16.01.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 140 / Tagesordnungspunkt 7

Karl LauterbachSPD - Organspende

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was ist das Problem, weswegen wir heute zusammengekommen sind, um es zu lösen? In Deutschland sterben jedes Jahr mehr als 1 000 Menschen, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen; mehr als 10 000 Menschen stehen auf dieser Warteliste. Das sind sehr hohe Zahlen. Was dagegen die Zahl der gespendeten Organe, der Spender angeht, muss man feststellen, dass diese nur ungefähr halb so hoch ist wie in unseren Nachbarländern. In den Nachbarländern werden – auf die Bevölkerung bezogen – zwei- bis dreimal so viele Organe gespendet. Wir liegen also zurück. Wir sind Schlusslicht in Europa.

Woran liegt das? Ist in Deutschland die Spendenbereitschaft nicht da? Nein, wir haben eine Spendenbereitschaft, die hoch ist. 85 Prozent der Menschen sind der Organspende gegenüber positiv eingestellt. Will man die Organe vielleicht nicht nehmen? Nein, auch das ist nicht so. 98 Prozent derjenigen, die auf der Warteliste sind, wollen auf dieser Warteliste sein, wollen ein Organ haben. Somit gibt es also die Bereitschaft, zu spenden, und es gibt die Bereitschaft, ein Organ zu nehmen.

Trotzdem kommt das nicht zusammen. Woran liegt das? Das liegt daran, dass nur sehr wenige, weniger als ein Drittel, einen Organspendeausweis verfügbar haben und dass dieser in weniger als 20 Prozent der Fälle bei einer Spende, nämlich dann, wenn der Hirntod eingetreten ist, eine Rolle spielt. In 80 Prozent der Fälle ist das eine Angelegenheit der Ärzte und der Angehörigen. Das war schon so, als ich noch gar nicht im Bundestag war. Vor mehr als 15 Jahren habe ich eine Studie mit mehr als 15 000 Dialysepatienten geleitet. Damals war das Problem genauso wie heute.

Seitdem haben zahlreiche Länder die Widerspruchslösung eingeführt, über die wir heute debattieren. 22 europäische Länder haben das gemacht. In den Ländern, die das gemacht haben, sind die Spendenzahlen hochgegangen, zum Beispiel in Schweden. Nachdem dort die Widerspruchslösung eingeführt wurde, hat sich die Spendenzahl verdoppelt. Wieso ist das so? Zu viele Menschen, die bereit sind, zu spenden, werden nicht zum Spender, weil die Angehörigen und die Ärzte in der Situation des Hirntodes überfordert sind, diese Entscheidung für den Verstorbenen zu treffen. Mehr als die Hälfte stimmt dann nicht zu. Das ist das eigentliche Problem.

Das Problem ist nicht die Organisation der Organspende. Die Organisation ist in Deutschland nicht schlechter als anderswo. Es ist ja ganz klar: Egal wie ich es organisiere – ich kann es gut machen oder schlecht –: Wenn ich das Organ nicht habe, macht die Organisation keinen Unterschied.

Es ist auch nicht so, dass es hier in Deutschland keine Bereitschaft gibt, zu spenden – die Bereitschaft ist da –, sondern es ist vielmehr so: Es fehlt eine einfache, unbürokratische Regelung, wie man zum Spender wird. Das ist das Problem. Hier gibt es nun die Widerspruchslösung. Die Widerspruchslösung ist nicht die Lösung aller Probleme; sie ist aber eine notwendige Bedingung dafür, dass wir das schaffen. Daher setzen sich fast alle von dem Thema betroffenen ärztlichen Organisationen, meine Kolleginnen und Kollegen, dafür ein, zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Urologie, die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie, die Deutsche Transplantationsgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin. Wir alle setzen uns für die Einführung der Widerspruchslösung ein, weil wir wissen, dass es sonst nicht gehen wird. Wir werden es sonst nicht schaffen. Die Kollegin Schmidtke wird darüber nachher reden. Ich sage somit: Wenn wir es nicht schaffen, diesmal die Widerspruchslösung einzuführen – wir kämpfen an dieser Stelle seit mehr als zehn Jahren dafür –, dann wird sich erneut nichts ändern, dann werden wir in wenigen Jahren die Debatte, die wir heute haben, hier erneut führen, weil mit jeder Variante der Zustimmungslösung das Problem nicht zu lösen ist. Machen wir uns nichts vor!

Ich komme zu den ethischen Gegenargumenten. Immer wieder wird gesagt, die Widerspruchslösung möge effizienter sein, das stelle man nicht strittig, in den 22 europäischen Ländern, die die Widerspruchslösung haben, möge sie wirken, das stelle man nicht strittig, sie sei aber eine unethische Lösung. Übrigens, wenn wir so denken, dann dürften wir auch keine Organe nehmen, die aus den Ländern kommen, in denen die Widerspruchslösung praktiziert wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Die Eurotransplant-Länder machen das ja alle. Dann müssten Sie alle auch konsequenterweise sagen: Wir wollen diese Organe nicht. – Diese nimmt aber jeder gerne an. Weshalb ist das so? Man muss natürlich vorsichtig sein. Es wird immer gesagt: Das ist dann eine Pflicht zur Spende. -

Das ist natürlich falsch. Das ist Unsinn. Es gibt keine Pflicht zur Spende. Es gibt eine Pflicht, Nein zu sagen, wenn ich zu den wenigen gehören will, die zwar nicht spenden wollen, aber gerne ein Organ bekommen wollen. Von diesen Menschen kann ich wenigstens verlangen, dass sie bereit sind, dass sie den Mut haben, Nein zu sagen. Das ist das Wenigste.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Das ist aus meiner Sicht auch in der Tradition der christlichen Ethik. Das steht in dieser Form schon mehr oder weniger in der Bibel: Das, was ich will, was mir selbst zugutekommt, muss ich auch bereit sein anderen zu geben.

(Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist in der Tradition der Aufklärung. Das hat Kant so ausgedrückt. Das ist die Goldene Regel. Es ist unethisch, ein Organ nehmen zu wollen, aber nicht bereit zu sein, zumindest Nein zu sagen, wenn man nicht bereit ist, zu spenden. Das ist eine unethische Haltung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

Jetzt hat das Wort die Kollegin Hilde Mattheis.

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7413948
Wahlperiode 19
Sitzung 140
Tagesordnungspunkt Organspende
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