16.01.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 140 / Tagesordnungspunkt 7

Otto FrickeFDP - Organspende

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Geschätzter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über etwas, über das wir in unserer Gesellschaft immer noch ungerne reden. Wir reden über den Tod, über das Sterben. Eigentlich reden wir über das Leben, das daraus erwachsen kann, über die Möglichkeit, mit einem letzten vorherrschenden Akt dafür zu sorgen, dass wir unseren Mitmenschen helfen können. Das müssen wir uns bewusst machen. Es ist übrigens auch unsere Aufgabe als Parlament, diese ethische Überlegung nach draußen zu tragen und allen, die heute zuhören und zuschauen, immer wieder zu sagen: Ihr, Mitbürger, Mitmenschen, seid es, die an dieser Stelle durch einen letzten Akt der Mitmenschlichkeit, der Nächstenliebe Verantwortung für euren Nächsten, für einen Übernächsten und eben auch für einen Unbekannten übernehmen könnt. Darum möchten wir euch bitten; dazu möchten wir euch anleiten und euch dafür die richtige Voraussetzung geben. Das ist die Aufgabe, die wir heute haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Es ist uns – das bekomme ich als Anwalt immer wieder mit – unangenehm, über Testament, Patientenverfügung, aber eben auch über Organspende zu reden. Ja, das ist unangenehm, und ja, der erste Schritt, das zu tun, ist schwierig. Ich weiß von mir, dass es für mich der schwierigste Schritt war, meine Kinder zu fragen: Wie wäre das denn eigentlich bei uns? Denn eines vergessen wir doch immer wieder: Wir wissen nicht, ob wir den nächsten Abend noch erleben. Wir hoffen das, wir glauben das, und wir leben in einer Zeit, in der das häufig so ist; aber es kann jedem von uns passieren, dass es ganz schnell zu Ende ist. Wir haben die Aufgabe, das für uns Richtige zu entscheiden, Überlegungen anzustellen und Verantwortung zu übernehmen; aber wir müssen es für uns tun, in der Verantwortung vor uns selbst und, wenn wir glauben, auch vor Gott.

Meine Damen und Herren, es ist aber – das will ich deutlich sagen – die Aufgabe des Parlaments, dieses Schweigen zu durchbrechen, da Schweigen nicht dazu führt, dass man diese Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit vermeiden kann. Das ist für mich ein Problem, wobei ich allen, die die Widerspruchslösung unterstützen, zubilligen will, dass sie helfen wollen. Aber ich muss ausdrücklich sagen: Wenn ich im Ergebnis dafür sorge, dass Schweigen eine Lösung ist und es den Menschen leichter macht, zu sagen „Ich setze mich damit nicht auseinander; der Staat, die Gesellschaft regeln das schon“, dann widerspricht das meinem Menschenbild von Mitbürgern, die Verantwortung und Nächstenliebe übernehmen. Deswegen stimme ich für die Zustimmungslösung.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist unangenehm. Ja, man muss darüber nachdenken, man muss darüber reden, man muss darüber entscheiden. Ich will ausdrücklich sagen: Ja, unser Entwurf ist anstrengender, weil er zum Bürger sagt: Du musst dich damit auseinandersetzen. – Ja, das ist unangenehmer. Ich will aber ausdrücklich sagen: Entscheide dich doch wirklich! Es ist dein Körper; es ist das, wo du als Letztes noch einmal etwas tun kannst.

Die entscheidende Frage ist doch: Was ist, wenn ich mich trotz aller Anstrengungen noch nicht entscheiden kann? Wenn ich abgewogen habe – mein Verstand sagt Ja, mein Gefühl sagt Nein, meine Angst sagt: auf keinen Fall –, dann muss es möglich sein – und das ist für mich wichtig –, dass ich das Recht habe, zu schweigen, ohne dass es zur Folge hat, dass der Staat in meine Rechte eingreifen kann.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, ich will noch auf einen Punkt unserer Rechtsordnung hinweisen. Ja, ich bin Jurist wie viele hier, und ja, manchmal sind juristische Argumente in einer ethischen Debatte schwierige Hilfsargumente. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass wir vor einer fundamentalen Entscheidung über das Grundverständnis unserer Verfassung stehen. Es geht um die Fragen: Wie sehen wir Grundrechte? Sind die Grundrechte – in diesem Fall körperliche Unversehrtheit, Menschenwürde und bei genauer Betrachtung noch manch andere – Rechte, die aus uns selbst erwachsen und die wir dem Staat und der Gesellschaft geben? Oder sind es Rechte, die der Staat und die Gesellschaft geben und nehmen können? Das Verfassungsgericht sagt das deutlich:

Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.

Eine Regelung aber, die sagt: „Der Staat greift pauschal erst einmal in deine Rechte ein; du kannst dich ja wehren“, verdreht genau das, was die Mütter und Väter der Verfassung gesehen haben. Das sollten wir heute nicht ändern.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Zum Schluss: Mit Blick ins Plenum sage ich Ihnen und auch denen, die uns zuhören und zuschauen: Schauen Sie Ihren Nächsten an! – Das sage ich auch im Politischen: Schauen Sie Ihr Gegenüber an! – Brauchen Sie dann wirklich den Staat, der sagt: „Du bist grundsätzlich Spender für den“? Oder wäre es nicht sogar so, dass der, der politisch völlig entgegengesetzt zu dem jeweils anderen steht, sagt: „Obwohl ich dich politisch bekämpfe, bin ich als Akt meiner Nächstenliebe bereit, auch im Tode dir zu helfen“? Das muss aber aus dir selbst als Mensch kommen und nicht aus § 3 Absatz 1 des Transplantationsgesetzes.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Nächster Redner ist der Kollege Paul Podolay.

(Beifall bei der AfD)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7413966
Wahlperiode 19
Sitzung 140
Tagesordnungspunkt Organspende
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