15.01.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 139 / Zusatzpunkt 1

Gyde JensenFDP - Aktuelle Lage im Nahen und Mittleren Osten

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Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die Menschen im Iran nach den Geschehnissen der letzten Tage und Wochen zu Tausenden auf die Straße gehen, zeugt von einem unglaublichen Mut. Ich denke, das können wir in diesem Hohen Hause auch anerkennen und an die Menschen im Iran die Botschaft senden, dass wir an ihrer Seite stehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Anders als noch bei den vorherigen Protesten demonstrieren die Iraner jetzt nicht mehr nur gegen Misswirtschaft ihrer eigenen Regierung. Sie fordern nun Transparenz und Grundrechte ein und riskieren dafür willkürliche Inhaftierung und ihr eigenes Leben. Das zeigt ihre Wut; das zeigt ihre Verzweiflung, aber auch die Hoffnung auf eine Chance, etwas Grundlegendes in ihrem Land zu verändern.

Jetzt wurde hier schon viel über die Lage allgemein im Nahen Osten gesprochen; Graf Lambsdorff hat für uns ein Bild gezeichnet. Ich möchte gerne über die Menschenrechte im Iran sprechen. Auf der Rangliste für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Iran auf Platz 170 von 180. Allein im Jahr 2018 vollstreckte das Regime nach offiziellen Angaben 253 Todesurteile, teilweise an Baukränen. Die Liste der Menschenrechtsverletzungen geht weiter. Wenn Iranerinnen sich öffentlich für ihre Rechte einsetzen, drohen ihnen Haft und Folter. Erst im August wurden drei Frauenrechtlerinnen zu 16 und 23 Jahren Haft verurteilt, weil sie keinen Schleier trugen. Jüngstes Beispiel ist Shohreh Bayat, die erste Frau an der Spitze eines iranischen Sportverbandes, die als Schiedsrichterin bei der Schach-WM nach Meinung der iranischen Staatsmedien und der Offiziellen ihr Kopftuch zu locker trug. Aus Protest legte sie es vollständig ab und möchte jetzt nicht nach Hause zurückkehren, weil sie um ihre Sicherheit fürchten muss.

Menschenrechte gelten auch im Netz; doch im Iran herrscht Internetzensur. Während der Proteste gegen steigende Benzinpreise schaltete das Mullah-Regime einfach für mehrere Tage Internet und Mobilfunknetze ab. Damals wie heute gehen Polizisten im Iran hart gegen Demonstranten vor. 2019 blieb es auch nicht bei dem Einsatz von Tränengas, sondern das Regime schlug den Widerstand mit brutaler Gewalt nieder, und es kam Schätzungen zufolge zu über 1 500 Toten. Schon damals hätte sich meiner Meinung nach die Bundesregierung an die Seite der Demonstranten stellen müssen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Außenminister, Sie gestalten leider keine Außenpolitik, sondern – das haben wir in der Debatte gehört – Sie rennen den Ereignissen hinterher. Es soll 15 Stunden gedauert haben, bis Sie auf die Tötung von General Soleimani reagiert haben. Nachdem immer klarer wurde, dass das Flugzeug tatsächlich abgeschossen wurde, haben Sie nur beschwichtigt. Erst jetzt mahnen Sie an, dass die iranische Führung die Meinungsfreiheit ihrer Bevölkerung respektieren soll.

Meine Damen und Herren, wir brauchen keine Außenpolitik, die immer nur bedauert, ermahnt, bittet oder Sachverhalte zusammenfasst. Wir brauchen eine Außenpolitik, die die Wahrung der Menschenrechte gewährleistet.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen eine Pendeldiplomatie à la Hans-Dietrich Genscher. Wir brauchen einen Chefdiplomaten, der häufiger auch einmal ins Flugzeug steigt und nicht immer nur zum Hörer greift oder mit geringer Resonanz twittert.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Er war doch gerade da!)

Wir brauchen wieder eine echte Diplomatie mit Fingerspitzengefühl, die mit unseren internationalen Partnern eine langfristige Stabilisierung in der Region erreichen möchte.

(Beifall bei der FDP)

Die Auslösung des Streitschlichtungsmechanismus des Atomabkommens mit dem Iran war deswegen überfällig –

(Gabriele Katzmarek [SPD]: Leute, Leute, Leute!)

das haben wir gehört –; aber es darf auf gar keinen Fall zu einer Beendigung des JCPoA-Abkommens kommen.

Meine Damen und Herren, Deutschland ist gerade Mitglied im UN-Sicherheitsrat – eine historische Chance, nicht nur mahnender, twitternder Zaungast bei der Lösung der Situation im Nahen und Mittleren Osten zu sein, sondern aktiv mitzugestalten. Warum gab es immer noch keine Sondersitzung des Weltsicherheitsrates? Wer gegenüber Terrorstaaten selbstbewusst auftreten will, braucht klare Haltung und eine durchdachte Strategie. Beides lässt die Bundesregierung momentan leider vermissen. Stattdessen beobachten wir Visionslosigkeit und Gestaltungsunwillen.

Lieber Herr Minister, die Menschen im Iran zeigen momentan diesen Gestaltungswillen und den Willen zu Veränderung. Ich denke, das sollten auch wir, das sollten Sie für die Bundesregierung tun. Streben Sie an, dass das JCPoA-Abkommen weiterhin eingehalten wird, und bringen Sie alle Verhandlungspartner wieder an einen Tisch.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Stefan Liebich.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7413875
Wahlperiode 19
Sitzung 139
Tagesordnungspunkt Aktuelle Lage im Nahen und Mittleren Osten
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