Katja SudingFDP - Organspende
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenige Entscheidungen, die ich in meiner inzwischen neunjährigen Abgeordnetenzeit zu treffen hatte, haben mich so intensiv beschäftigt wie diese heute, weil sie eine riesige Tragweite hat. Jeden Tag sterben Menschen, weil sie kein lebensrettendes Organ erhalten.
Im letzten Jahr haben wir im Bundestag strukturelle Verbesserungen in den Krankenhäusern beschlossen, um bessere Voraussetzungen für die Organtransplantation zu schaffen. Das war notwendig und richtig; das bestreitet auch niemand. Aber das allein reicht nicht. Es fehlen potenzielle Spender. Deshalb müssen wir viel mehr dafür tun, um deren Zahl zu erhöhen.
Die Debatte hier zeigt noch mal, dass wir alle dieses Ziel teilen. Das ist schon mal ein sehr wichtiges Signal, das wir aussenden. Aber dieses Signal alleine hilft den Betroffenen eben nicht, die verzweifelt um ihr Leben bangen. Um ihnen zu helfen, müsste sich in Deutschland an der Einstellung gegenüber der Organspende etwas grundlegend verbessern. Deutlich mehr Menschen müssten Organspender werden, damit es Hoffnung für die vielen Menschen gibt, die dringend auf ein Spenderorgan angewiesen sind, um weiterleben zu können.
Doch was ist der beste Weg, um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen? Ich bin überzeugt: Die hier vorgelegte Zustimmungslösung ist es nicht; denn an der bestehenden Praxis würde sich nur wenig ändern.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Mit Information und Aufklärung, mit direkter Ansprache, mit Kampagnen haben wir es doch schon seit Jahren versucht – leider ohne Erfolg. Auf diesem Weg kommen wir nicht weiter. Die Zahl der Organspenden ist zuletzt sogar wieder gesunken, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung der Organspende positiv gegenübersteht.
Genau da müssen wir ansetzen. Wenn die Mehrheit der Menschen zu einer Spende bereit ist, aber nur eine Minderheit diese Bereitschaft auch dokumentiert: Wie lässt sich das ändern? Wie erreichen wir, dass diejenigen Menschen, die zu einer Organspende bereit sind, diese Bereitschaft auch mitteilen? Darum geht es.
Ich bin mir sicher: Wir müssen jetzt einen wirklich großen Schritt tun. Wir müssen jetzt einen mutigen Schritt gehen. Aus meiner Sicht ist die doppelte Widerspruchslösung dieser richtige Schritt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Als Freie Demokratin – wir tragen ja die Freiheit im Namen – habe ich mich natürlich besonders eingehend gefragt, wie es mit der persönlichen Freiheit zu vereinbaren ist, Menschen zu etwas zu zwingen: sie dazu zu zwingen, sich zu der Frage zu verhalten, ob sie Organspender sein wollen oder nicht. Das greife doch in die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen ein, habe ich hier heute oft gehört. – Ja, das stimmt, das tut es. Das tun allerdings auch viele Gesetze, die wir hier beschließen. Deshalb greift diese Frage zu kurz; denn wir dürfen nicht übersehen, um was es geht.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!)
Es geht um Menschen, die todkrank sind und die ohne eine Organspende nicht weiterleben können. Diese Menschen haben Angehörige: Ehepartner, Kinder, Eltern, Schwestern und Brüder. Für sie geht es um Leben und Tod.
Mag diese Debatte für viele von uns eine theoretische sein, wir sollten nicht vergessen: Es kann jeden von uns treffen – jederzeit. Wer in diese Situation gerät, als Betroffener oder als Angehöriger, der wird darauf hoffen, dass es Menschen gibt, die bereit sind, ihre Organe zu spenden. Schon alleine deshalb haben wir die Verantwortung, nicht nur über die Spender, sondern auch über die Empfänger nachzudenken.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Für mich gehören persönliche Freiheit und Verantwortung untrennbar zusammen. Das bedeutet: Natürlich muss der Mensch die Freiheit haben, über sich und seinen Körper selbst zu entscheiden. Aber diese Freiheit nimmt die Widerspruchslösung ja gar nicht. Jeder kann der Organspende widersprechen. Sie bleibt selbstverständlich freiwillig.
Zur Verantwortung, die der Mensch in meinen Augen hat, gehört für mich aber auch, dass wir ihm zumuten können und dürfen, bei einer so existenziellen Frage eine Entscheidung zu treffen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Für mich war es damals eine einfache und glasklare Entscheidung: Ich trage seit Langem einen Organspendeausweis bei mir. Aber mir ist auch vollkommen bewusst, dass diese Entscheidung nicht für jeden so leicht zu treffen ist. Sie mag unbequem sein. Sie mag schwer auf jemandem lasten. Und manch einer wird sie als Freiheitseinschränkung wahrnehmen. Aber reicht das in Anbetracht der Dramatik, in Anbetracht dessen, dass es um das Überleben von Menschen geht, als Argument, eine Befassung mit dem Thema nicht verpflichtend einfordern zu dürfen, wenn genau das doch dazu dienen kann, dass mehr Menschen gerettet werden können? Das muss man sorgfältig abwägen. Aber ich komme zu dem Schluss: Nein, das reicht nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Wer seine Organe nicht spenden will oder wer auch nur einen Zweifel daran hat, der kann und der soll widersprechen. Wer nicht darüber nachdenken will, was nach seinem Tod passiert, der kann ebenfalls widersprechen. Die Widerspruchslösung ändert nichts daran, dass die Entscheidung für oder gegen die Organspende eine freie und persönliche Entscheidung bleibt, die auch niemand begründen muss.
Jede Entscheidung in dieser Frage verdient Respekt – eine gegen die Organspende genauso wie eine für die Organspende. Aber dass sich die Menschen mit dieser Frage beschäftigen, das können und das dürfen wir zur Pflicht machen, um den vielen Menschen zu helfen, die genau das für ihr Überleben brauchen. Ich bitte Sie daher ganz herzlich: Stimmen Sie für die doppelte Widerspruchslösung!
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Ulla Schmidt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7413970 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 140 |
Tagesordnungspunkt | Organspende |