16.01.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 140 / Tagesordnungspunkt 7

Gitta ConnemannCDU/CSU - Organspende

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Haben Sie schon einmal auf einen Anruf gewartet, der Ihr Leben verändern wird? Und Sie warten und warten und warten. Dann wissen Sie, dass Minuten zu einer halben Ewigkeit werden können.

Mein Mitarbeiter Wendt hat drei Monate gewartet, 130 000 Minuten, auf einen Anruf, auf den Anruf: „Wir haben ein Organ für Sie“. Wendt, 33 Jahre alt, gerade Vater geworden. Nur einen Monat nach der Geburt seines Kindes wurde eine lebensgefährliche Erkrankung festgestellt. Eine Transplantation war die einzige Hoffnung. Aber der Anruf kam nicht. Wendt starb am 17. Juli.

Meine Damen und Herren, wir entscheiden heute über Zeit – nicht nur über Wartezeit, wir entscheiden über Lebenszeit. In diesem Moment warten und hoffen 10 000 Menschen auf ein Organ. Uns alle hier in diesem Haus verbindet ein Ziel: Wir wollen ihnen helfen, wir wollen Leben retten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN und des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb kämpfe ich für die Widerspruchslösung.

Ohne Frage: Diese ist kein Allheilmittel. Transplantationsbeauftragte brauchen mehr Zeit, Entnahmekrankenhäuser mehr Geld; aber all das haben wir inzwischen auf den Weg gebracht. Jetzt ist noch eine Frage offen: Darf der Staat von seinen Bürgern eine Entscheidung für bzw. gegen eine Organspende verlangen? Nur darum geht es – nicht um einen Zwang zur Organspende. Dieser stand nie zur Diskussion, und diesen darf es niemals geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber ist es nicht zumutbar, sich darüber Gedanken zu machen und sich zu entscheiden? Meine Antwort lautet: Ja, es ist zumutbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Es gibt andere Bereiche, in denen wir als Gesetzgeber schon heute dem Bürger Entscheidungen abverlangen. Und hier geht es um Leben und Tod, und nichts ist wichtiger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Das Recht auf Selbstbestimmung bleibt unangetastet, auch die individuelle Freiheit. Wer eine Entnahme ablehnt, wer Zweifel hat, muss nicht spenden. Ein einfaches Nein reicht. Die Entscheidung kann jederzeit widerrufen werden, ohne Angabe von Gründen. In Zweifelsfällen werden die Angehörigen befragt, ob ihnen ein Widerspruch bekannt ist. Das ist die doppelte Widerspruchslösung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Diese Praxis wird in vielen anderen Ländern Europas schon gelebt, Länder, die uns über Eurotransplant lebensrettende Organe zur Verfügung stellen – bislang.

Ohne Frage: Am besten wäre es, wenn jeder von uns einen ausgefüllten Organspendeausweis in der Tasche hätte. Aber die Realität sieht anders aus. In Deutschland werden Jahr für Jahr Abermillionen Ausweise ausgegeben. Dort oben auf der Tribüne sitzt die Vorsitzende des Vereins Organtransplantierte Ostfriesland, Barbara Backer, die auf jedem Markt, auf jedem Fest steht und versucht, Menschen zur Organspende zu motivieren. Jeder Krankenversicherte erhält schon heute mit Vollendung des 16. Lebensjahres ein Exemplar. Sie liegen überall aus; aber die meisten werden nicht ausgefüllt. Sie werden verdrängt, sie werden vertagt, vergessen. Daran wird der Hinweis auf dem Bürgeramt bei der Abholung eines Personalausweises nichts ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Appelle reichen nicht. Hausärzten fehlen die Ressourcen. Nur die Widerspruchslösung wird dazu führen, dass es zu einem Mentalitätswechsel kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben über dieses Thema auch im Sommer debattiert. Ich sprach damals über das Warten in Angst. Nach der Debatte meldete sich Wendt zum letzten Mal bei mir, wohl wissend, dass jede Regelung für ihn zu spät sein würde. „ Liebe Frau Connemann, ich habe Ihre Rede gehört, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen“, schrieb er mir aus seiner, wie er es nannte, Matratzengruft.

Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, inständig, heute für die Widerspruchslösung zu stimmen: für Wendt, für alle, die noch warten, für Lebenszeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN und der Abg. Katja Suding [FDP] und Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Kirsten Kappert-Gonther.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Personen

Dokumente

Automatisch erkannte Entitäten beta

Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7413960
Wahlperiode 19
Sitzung 140
Tagesordnungspunkt Organspende
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta