Daniela KolbeSPD - Aktuelle Stunde zur Bekämpfung von Altersarmut
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Was ich nicht mehr hören kann, sind diese Äußerungen, es gebe überhaupt gar kein Problem mit der Altersarmut, jedenfalls nicht jetzt, sondern irgendwann später.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kann ich auch nicht! Sehr richtig!)
Dann werden oft die Zahlen der Grundsicherung im Alter hervorgezaubert, dass nur etwa 3 Prozent der Rentnerinnen und Rentner Grundsicherung bekämen, im Osten sogar noch viel weniger. Wenn das etwas mit der Realität zu tun hätte, der jetzigen, würde ich alle armen Rentner in meinem Wahlkreis persönlich kennen; denn die waren dann alle schon mal bei mir. Ich habe nämlich sehr viele Gespräche mit armen Menschen im Rentenalter geführt. Die meisten Gespräche bestätigen mir, dass die Leute gar nicht den Anspruch wahrnehmen, den sie gegenüber dem Sozialstaat haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Menschen kommen mit ihrem GEZ-Bescheid für die Rundfunkgebühr, die sie natürlich zahlen müssen, wenn sie keine Grundsicherung beantragt haben. Darunter sind DDR-Geschiedene mit erbärmlichen Rentenbescheiden. Es gibt Menschen, die mit einer Mieterhöhung kommen, die sie nicht stemmen können. Es kommen Leute, die mich fragen, ob ich eine Idee hätte, wo sie noch zusätzlich erwerbstätig sein könnten, obwohl sie in der Rente sind. Und viele kommen und fragen, ob die Grundrente etwas ist, von dem sie profitieren könnten.
Ich frage dann nach. Ich frage nach ihrer Biografie: Wie ist es zu einer so niedrigen Rente gekommen? Aber ich frage auch – das muss ich in den meisten Fällen tun –: Wieso haben Sie noch keinen Antrag auf Grundsicherung oder auf Wohngeld gestellt?
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann ich dir sagen!)
Die Geschichten, die dann kommen, treiben mir die Schamesröte ins Gesicht. In diesem reichen Land! Für ganz viele ist es eine Frage der Würde. Aus Gründen der Würde sagen sie: Nein, nach einem Leben voller Arbeit, nachdem ich Kinder großgezogen und mein Leben ohne Hilfe gemeistert habe, gehe ich nicht zum Amt und mache mich am Ende meines Lebens „nackig“. Wenn ich die Leute anschaue, wird mir auch immer wieder bewusst, dass sie ganz doll auf Äußerlichkeiten achten und dass es da um Würde geht: Ich bewahre mir meine Würde, obwohl ich ganz wenig Geld habe.
Es geht in den Gesprächen ganz oft um Sachen, die mir, wie gesagt, die Schamesröte ins Gesicht treiben. Da geht es darum, dass die Menschen Angst haben, dass ihre Familie mit den Beerdigungskosten alleingelassen ist und dass sie sozusagen Kosten hinterlassen. Sie nennen ganz lakonisch den genauen Euro-Betrag, den sie pro Woche für Lebensmittel zur Verfügung haben, oder sagen, wie viel sie noch im Kühlschrank haben. Sie sagen, dass sie im Herbst natürlich nicht heizen werden, sondern sich einen Pulli mehr anziehen, oder sie heizen nur ein Zimmer.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war ein Vorschlag von Herrn Sarrazin!)
So haben sich diese Menschen ihr Alter nicht vorgestellt. Und es gibt einen Moment, bei dem ganz vielen die Tränen kommen, nämlich wenn es darum geht, dass sie kein Geld haben, um ihren Enkeln irgendwie mal was zuzustecken. Da muss auch ich echt tief durchatmen.
Dieser Zustand, dass ganz viele einen Rechtsanspruch gegenüber dem Sozialstaat haben, ihn aber nicht geltend machen, kann so nicht bleiben, liebe Leute.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Ich wehre mich auch mittlerweile gegen den Begriff „verdeckte Armut“. Denn es kann eigentlich jeder sehen, der es sehen will: bei den Tafeln, die Rentnerinnen und Rentner beim Flaschensammeln, aber auch, wenn man genau hinguckt und auch auf die Einkaufswagen achtet, beim Einkaufen im Supermarkt in bestimmten Stadtteilen.
Man kann gerne über die Höhe der Leistungen reden, finde ich. Das ist eine legitime Debatte. Aber noch viel zentraler ist für mich die Frage: Wie muss ein Sozialstaat sein, dass Menschen ihre Rechte gegenüber dem Sozialstaat auch geltend machen?
(Beifall bei der SPD)
Dazu hat die SPD auf ihrem Parteitag in ihr Sozialstaatspapier geschrieben und einstimmig beschlossen: Wir brauchen einen Sozialstaat, der auf Augenhöhe ist, der die Menschen nicht klein macht, der Partner ist und der die Menschen nicht zum Bittsteller werden lässt.
Die Grundrente macht es ja vor. Das ist nicht nur per se ein Instrument, das vielen hilft, Altersarmut zu vermeiden; es ist auch eines, das es, wenn wir es so umgesetzt bekommen – ich gucke meinen Koalitionspartner an: wenn die Geiselhaft dann beendet ist –,
(Antje Lezius [CDU/CSU]: Was für eine Geiselhaft?)
vormachen würde, nämlich dass kein Antrag nötig ist. Das ist richtig so. Dass kein Antrag nötig ist, um eine Leistung zu bekommen, und dass der Staat auf die Menschen zugeht, wenn es darum geht, Leistungen in Anspruch zu nehmen, das finde ich den richtigen Weg.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Antje Lezius [CDU/CSU]: Das ist ungerecht denen gegenüber, die das bezahlen müssen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ohne Antrag?)
Deswegen: Lassen Sie uns bei der Grundrente mit der Umsetzung loslegen! 1,5 Millionen Menschen in diesem Land warten darauf.
Was ist noch zu tun? Wir haben ja auch die zukünftigen Rentnergenerationen. Denen müssen wir helfen, indem wir Selbstständige besser absichern. Ich hoffe, wir bekommen da noch was Gutes hin.
Der Mindestlohn muss rauf, und wir brauchen eine höhere Tarifbindung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Und für die jetzige Rentnergeneration müssen wir dringend den Sozialstaat reformieren, und zwar zu einem Sozialstaat, der auf Augenhöhe ist, damit die Menschen die Hilfe, die ihnen zusteht, auch wirklich annehmen.
Wir müssen auch etwas für eine Gruppe tun, die ich schon genannt habe: für die in der DDR geschiedenen Frauen; Sie kennen das von mir. Da muss es einen Entschädigungsfonds geben, damit diese Menschen bessergestellt werden.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Was ist denn mit den geschädigten Frauen im Westen?)
Und wir müssen in einem ersten Schritt zügig die Grundrente einführen. Dann tun wir effektiv was gegen Altersarmut.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Matthias W. Birkwald.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7406667 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 133 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Bekämpfung von Altersarmut |