13.12.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 135 / Tagesordnungspunkt 28

Axel SchäferSPD - Souveränität Deutschlands

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der AfD-Antrag spricht einerseits von der Souveränität Deutschlands und andererseits vom Vetorecht unseres Landes. Beides ist falsch, und ich finde es an der Stelle wichtig, dass wir mal Punkt für Punkt auf diese Argumentation eingehen.

Zunächst die Souveränität Deutschlands. Am Anfang unserer Verfassung steht:

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen …

Das ist unsere Staatsräson, das ist die Handlungsgrundlage des Grundgesetzes.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und weil das so ist, kommt der Begriff „Souveränität“ in unserer Verfassung überhaupt nicht vor, anders als beim Staatsrechtslehrer Carl Schmitt, auf den sich alle Konservativen und viele Nazis bezogen haben, der sagte: Souverän heißt, über den Ausnahmezustand zu gebieten. – Die klugen Mütter und Väter unserer Verfassung wollten vielmehr, dass Deutschland nie mehr so souverän wird, um seinen Nachbarn den Krieg zu erklären, und das haben wir gemeinsam in 70 Jahren geschafft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dann kommen wir zur Frage: Was heißt „Veto“? Klar, Veto heißt, dass fünf wichtige Mächte im UN-Sicherheitsrat Dinge blockieren können. In Europa gibt es kein Veto; deshalb gibt es diesen Begriff in den europäischen Verträgen auch nicht. Wie aber funktioniert dieses Europa? Dieses Europa funktioniert so, dass alle erst einmal von einem gemeinsamen Willen getragen werden, den Joschka Fischer mal sehr einfach auf den Begriff gebracht hat. Er hat gesagt: Das wichtigste nationale Interesse ist die europäische Einigung. – Genau davon ist man getragen. Ich gebe zu: Es gibt eine Reihe von Regierungen in manchen Ländern, wo das zweifelhaft oder nicht mehr der Fall ist; aber die Ausrichtung stimmt.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das Ergebnis ist der Brexit!)

Das haben wir gestern bei dem schwierigen Kompromiss zum Klima ja auch erlebt.

Und dann ist die Frage: Wie kommt man voran? Man kommt natürlich, wie immer in der Demokratie, nur voran, wenn man auf der einen Seite Überzeugungsarbeit leistet, das heißt möglichst alle mitnimmt, aber auf der anderen Seite auch die Möglichkeit hat, mehrheitlich zu entscheiden. Da ist die Frage: Wie oft wurde denn diese Passerelle-Regelung, also zunächst Einstimmigkeit, aber dann auch die Möglichkeit, zu einem Mehrheitsbeschluss zu kommen, bisher angewandt? Antwort: Null Mal. Das heißt, es ist ein Fake, über den hier gesprochen wird. Aber sie bietet eine Möglichkeit, dass Europa dort, wo es gemeinsam handlungsfähig sein muss, in Zukunft besser bzw. mehr Aktivität entfaltet. Es ist eine Notwendigkeit, und diese Notwendigkeit funktioniert in Europa so, dass man sagt: Ja, wir können auch mehrheitlich entscheiden. – Es gibt eine ganz zentrale Frage, bei der das gelungen ist, und zwar auf der Regierungskonferenz 1985 zur Vertragsreform. Da waren Griechenland und Großbritannien dagegen. Man hat begonnen, aber man hat die Länder mitgenommen.

Genauso wird es auch hier gehen: Man muss Überzeugungsarbeit leisten, man muss aber auch wissen, dass Demokratie auch Mehrheit bedeutet. Und gerade dieser Bundestag, besonders meine Fraktion, hat immer dafür gekämpft, dass die Demokratisierung der Europäischen Union, angefangen mit der Direktwahl des Parlaments, auch eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen ist. Ich bin sehr dafür, dass wir zu dieser Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen in Europa kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen bedeutet ja nicht, dass hier eine Mehrheit im Parlament im Zweifelsfalle sagt: „Das setzen wir mal durch“, sondern es ist ein Vorschlag der Mehrheit, zu Kompromissen zu kommen, hinter dem sich möglichst alle versammeln können. Deshalb ist es in der Praxis ja auch so, dass dieses scharfe Schwert von Mehrheitsentscheidungen selbst dort, wo es die Verträge zulassen, bisher ganz selten angewandt worden ist.

(Johannes Schraps [SPD]: Genau so ist es!)

Was sowohl die konkreten Vorschläge von Juncker als auch das, worauf sich Ursula von der Leyen bezogen hat, anbelangt: Natürlich brauchen wir das. Es kann doch nicht sein, dass das bei zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht möglich ist. Wir wissen doch alle, worum es beim Klima geht. Wir wissen doch alle, wie notwendig der gesellschaftliche Zusammenhalt ist und dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergehen darf, wie notwendig es ist, da voranzugehen. Und da muss man auch sagen können: Jawohl, wir machen Vorschläge, die a priori noch keine Mehrheit haben, aber wir kämpfen um Überzeugungen, damit wir die Chance bekommen, mehrheitlich etwas durchzusetzen, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sage ich das hier ganz offen: Das, was in dem AfD-Papier an Vorschlägen von Jean-Claude Juncker angesprochen worden ist, ist auch die Überzeugung der großen Mehrheit der Sozialdemokratie.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Was wollen Sie denn? Vereinigte Staaten von Europa? Sagen Sie es doch!)

Ich sage auch ganz konkret: Der bedeutende europäische Christdemokrat Jean-Claude Juncker hat von den deutschen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr oft große Unterstützung bekommen, manchmal sogar mehr als von der EVP. Es ist gut, dass wir ihn als Kommissionspräsidenten haben

(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Hatten!)

– hatten, danke schön –, und ich gehe davon aus, dass Ursula von der Leyen in dieser Weise weitergeht. Wir werden das kritisch begleiten und unterstützen, und die Sozialdemokratie wird genau dafür kämpfen, dass deutlich wird: Was die Interessen unseres Landes angeht, ist es das Beste, dass wir gemeinsam in Europa für Fortschritte kämpfen, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Axel Schäfer. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Dr. Diether Dehm.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7407531
Wahlperiode 19
Sitzung 135
Tagesordnungspunkt Souveränität Deutschlands
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