Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bravo, AfD! Zum ersten Mal nach über zwei Jahren setzen Sie hier eine wohnungspolitische Debatte im Plenum auf.
(Beatrix von Storch [AfD]: Nicht zum ersten Mal! – Marc Bernhard [AfD]: Quatsch!)
Doch, oh Wunder, es ist immer die gleiche Leier. Kurzfassung: Die Migranten sind schuld.
(Enrico Komning [AfD]: Ja, weil wir uns um die Deutschen zu kümmern haben! Unser Auftrag ist das deutsche Volk!)
Diese Leier ist wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat. Das ist wenig originell. Es ist die immer gleiche rassistische Hetze, und die kann kein Mensch mehr hören.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Davon abgesehen, dass bei Ihnen ja immer an jedem Problem „die Migranten“ schuld sind,
(Widerspruch bei der AfD)
verkennt Ihre Analyse einfach die Fakten. Sie haben ja gar keine Ahnung von der Geschichte der Wohnungspolitik der Bundesrepublik.
(Leif-Erik Holm [AfD]: Lesen Sie doch mal richtig!)
Ich kann Ihnen da vielleicht mal auf die Sprünge helfen. Die Misere begann nämlich bereits 1990, als die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft wurde. Seither befindet sich der soziale Wohnungsbau im Niedergang. Die Zahl der Sozialwohnungen hat sich seither auf nunmehr fast 1,2 Millionen Sozialwohnungen halbiert. Sämtliche Bundesregierungen haben seither das Tafelsilber verscherbelt, Wohnungen privatisiert.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sie haben das getan! Sie haben es in Berlin getan! Sie haben doch Wohnungen verkauft, Frau Lay! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch in Berlin mit dem Verscherbeln, oder?)
Die meisten Wohnungen wurden im Bund privatisiert – von Schwarz-Gelb.
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ihre Wohnungspolitik kann man auch in die Tonne hauen! Noch zehn Jahre Linke, und die Häuser sind in der Tonne!)
Sie haben das Mietrecht geschliffen. Sie haben Zwangsräumungen erleichtert. Da liegt der Hase im Pfeffer. Es sind die Fehler der Politik, und es ist nicht die Schuld der Migrantinnen und Migranten.
(Beifall bei der LINKEN – Enrico Komning [AfD]: Genau so ist es! Die Migranten sind nicht schuld!)
Sie spalten die schwächsten Gruppen in der Gesellschaft. Sie wollen Wohnungslose nach Pässen sortieren
(Marc Bernhard [AfD]: Das machen Sie doch in Berlin! Ich habe es doch vorher gesagt in meiner Rede, dass gerade Sie das machen in Berlin, wo Sie regieren!)
und deutsche und migrantische Obdachlose gegeneinander ausspielen. Das ist doch rassistisch und unsozial, was Sie hier vorschlagen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ihrem Ansatz liegt einfach ein ganz großer Trugschluss zugrunde: Nicht der Zuzug ist die Ursache für die Mietenkrise, sondern die Geschäftemacherei mit Wohnraum. Nicht Migration, sondern Spekulation ist die Mutter der Mietenexplosion.
(Beifall bei der LINKEN – Jörn König [AfD]: Ja, wahrscheinlich!)
Für Immobilieninvestoren rangieren vier deutsche Städte unter den Top Ten. Das mögen ja einige ganz toll finden. Mir macht es Sorge; denn die versprochenen Gewinne der Anleger bedeuten höhere Mieten für die anderen. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Aber sich mit dem internationalen Finanzkapital anlegen – Fehlanzeige!
Sie machen es natürlich auch den Regierungen leicht, indem Sie nicht ihre Verantwortung benennen, sondern die Schuld auf die Schwächsten, auf die Migranten schieben.
(Marc Bernhard [AfD]: Nein, Sie sind das! Ihre Politik ist schuld! Was Sie als Linke machen, das ist das Problem!)
Der Volksmund hat dafür eine schöne Formulierung: Nach oben buckeln und nach unten treten. – Das können Sie, aber das erfordert keinen Mut, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Migrantinnen und Migranten sind übrigens nicht die Ursache für die Wohnungsnot, sondern sie sind die Leidtragenden. Sie stellen unter den Wohnungslosen die größte Gruppe, und sie sind auf dem Wohnungsmarkt am meisten diskriminiert. Deswegen brauchen wir endlich einen mutigen Neustart im sozialen Wohnungsbau, und zwar für alle; denn das Recht auf Wohnen muss für alle gelten – unabhängig von Pass und von Herkunft.
(Beifall bei der LINKEN – Marc Bernhard [AfD]: Eben, genau! Für alle!])
Liebe Mieterinnen und Mieter in diesem Land, die AfD versucht heute, sich als Partei für eine soziale Wohnungspolitik zu inszenieren.
(Enrico Komning [AfD]: Wir sind die einzige soziale Partei hier im Bundestag! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Klappt nur nicht!)
Was macht denn die AfD tatsächlich hier im Bundestag in Bezug auf die Wohnungspolitik? Sie waren es, die im Haushalt die Gelder für den sozialen Wohnungsbau kürzen wollten.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Pfui! – Weitere Zurufe, an die AfD gerichtet)
Sie waren die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die gegen die Verlängerung des sozialen Wohnungsbaus gestimmt hat. Sie sind gegen die Mietpreisbremse,
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das sind wir allerdings auch! Das ist ein einziger Schwachsinn! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
gegen den Mietendeckel. Sie sind gegen den besseren Schutz von Mieterinnen und Mietern und stehen stramm an der Seite von Immobilienhaien und des Finanzkapitals. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ich weiß nicht, was besser ist: links oder rechts!)
Wenn ich mir Ihre Anträge anschaue, stelle ich fest: Sie haben gar keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Sie fordern hier die Rücknahme von Standards, die schon längst ausgelaufen sind.
(Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Welche denn?)
Und dann tun Sie so, dass irgendwelche Sonderkonditionen für Geflüchtete eingerichtet wurden; das sei so eine Art Privileg. Also, ehrlich gesagt, das Gegenteil ist richtig. Es ging darum, dass Geflüchtete in Massenunterkünften und in Gewerbegebieten untergebracht werden konnten. Wir fanden das als Linke damals schon falsch. Denn egal ob Geflüchtete oder Obdachlose, wir wollen nicht, dass Menschen in Massenunterkünften leben müssen.
(Beifall bei der LINKEN)
In meinem Wahlkreis – das ist der Landkreis Bautzen; die AfD war dort bei der Bundestagswahl die stärkste Kraft –
(Enrico Komning [AfD]: Das wird sich auch weiter bewahrheiten!)
stehen Tausende Wohnungen leer, und trotzdem müssen dort nach wie vor Asylbewerber in Massenunterkünften leben. Ich finde, dort, wo Wohnungen leer stehen, soll kein Mensch mehr unter Brücken schlafen müssen, soll kein Mensch mehr in Massenunterkünften schlafen müssen.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Jörn König [AfD]: SPD-Bürgermeister!)
Ich bin mal gespannt, ob Sie mit Ihrer großen Fraktion im Kreistag diese Forderungen unterstützen würden.
(Marc Bernhard [AfD]: Genau das wollen wir!)
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der AfD?
Nein, danke. – Zu guter Letzt: Sie monieren die Landflucht. Ja, auch ich kenne viele junge Menschen, die aus meinem Wahlkreis in der Lausitz nach Dresden, nach Leipzig, nach Berlin ziehen. Warum? Das eine: weil die Löhne zu niedrig sind, weil die Jugendklubs, die Kitas, die Schulen geschlossen wurden, weil kein Bus mehr fährt. Klar, wer will da eine Familie gründen? Das andere: weil es zu viele Nazis gibt
(Lachen der Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD] und Marc Bernhard [AfD])
und weil viele junge Leute auf dem Heimweg einfach nicht mehr sicher sind und fürchten, verprügelt zu werden, und weil sie diese bornierte Haltung einfach nicht mehr ertragen können, seitdem die AfD dort die Lufthoheit über die Stammtische erobert hat. Deswegen kann ich nur sagen: Weniger AfD wählen, mehr Weltoffenheit – und schon werden ländliche Räume für junge Menschen auch wieder attraktiver.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Es ist wirklich ein Schwachsinn! Das ist unfassbar!)
Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Kollegen Karsten Hilse, AfD.
(Zuruf von der CDU/CSU: Muss das sein?)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/cvid/7409143 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 138 |
Tagesordnungspunkt | Wohnungsnot und Obdachlosigkeit |