Michael von AbercronCDU/CSU - Deutsch als Wissenschaftssprache
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorliegende Antrag hat zweifellos eine große Chance – nicht wegen der aktuellen Vorkommnisse, sondern aus anderen Gründen –, einen vorderen Platz auf der Hitliste der Kuriositäten in diesem Bundestag zu bekommen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Er passt eigentlich viel mehr in die Zeit von Kaiser Wilhelm II., weil man von dem ja wusste, dass er mit seinem englischen Vetter nicht so gut klarkam, und weil die wissenschaftliche Leistung damals eher zur Staffage, zu einer Art Deutschtümelei verkam. Man sagte kurzerhand: Forschung unter der Pickelhaube für die Pickelhaube. – Heute, hundert Jahre später, dieser Antrag der AfD zur Rettung der deutschen Sprache.
Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Das Drama dieser Zeit, der Schwund der deutschen Sprache, hat nun auch die Wissenschaft erreicht. Nur ein nationaler Aktionsplan kann retten, was noch zu retten ist. – Was für eine Weltferne! Da wird von einem Niedergang der deutschen Sprache seit Mitte des 20. Jahrhunderts gesprochen. In der dazugehörigen Pressekonferenz wurde sogar der Verlust des deutschen Erbes, der deutschen Kultur, der Philosophie heraufbeschworen. Hegel, Heidegger, Marx, sie alle sind schwer zu bekommen. – Ich empfehle den Kollegen von der AfD einen Besuch in der Buchhandlung. Da werden Sie mit Sicherheit Ihre geliebte Lektüre – etwa „Das Kapital“ von Karl Marx – finden; Sie werden sie mit Begeisterung lesen können.
Und wer ist schuld? Natürlich – wie sollte es auch anders sein? – die Bundeskanzlerin. Sie hat sich verschworen, will das Deutsche im Multilateralismus auflösen. Das nenne ich eine beispiellose Irrationalität.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. René Röspel [SPD])
Richtig wäre eigentlich dieser historische Rückblick: Das Deutsche hat im letzten Jahrhundert einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Ursache war eine katastrophale deutsche Überheblichkeit und Menschenverachtung, die auch in der Sprache ihren Niederschlag gefunden hat. – Gerade daraus erwächst für uns der Auftrag, besonders sorgsam mit der deutschen Sprache umzugehen. Ich gucke da bestimmte Persönlichkeiten hier im Hause an.
Wenn nun hier ein Rückgang von wissenschaftlichen Veröffentlichungen in deutscher Sprache beklagt wird, so hat das einen einfachen Grund. Jeder weiß, dass wir eine unheimliche Zunahme von wissenschaftlichen Veröffentlichungen haben, und niemandem ist geholfen, wenn Erkenntnisse wegen sprachlicher Hürden nicht ausgetauscht und angewandt werden können. Und: Fremdsprachen bilden. Sie sind nicht nur in der Wissenschaft wichtig, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur internationalen Verständigung. Diese Erkenntnis ist doch nicht neu. Die Antragsteller sprechen selbst von der „Linguae francae“.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja schon nicht so deutsch!)
Dieser Begriff allein zeigt doch, dass die lateinische Sprache seit der Antike die Wissenschaft prägt, bis heute. In der Medizin, in der Botanik, in der Chemie, überall haben wir auch die lateinische Sprache. Ich kenne eigentlich niemanden, der daran Anstoß nimmt. Das ist vielmehr ein Beispiel für eine hervorragende Kultur, die in Europa entwickelt worden ist.
Es ist doch sofort für jeden ersichtlich, dass wir uns in einer globalen Welt auch wissenschaftlich austauschen müssen. Hinzu kommt, dass an diesem wissenschaftlichen Dialog im Zeitalter der digitalen Technik weit mehr Nationen teilnehmen, dieser Vorgang sehr viel schneller stattfindet und viel intensiver ist als je zuvor. Da hilft eine gemeinsame Sprache. Diese über Grenzen hinweg bestehende wissenschaftliche Zusammenarbeit ist ein Gewinn und gewiss kein Verlust.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Seien wir dankbar, dass wir unsere wissenschaftlichen Publikationen und Abstracts gegenseitig lesen können. Denken Sie an die aktuelle Forschungsreise der „Polarstern“, wo Wissenschaftler aus 19 Nationen auf einem Schiff versammelt sind. Man kann sich doch vorstellen, wie untereinander kommuniziert wird, welches die Bordsprache ist.
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass die deutsche Sprache auch in der Wissenschaft eine Zukunft hat und wir auch in Zukunft auf Deutsch schreiben werden; aber globale Herausforderungen sind zu bestehen. Das Erlernen von Sprachen ist dabei ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Wir müssen Angebote machen: bilinguale Angebote in der Schule, fremdsprachige Studiengänge. Das ist die moderne Antwort, vor der sich keiner fürchten muss.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dieser Antrag fordert die Bundesregierung auf, einen nationalen Aktionsplan zum Erhalt, zur Stärkung und Pflege der Wissenschaftssprache Deutsch zu entwickeln. Die drei Punkte, die da genannt sind, lassen aber völlig offen, wie das im Einzelnen aussehen soll. Wie steht es um die Freiheit der Lehre? Wie steht es um die Autonomie der Universitäten? All das wird überhaupt nicht angesprochen.
In der Begründung zu dem Antrag wird es schon etwas deutlicher, um nicht zu sagen: zweideutiger. Zitat: „Sprache bedeutet, eine ... Weltsicht ... zu haben.“ Was ist denn damit eigentlich gemeint? Ist das eine deutsche Weltsicht? Das ist es eben: Sind es nicht diese immer wieder wiederholten Zweideutigkeiten, die auch in diesem Antrag Ihrer Fraktion erneut zum Ausdruck kommen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, das führt diesen Antrag völlig ad absurdum. Deshalb müssen wir den Antrag ablehnen.
Marcel Reich-Ranicki hat einmal gesagt: „Die deutsche Sprache ist sexy.“ Die Sprache der AfD in diesem Antrag ist es leider nicht.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in der Debatte fortfahren, unterrichte ich Sie darüber, dass der Abgeordnete Frömming, der für die AfD-Fraktion diesen Antrag hier einbringen sollte, ein medizinisches Problem hat. Wir haben jetzt vereinbart, dass der Redebeitrag des Abgeordneten Frömming zu Protokoll genommen wird, sodass Sie in den nachfolgenden Ausschussberatungen darauf Bezug nehmen können.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. h. c. Thomas Sattelberger für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7409062 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 137 |
Tagesordnungspunkt | Deutsch als Wissenschaftssprache |