Eckhardt RehbergCDU/CSU - Finanzielle Lasten der Migrationspolitik
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Curio, wenn etwas extremistisch war, dann war es Ihre Rede. Das war Ihre Rede.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Das ist Ihr schlechtes Gewissen!)
Als ich mich auf diese Rede vorbereitet habe, habe ich genau das und nichts anderes erwartet.
Sie sprechen davon, dass die Bürger betrogen werden,
(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Jawohl!)
dass die Bürger bluten müssen, dass sie für diejenigen ausgenommen werden müssen, die aus Not und Elend oder wegen Krieg zu uns kommen.
(Zuruf von der SPD: Wer sind denn die Bürger?)
Sie wollen doch eine Rechtsstaatspartei sein. Sie halten doch den Rechtsstaat immer so hoch. Am 18. Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht Recht gesprochen. Ich zitiere einmal die drei Leitsätze:
1. Die Höhe der Geldleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 nicht verändert worden sind.
(Zuruf von der SPD: Das sagt das Bundesverfassungsgericht!)
2. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums … Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.
Punkt.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
3. Falls der Gesetzgeber bei der Feststellung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Wenn Sie, Herr Curio, hier von Sozialleistungen sprechen: Ja, Deutschland hat sehr hohe Sozialleistungen für diejenigen, die zu uns kommen. So hat es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 ausdrücklich festgelegt. Weil wir als Union eine Rechtsstaatspartei sind
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
– ich glaube, ich spreche hier für den gesamten Deutschen Bundestag außer der AfD-Fraktion –, haben wir unsere Politik und unsere Gesetzgebung entsprechend den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe auszurichten.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben hier ein Horrorszenario an die Wand gemalt, wonach es den Menschen in Deutschland über die Jahre – übrigens nicht nur in den Jahren 2015 und 2016, sondern über all die Jahre, in denen Flüchtlinge zu uns gekommen sind – schlechter gehe. Dazu will ich Sie einmal mit ein paar Zahlen konfrontieren.
Das letzte Jahrzehnt war das beste, was Deutschland erlebt hat. Wir haben eine Beschäftigung von 45,3 Millionen Menschen. 45,3 Millionen! Die Arbeitslosigkeit liegt im Schnitt bei 2,2 Millionen. In Deutschland wurde noch nie so viel investiert wie heute.
(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch von Migranten!)
– Ja.
Ich könnte jetzt die Unterrichtung der Bundesregierung nehmen, in der die Länder berichten und wo aufgelistet ist, wofür welches Geld genommen worden ist. Ja, aber wir haben das nicht nur für Migranten gemacht. Vielmehr dient der Kitaausbau natürlich auch den Deutschen, ebenso der soziale Wohnungsbau. Na klar, das erfordert zusätzliches Geld. Aber dieser Herausforderung haben wir uns schlichtweg gestellt.
Lassen Sie mich zum Sozialbereich noch eines sagen. Ich stelle Ihnen einmal zwei Preisfragen: Welches Bundesland hat die niedrigste Altersarmut in Deutschland? Und wie hoch ist sie? – Herr Curio, wissen Sie das? Das ist der Freistaat Thüringen mit 1 Prozent. Bei mir zu Hause beziehen 1,62 Prozent Grundsicherung im Alter. Die Renten im Osten sind in den letzten fünf Jahren um 22 Prozent gestiegen. Ich kann Ihnen eines sagen: Keinem Deutschen geht es schlechter, weil zu uns Menschen aus Not gekommen sind.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Mist, den Sie hier erzählen, der Hass, den Sie hier predigen, das ist Extremismus.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mehr kann ich Ihnen zu diesem Thema und an dieser Stelle nicht sagen.
Wenn Sie von Willkommensparty sprechen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Vielleicht begeben Sie sich gelegentlich einmal dorthin, von wo diese Menschen kommen.
(Beifall des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP])
Begeben Sie sich einfach einmal dorthin, gucken Sie sich an, was da los ist, warum und weshalb. Die 8 Milliarden Euro, die wir für Fluchtursachenbekämpfung ausweisen – der Etat für Entwicklungshilfe ist ja noch ein bisschen größer –, sind meines Erachtens sehr gut angelegtes Geld.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage Ihnen auch, warum: Wenn wir da nichts tun würden,
(Zuruf von der AfD: Dann würden wir den Antrag nicht brauchen!)
wären dort Not und Elend noch viel größer. Würden wir dort im Bereich Klimaschutz nichts tun, wäre das Thema dort noch viel gravierender.
Nehmen Sie die Situation hinsichtlich der humanitären Hilfe in Syrien, in Libyen. Warum haben sich denn gerade im Jahr 2015 viele auf den Weg gemacht? Dies geschah, weil die täglichen Leistungen, verteilt über die entsprechenden Hilfsorganisationen, auf 10 Dollar im Monat pro Person heruntergegangen sind, wenn ich es richtig im Kopf habe; 30 Dollar sind normal.
Herr Kollege Rehberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich erlaube keine Zwischenfragen. – Die Ursache für die Migration war, dass die Menschen dort in den Lagern Hunger und Not gelitten haben. Deswegen ist es nicht nur ein Zeichen von Humanität, sondern ist es auch ein Zeichen von Klugheit, dass wir es zu einer solchen Situation wie in den Jahren 2015/16 nicht mehr kommen lassen werden. Das hat nichts damit zu tun, wie Sie das eben gepredigt haben, dass wir Menschen in Deutschland betrügen würden, dass die Flüchtlinge auf Kosten der Deutschen leben würden. Das alles, was Sie erzählen, ist Quatsch.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meines Erachtens sollte jeder Einzelne von uns auch noch einen humanitären Anspruch haben. Auch das Bundesverfassungsgericht hat davon gesprochen, dass dieser Anspruch ein Menschenrecht ist.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Was Ihren Antrag betrifft, kann ich Ihnen nur sagen: Da müssen Sie schon einmal 10 800 Kommunen fragen. Die Daten liegen nur dort vor. Oder Sie fragen bei den Finanzverwaltungen der Länder bzw. bei den Ländern selbst nach. Ich kann Ihnen nur dringend raten: Die Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen – die Unterrichtung der Bundesregierung, der Bericht der Migrationsbeauftragten, der Bericht der Bundesagentur für Arbeit –, reichen mir aus.
Herr Curio, eine letzte Bemerkung: Sie sprechen hier in Ihrer Pressemitteilung davon, wie groß die „Verwertbarkeit“ der Migranten ist.
(Aydan Özoğuz [SPD]: Ja, genau!)
Verwertbarkeit, welch ein Begriff für Menschen. Wissen Sie, in Vorbereitung dieser Rede war ich wirklich positiv überrascht, wie viele Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten mittlerweile in Beschäftigung gekommen sind. Das ist eine sehr, sehr positive Entwicklung. Dass das schwierig wird, wussten wir wohl alle im Herbst 2015. Herr Curio, ich glaube, dass Sie sich wirklich einmal ganz in Ruhe überlegen sollten, welche Auswirkungen Ihre Rede im Netz und letztendlich möglicherweise auch auf der Straße hat.
(Konstantin Kuhle [FDP]: Das ist ja der Zweck!)
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Rehberg. – Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Konstantin Kuhle.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7413979 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 140 |
Tagesordnungspunkt | Finanzielle Lasten der Migrationspolitik |