Ulla SchmidtSPD - Organspende
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir jetzt seit Monaten über das Thema Organspende diskutieren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Denn ich glaube, eines ist gelungen: dass wir das Thema Organspende in der Gesellschaft wieder breiter diskutieren und dass das Thema in den Medien wieder den Platz gefunden hat, der ihm zukommt.
Das ist gelungen, weil uns alle – davon gehe ich aus – eines eint, egal ob wir für die Widerspruchslösung oder für die Zustimmungslösung sind: Unser Ziel ist, dass mehr Menschen dazu bereit sind, ein Organ zu spenden, bzw. dass die Bereitschaft zur tatsächlichen Organentnahme zunimmt und damit mehr kranke Menschen eine Chance haben, zu überleben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Trotzdem unterscheiden sich die vorliegenden Gesetzentwürfe bzw. der Antrag. Mir wäre es sehr wichtig, dass wir, egal wie die Entscheidung heute ausfällt, anschließend weiter zusammen intensiv daran arbeiten, die Strukturen zu verbessern, die Aufklärung zu verbessern und die Bereitschaft der Menschen zur Organspende zu wecken. Das wäre eine ganz wichtige Voraussetzung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mich hat heute in der Frage der Entscheidung zwischen der Zustimmungslösung, die ja beim menschlichen Selbstbestimmungsrecht ansetzt, wie es auch in Artikel 2 des Grundgesetzes festgelegt ist und auch in medizinischen Fragen immer eine große Rolle gespielt hat, und der Widerspruchslösung etwas besorgt gemacht: Wenn wir nicht aufpassen, verschiebt sich etwas in der Debatte. Wenn die Widerspruchslösung und damit die Bereitschaft zur Organspende zur Norm werden, dann könnten die Menschen, die Nein sagen, sich in eine Ecke gedrängt fühlen.
Hier wird gesagt: Jeder kann sich frei entscheiden. Aber die Gefahr ist – auch wenn man die Debattenbeiträge heute hört –, ob dann nicht doch die Frage aufkommt, wie sich das „egoistische Individuum“ gegenüber der Gesellschaft verhält, und gesagt wird: In unseren Nachbarländern ist die Bereitschaft zum Geben vorhanden, während das in Deutschland nur rudimentär ausgebildet ist.
Ähnliches gilt auch für viele andere Punkte, die hier genannt wurden. Ich sage dazu: Das wird der Situation der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande nicht gerecht.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Es wird der Tatsache nicht gerecht, dass tagtäglich Menschen daran arbeiten, anderen etwas zu geben, damit sie besser leben können. Aber es wird auch der Situation im Bereich der Organspende nicht gerecht. Wenn 86 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sagen: „Ja, wir sind zu einer Organspende bereit“, dann müssen wir uns überlegen, wie wir es schaffen, dass diese 86 Prozent dann, wenn sie ins Krankenhaus eingeliefert werden und dort versterben, als potenzielle Spenderin oder Spender erkannt werden und ihre Organe tatsächlich auch spenden können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sehen, dass 36 Prozent der Bürgerinnen und Bürger mittlerweile einen Organspendeausweis haben und trotzdem im Krankenhaus oft keiner fragt: Liegt ein Organspendeausweis vor? Oft werden auch die Angehörigen nicht gefragt. Ich habe viele Veranstaltungen erlebt, bei denen mir Menschen gesagt haben: Ich wurde gar nicht gefragt. Ich hätte ja zugestimmt.
Wenn wir wissen, dass bei den leider nur rund 1 450 gemeldeten Fällen potenzieller Organspender nur 24 Prozent der Angehörigen Nein gesagt haben, also 76 Prozent der Angehörigen sich positiv für die Organspende entschieden haben, dann müssen wir doch fragen: Woran liegt das? Von den Zahlen her können wir uns mit Ländern mit einer Widerspruchslösung vergleichen.
Aber es liegt daran, dass die Strukturen im Krankenhaus nicht so sind, wie wir es gerne hätten, und da ist der Dreh- und Angelpunkt,
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
damit wir mehr Organspenden haben.
Das Zweite ist: Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Angehörigen wirklich miteinbeziehen. Hier wird so getan, als sei das bei den Ländern mit Widerspruchslösung nicht der Fall. Die Spanier, um die mal zu nennen, wenden in der Realität die erweiterte Zustimmungslösung an.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Österreicher: Gestern noch gab es in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview mit dem Transplantationsbeauftragten für Westösterreich, der gesagt hat: Glauben Sie doch nicht, dass wir in unserem Land auch nur ein Organ entnehmen würden, auch wenn wir es dürften, wenn die Angehörigen dagegen sind. – Denn man weiß: Wenn man das macht, sinkt das Vertrauen in die Organspende.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Die Frage, wie ich zum Tod stehe, ob ich Angst davor habe, die Frage, ob ich mich damit nicht beschäftigen will, die Frage, ob Angehörige auch in Würde Abschied nehmen wollen, all diese Dinge hängen sehr eng mit dem menschlichen Leben zusammen.
Meine Überzeugung ist: Mit der positiven Zustimmung erreichen wir viel mehr als mit einer Widerspruchslösung, und deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Nächster Redner ist der Kollege Matthias Birkwald.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7413971 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 140 |
Tagesordnungspunkt | Organspende |