20.12.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 138 / Tagesordnungspunkt 23

Fabio Valeriano Lanfranco De MasiDIE LINKE - Altschulden der Kommunen und Wohnungsunternehmen

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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Kommune ist, wo wir leben und arbeiten und unsere Kinder groß werden. Wir sind Bundesrepublik. Wenn Städte und Dörfer in Deutschland abgehängt werden, 2 500 Kommunen überschuldet sind, Turnhallen, Schultoiletten und Bibliotheken vergammeln, kaum ein Bus fährt oder es kein Internet gibt, dann stirbt auch ein Stück von diesem Land. Die Linke will das nicht zulassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Immer wenn wir zu Recht mehr Zukunftsinvestitionen in Deutschland fordern, antwortet die Bundesregierung, das Geld fließe nicht ab. Ein Grund dafür ist die Situation der Kommunen. Sie haben kaum noch Leute, um Investitionen zu planen, und kein Geld, diese Investitionen mitzufinanzieren. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Ankündigung des Finanzministers Olaf Scholz, Kommunen in Deutschland mit einem Altschuldenfonds zu entlasten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wissen, dass dies ein steiniger Weg ist, weil es dafür die Zustimmung von reicheren Ländern und Kommunen braucht. Der Bundestag sollte daher einen Altschuldenfonds unterstützen. Die Linke wirbt dafür.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir möchten die Debatte aber auch nutzen, um endlich eine zukunftsfeste Finanzierung für die Kommunen einzufordern; denn es bringt nichts, wenn wir alle wieder auf Los gehen und wir in ein paar Jahren wieder in derselben Sackgasse stecken. Die Linke will die Finanzen unserer Städte und Dörfer stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Investitionsstau bei den Kommunen beträgt 138 Milliarden Euro. Seit 16 Jahren verzeichnen wir negative Nettoinvestitionen; das heißt, die Kommunen leben von der Substanz, und ihre Infrastruktur schrumpft. Die Altschulden betragen über 40 Milliarden Euro. Davon sind etwa 37 Milliarden Euro kommunale Kassenkredite. Diese sollen eigentlich wie ein Dispo auf dem Konto nur überbrücken, wenn Ausgaben kurzfristig höher sind als Einnahmen. Viele Kommunen stecken aber knietief in diesem Dispo. Zwei Drittel der Kassenkredite entfallen auf Kommunen in Nordrhein-Westfalen.

Eine Zinserhöhung von 1 Prozent würde allein in NRW zu Mehrausgaben von 250 Millionen Euro führen. Schon heute werden viele Kommunen unter Aufsicht von Sparkommissaren gestellt. Diese kommunale Troika untergräbt die kommunale Selbstverwaltung.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)

So stirbt auch unsere Demokratie, weil Menschen vor Ort nichts mehr entscheiden können, wenn es nichts mehr zu entscheiden gibt.

Die Sparkommissare verordneten einen Anstieg des Gewerbesteuersatzes, um wenigstens die gesetzlichen Pflichten weiter erfüllen zu können. Steueroasen wie Monheim werben jedoch Firmen und Arbeitsplätze mit Niedrigsteuern ab. Dadurch sinken die Gewerbesteuern der ärmeren Kommunen weiter, die Infrastruktur verrottet, reichere Familien ziehen weg.

Warum ist das ein Problem? Weil soziale Spaltung, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch bedeutet, dass Menschen in Deutschland nicht mehr wissen, wie es ihren Nachbarn aus einer anderen sozialen Schicht geht, und das ist brandgefährlich, verehrte Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer trägt aber Schuld für die Situation der Kommunen? Der Chef der Thüringer Staatskanzlei Benjamin Hoff bemerkte dazu – ich zitiere –:

Das Ruhrgebiet u. a. Regionen sind sicherlich nicht für Konzentration an Spaßbädern mit goldenen Wasserhähnen bekannt.

Denn Ruhr und Pfalz haben die geringsten Sachinvestitionen pro Einwohner. – Ich finde, da hat er recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die verfehlte Steuerpolitik der letzten 20 Jahre – Steuersenkungen für Konzerne und Spitzenverdiener – hat die Situation der Länder und somit auch der Kommunen verschärft. Denn es gibt auch Zeiten, in denen Steuern eben nicht wie Milch und Honig fließen. Der Kern des Problems ist aber: Der Bund hat Kommunen durch Gesetze die Kosten für Sozialleistungen untergeschoben, aber kein Geld auf den Tisch gelegt. Das widerspricht dem Konnexitätsprinzip, wonach gilt: Wer bestellt, bezahlt. Das gilt in Deutschland in jeder Kneipe und muss auch in der Politik gelten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Sozialausgaben der Kommunen sind zwischen 2003 und 2013 um 50 Prozent gestiegen. Besonders NRW, Rheinland-Pfalz und das Saarland hat dies wegen des Strukturwandels hart getroffen. Kohle und Stahl im Ruhrgebiet und die Textilindustrie in der Pfalz sind weggebrochen. Der Finanzminister will, dass der Bund bis zu 50 Prozent der Altschulden übernimmt. Dies kann nicht nur Sache der Länder sein – Stichwort: „Hessenkasse“ –, weil der Strukturwandel etwa NRW besonders hart trifft.

Die „FAZ“ zitiert den Geschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy, so:

Dass der Bund den Braunkohlerevieren beispringe, werde von den Kritikern … akzeptiert, sagt Dedy. „ Dass aber der Bund nicht für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Republik zuständig sein soll, kann mir niemand erzählen.“

Ich finde, er hat recht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Bernhard Daldrup [SPD])

Die Linke meint: In Zukunft muss wieder gelten: Wer bestellt, bezahlt. Dazu braucht es die Entlastung der Kommunen bei sozialen Leistungen durch den Bund. Wir wollen die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer entwickeln, damit die Kommunen unabhängiger von der Konjunktur werden. Auch Steuerberater oder Architekten sollten Gewerbesteuer zahlen. Kleine Gewerbebetriebe und Freiberufler müssen aber über höhere Freigrenzen entlastet werden. Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren sollten in voller Höhe bei der Ermittlung der Steuerbasis berücksichtigt werden. Die Linke will starke Städte und Dörfer für starke Menschen in einem gerechten Land.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Junge, kannst du Phrasen dreschen!)

Wenn ich ein bösartiger Mensch wäre, würde ich jetzt sagen – wie die Kanzlerin zu Andi Scheuer in der Fragestunde –: dass Olaf Scholz einen sehr guten Job macht. Ich meine aber ein ernstgemeintes Lob an dieser Stelle. Bei allem, was ich an Olaf Scholz immer kritisiere: Er hat eine wichtige Debatte angestoßen, und er kann auf die Unterstützung der Linken bei der Entschuldung der Kommunen zählen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat der Kollege Christian Haase für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7409192
Wahlperiode 19
Sitzung 138
Tagesordnungspunkt Altschulden der Kommunen und Wohnungsunternehmen
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