Matthias BartkeSPD - Organspende
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir uns für die schwierige Frage „Zustimmungs- oder Widerspruchslösung?“ so viel Zeit genommen haben. Mir kam das zugute; denn ich habe im Laufe der Debatte meine Meinung geändert. Ich war nämlich ursprünglich für die Zustimmungslösung.
Ich fand es ethisch geboten, dass man auf jeden Fall vor dem Tod seine Zustimmung zu einer Organentnahme erklären muss. Das Recht auf Unversehrtheit des Körpers müsse auch noch nach dem Tode gelten,
(Beifall des Abg. Martin Hebner [AfD])
alles andere sei ja wohl eher eine Organabgabepflicht als eine Organspende.
Doch dann habe ich immer mehr gelesen und viele Gespräche geführt. Langsam hat sich meine Meinung geändert. Und dann habe ich Lilly kennengelernt. Lilly ist ein neunjähriges Mädchen aus meinem Wahlkreis Hamburg-Altona. Lilly hat ein künstliches Herz und ist seit 19 Monaten im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Seit 19 Monaten wartet sie dort auf ein Spenderherz. Dieses Warten heißt: Das Leben von Lillys Familie findet in der Klinik statt. Jeden Tag warten Lilly und ihre Eltern auf den erlösenden Anruf, dass es ein Spenderherz gibt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zustimmungslösung wird Lilly nicht helfen. Es lässt sich nicht wegdiskutieren: Länder mit Widerspruchslösung haben ein deutlich höheres Spenderaufkommen als wir, und über Eurotransplant profitieren wir davon. Die ganze Hoffnung von Lilly und ihrer Familie ruht daher auf Eurotransplant. Deutschland hat keine Widerspruchslösung, profitiert aber von den Ländern, die eine haben. Mit Verlaub, das ist kein Zustand.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat bekanntlich ein sehr geringes Organspendeaufkommen. Das Problem sind dabei nicht diejenigen, die sagen: Ich möchte nicht spenden. – Das ist ja eine klare Ansage, die man akzeptieren muss. Nein, das Problem sind die vielen, die eine Entscheidung über die Organspende scheuen und sie dann nicht treffen.
Es ist wohl so: Ob man will oder nicht, die Entscheidung, Organspender zu werden, beinhaltet eine Auseinandersetzung mit dem Tod. Ich glaube, das ist der wesentliche Grund, weswegen die überwiegende Anzahl der Menschen in unserem Land die Zustimmung zur Organspende scheut. Auch wenn sie eine Organspende eigentlich richtig finden: Die Menschen wollen sich nicht entscheiden, weil es eine Scheu gibt, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Und an dieser Scheu würde die Zustimmungslösung nicht das Geringste ändern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)
Das Tragische dabei ist: Keine Entscheidung ist in diesem Fall eben doch eine Entscheidung, und zwar gegen die Organspende.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)
Die Realität ist: Viele Menschen, die dringend ein Organ brauchen, müssen sterben, weil andere sich nicht entscheiden wollen. Ich finde, der Gesetzgeber darf das nicht zulassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)
Er darf nicht zulassen, dass Menschen sterben müssen, weil sich potenzielle Spender nicht entscheiden wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn nicht vorher schon alles geklärt ist, müssten die Angehörigen sowohl bei der Zustimmungs- als auch bei der doppelten Widerspruchslösung gefragt werden. Ich muss gestehen, ich kann mir kein schwierigeres Gespräch vorstellen: Es ist gerade ein geliebter Mensch gestorben, und die Angehörigen sind in tiefer Trauer. In dieser absoluten Extremsituation werden sie mit der Frage nach einer Organspende konfrontiert.
Viele Menschen wehren sich in dieser Situation instinktiv und empfinden das Ansinnen verständlicherweise als pietätlos. Aber es gibt keinen anderen Weg. Das Gespräch muss aus medizinischen Gründen sofort nach dem Tod geführt werden.
In einer solchen Situation macht es einen großen Unterschied, wie die Ärzte fragen: Fragen sie, ob die verstorbene Person als Organspender zur Verfügung stehen wollte, oder fragen sie, ob sie der Organspende aktiv widersprochen hat? Ich finde, es liegt auf der Hand, dass die Frage für alle Beteiligten viel einfacher ist, wenn die Organspende der gesetzliche Regelfall ist, dass also die Antwort auf die Frage nach einem aktiv getätigten Widerspruch den Angehörigen leichter fällt als die Antwort auf die Frage, ob sie einer Organspende zustimmen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir entscheiden heute über eine schwierige ethische Frage. Nach intensiven Überlegungen habe ich mich für die doppelte Widerspruchslösung entschieden. Ich finde, das Recht auf Leben ist stärker zu bewerten als das Recht, sich nicht entscheiden zu müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN und der Abg. Katja Suding [FDP])
Die kleine Lilly, die ich im Krankenhaus besucht habe und die so dringend auf ein Spenderherz wartet, sagte: Wenn man tot ist, braucht man doch seine Organe gar nicht mehr. – Ich muss Ihnen sagen: Ich finde, sie hat recht.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN und der Abg. Katja Suding [FDP])
Nächste Rednerin ist die Kollegin Heike Hänsel.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Hilde Mattheis [SPD])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7413968 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 140 |
Tagesordnungspunkt | Organspende |