18.12.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 136 / Zusatzpunkt 1

Helge LindhSPD - Aktuelle Stunde zu Bürgerrechten und IT-Sicherheit

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich entnahm Veröffentlichungen der FDP und anderer Formulierungen wie „Angriff auf die Bürgerrechte“ oder „Katastrophe für Bürgerrechte“. Ich denke, in diesem Zusammenhang ist es gut, mal eine Perspektive einzunehmen.

(Stephan Thomae [FDP]: Die haben wir auch!)

Gestern Abend musste ich leider die Sendung „Markus Lanz“ mitverfolgen

(Stephan Thomae [FDP]: Da kann ich aber nichts dafür!)

und sah da den ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes,

(Thomas Seitz [AfD]: Der die Wahrheit gesprochen hat!)

der mit Formulierungen wie „Shuttleservice“ in Bezug auf Seenotrettung und mit abschätzigen Formulierungen wie „Mädchen mit Kulleraugen“ in Bezug auf Flüchtlinge, mit einer zutiefst verachtenden Position gegenüber der Kanzlerin, der Bundesregierung und der Entscheidung vom September 2015 ein sehr entsetzliches Beispiel abgegeben hat – was eine ziemliche Katastrophe für Bürgerrechte ist. Da müssen wir uns sicher alle selbstkritisch angucken. Das nenne ich eine Katastrophe für die Bürgerrechte. Ich bin sehr glücklich darüber, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt einen anderen Präsidenten hat.

(Beifall bei der SPD – Thomas Seitz [AfD]: Keine Marionette!)

Keine Katastrophe, sondern ein Geschenk für die Bürgerrechte ist aber, dass wir jetzt eine Justizministerin haben, die seit Beginn ihres Amtsantritts permanent in einem hohen Tempo

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Bürgerrechte einschränkt!)

gerade den Kampf gegen Rechtsextremismus, gegen Hetze im analogen und digitalen Raum zur zentralen Aufgabe erhoben hat. In diesem Kampf, denke ich, gibt es nur ein Ja und nicht ein „Ja, aber“, da sollten wir uns alle einig sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch eine zweite Perspektive aufzeigen. Ich selbst habe erlebt, was es bedeutet, gehackt zu werden,

(Konstantin Kuhle [FDP]: Das hätte ich Frau Lambrecht gar nicht zugetraut!)

indem Passwörter entwendet, entschlüsselt wurden. Das hatte erhebliche Folgen für mich persönlich und für geflüchtete Familien, die ich betreut habe und die von Identitären bedroht wurden. Das heißt, ich kann sehr gut beurteilen, welche Seriosität wir einerseits im Umgang mit Passwörtern walten lassen müssen und dass es berechtigt ist, die Bürgerrechtsfrage zu stellen; andererseits wissen die Familien, die ich begleitet habe, und ich, was es bedeutet, in diesem Digitalraum entsprechenden Bedrohungen ausgesetzt zu sein. Auch diesen Personen müssen wir – Sie verwenden ja gerne den Ausdruck „verdammt noch mal“ – verdammt noch mal eine Antwort geben, und es reicht nicht, auszusetzen und allgemeine, abstrakte Debatten über Bürgerrechte zu führen.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen im Zeitalter der Digitalisierung den wehrhaften Staat realisieren und gleichzeitig uns vor Augen führen, welchen Wert und welche Kostbarkeit Freiheit und Bürgerrechte haben. Deshalb kann ich überhaupt nicht nachvollziehen – das ist vielleicht auch eine Krankheit des digitalen Zeitalters –, dass wir für dieses Null-eins-Denken immer noch fortschreiben, auch in dieser Skandalisierung, die ich eben erlebt habe.

Es wäre wirklich klug, wenn wir auf der Grundlage des Maßnahmenpaketes gegen Rechtsextremismus als diejenigen, die für Freiheit im Netz, die für die Einhaltung der Bürgerrechte da berechtigterweise kämpfen, und als diejenigen, die wollen, dass Rechtsextremismus, dass Gewalt in Wort und Taten gebannt und bekämpft wird, zusammenwirken. Das wäre ein modernes Verständnis von Politik, und genau das ist die Aufgabe, die eben auch die Justizministerin formuliert hat. Machen wir das doch einfach mal.

Ich fasse zusammen:

Erstens. Wir haben hier drei Fälle. Wir haben einerseits den Fall Kampf gegen Rechtsextremismus. Gerade Maaßen zeigt uns, dass wir da viel konsequenter handeln müssen, und wir tun es.

Zweitens. Wir haben die Aufgabe, das auf einem vernünftigen, rechtssicheren und auch verfassungssicheren, klugen Weg zu machen in Bezug auf Digitalität. Da werden wir diskutieren. Wir werden in den nächsten Monaten ringen. Das ist die Normalität eines parlamentarischen Verfahrens.

Drittens. Wir haben den Fall FDP; das wage ich am Schluss auch noch mal zu erwähnen. Ich habe in den letzten Tagen ja fast mit Rührung vernommen, wie die FDP – Frau Teuteberg, Herr Kuhle und auch andere – besorgt sind um die SPD, die ihr Profil zu verlieren drohe, besorgt sind um die Justizministerin. Also, ich war schon fast den Tränen nahe.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Das glaube ich!)

Dann sehe ich aber auch Briefe an Frau Esken, die auch öffentlich gemacht wurden, und dann ist meine Rührung nicht mehr ganz so groß; denn das Spiel, das da gespielt wird, ist doch durchschaubar. Sie versuchen auf eine ziemlich platte, billige Weise, die Parteivorsitzende Esken gegen die Justizministerin Lambrecht auszuspielen.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Auf jeden Fall!)

Ist es denn klug, wenn es Ihnen so wichtig ist, für Bürgerrechte einzutreten und gleichzeitig gegen Rechtsextremismus zu kämpfen, das auf so eine billige parteipolitische Weise zu machen? Ich denke, das ist nicht klug

(Beifall bei der SPD)

und es ist des Themas überhaupt nicht angemessen, unsereins nicht würdig.

Wenn Sie dann in einem Post, Herr Kuhle, schreiben – sinngemäß; hoffentlich zitiere ich richtig –: „Wozu noch ein Justizministerium, wenn es sich nicht mal gegen die schwarzen Sheriffs durchsetzen kann?“, dann wage ich, auch zu fragen – ich bin ein großer Freund des Sozialliberalismus –: Wozu noch ein Liberalismus, der Fridays for Future mit Amateuren gleichsetzt, der in Fragen der Migration viel rechter und viel restriktiver ist als CDU, SPD und CSU zusammen, der bei der Meinungsfreiheit immer die Einschränkung sieht und nicht die Enthemmung und der andererseits jetzt plötzlich wieder die Bürgerrechte entdeckt?

(Konstantin Kuhle [FDP]: Die Frage nehme ich gerne an!)

Sie haben gesagt, Sie wollen leistungsbereite Arbeitnehmer von der SPD gewinnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin leistungsbereit.

Kollege Lindh.

Ich bin Arbeitnehmer. Arbeitgeber ist das deutsche Wahlvolk. Überzeugen Sie mich! Seien Sie nicht Sammlungsbewegung der Enttäuschten -

Kollege Lindh, kommen Sie bitte zum Schluss.

– und Verärgerten, sondern seien Sie wieder Förderer des Liberalismus!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Aktuelle Stunde ist beendet.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7407978
Wahlperiode 19
Sitzung 136
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu Bürgerrechten und IT-Sicherheit
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