben ein Sicherungssystem aufgebaut, das heute an die Grenzen des Machbaren und des Möglichen stößt.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unsinn!)

Sie hat angekündigt, man müsse sich über eine Rentenreform Gedanken machen. Ja, herzlich willkommen! Das ist völlig richtig. Aber was haben Sie denn in den letzten Jahren gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition? Sie haben selber das Problem kreiert, das Sie jetzt beklagen.

Sie haben an den Fundamenten der Rentenfinanzierung rumgesprengt, und jetzt rufen Sie nach Experten gegen die Einsturzgefahr. So geht es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.

(Beifall bei der FDP)

Dass Sie da immer auf Ihre Rentenkommission verweisen, halte ich ernsthaft für unseriös. Denn mit wundersamer Brotvermehrung ist jeder Mensch überfordert, erst recht und leider auch die Rentenkommission der Bundesregierung. Sie müssten vielmehr eine zukunftsfähige Rentenpolitik machen.

Was heißt das? Erstens solide finanziert für alle Generationen, zweitens zielgenau gegen Altersarmut statt mit der Gießkanne. Drittens müssen wir die kapitalgedeckte Vorsorge endlich besser machen, wie uns das so viele andere Länder vormachen. Da fehlen bisher jegliche Vorschläge von Ihnen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie oft haben die Niederländer eine Rentenerhöhung gehabt? Zehn Jahre nicht!)

Und viertens müssen wir die Rente modernisieren, passend zur modernen Arbeitswelt und zum Beispiel zu vielfältigeren Lebensläufen, mit einem flexiblen Renteneintritt, wie die Schweden uns das erfolgreich vormachen.

(Dr. Joe Weingarten [SPD]: Das hättet ihr doch machen können!)

Das wäre moderne Rentenpolitik. In dem Jahr, in dem wir am 1. Januar das neue Jahrzehnt beginnen, wäre es auch eine Politik, die endlich wieder in Jahrzehnten denkt statt in Legislaturperioden.

(Kerstin Tack [SPD]: Oh, oh, oh, die FDP!)

Das bräuchten wir in der Sozialpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP – Katja Mast [SPD]: Wir brauchen eine Partei, die regieren will! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Arbeitgeberrentenpolitik!)

Nächster Redner ist der Kollege Axel Fischer, CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7404627
Wahlperiode 19
Sitzung 132
Tagesordnungspunkt Arbeit und Soziales
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