Helge LindhSPD - Entschädigung der Erbengemeinschaft Hohenzollern
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein paar Meter von hier auf dem Balkon hat 1918 der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Deutsche Republik ausgerufen. Auf dieser Grundlage kann ich feststellen, dass die SPD-Bundestagsfraktion gewiss nicht die Entschuldigung und Entschädigung, Exkulpierung oder auch Rehabilitierung der Hohenzollern als ihre politische Aufgabe erachtet, und ich finde das auch gut so.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zum Zweiten hat hier an dieser Stelle auch Otto Wels damals die Würde aller Demokratinnen und Demokratinnen, der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, letztlich auch der verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten und aller anderen, die widerständig waren, verteidigt. Deshalb lege ich – im Namen unser aller – großen Wert darauf, dies als Form des Widerstandes gegen das NS-System zu kennzeichnen und einen deutlichen Unterschied zu machen zum Verhalten des damaligen monarchistischen Geschlechts.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es scheint notwendig zu sein, dies in den Debatten, die wir gegenwärtig erleben, deutlich zu machen, weil ich inzwischen dem medialen Diskurs entnehme, dass Formulierungen zu finden sind wie: „Die Rolle war umstritten“, und damit kann ich mich, ehrlich gesagt, nicht abfinden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich sage das sine ira et studio – nicht mit Zorn, sondern als nüchterne Analyse –: Es geht nicht darum, jetzt irgendwie revanchistisch die Hohenzollern abzustrafen. Mir geht es auch überhaupt nicht darum, mit Preußen oder mit dem Adel abzurechnen. Wie käme ich darauf? Ich bin ein großer Anhänger der preußischen Reform. Ich habe mit Begeisterung Wilhelm von Humboldt gelesen. Aber darum geht es nicht. Es geht hier um verschiedene Fragen, die in diesem ganzen Diskurs leicht durcheinandergebracht werden, die uns aber nicht dazu bringen sollten, auch die ethische Dimension des Ganzen zu vergessen.
Bevor ich zu den Detailpunkten komme, wage ich doch, darauf hinzuweisen, dass es ganz, ganz viele, letztlich Millionen Deutsche gab, die in dieses Land aus dem Osten flüchteten, die nicht große Entschädigungen erfahren haben, denen es deutlich schlechter ergangen ist als den Hohenzollern. Ich erinnere auch daran, dass wir uns alle relativ schwer damit tun, bestimmte Opfergruppen – ich nenne hier zum Beispiel die sogenannten Berufsverbrecher und Asozialen oder die Opfer der Euthanasie – überhaupt als Verfolgte des NS-Regimes anzuerkennen. Dieser Kontext steht nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Debatte. Aber wir können doch nicht ausblenden, dass wir noch Erhebliches zu tun haben, um tatsächliche Opfer des NS-Regimes zu würdigen, und anderes, als uns allein damit zu beschäftigen, ob das Erbe der Hohenzollern hinreichend gewürdigt wird. Ich glaube, das muss man auch einmal deutlich formulieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Jetzt kommen wir zu den einzelnen Ebenen. Einerseits ist da die rechtliche Ebene. Es wurde schon erwähnt: Es geht letztlich in den Ausgleichsverhandlungen, die jetzt auch keine Geheimverhandlungen waren – so geheim sind sie wahrlich nicht –,
(Jan Korte [DIE LINKE]: Waren sie doch!)
und die auf Basis der sogenannten Fürstenenteignung der 20er-Jahre stattgefunden haben, um die Vermögensauseinandersetzung, um den Vertrag von 1925/1926, und es geht um das Ausgleichsleistungsgesetz. Das ist eine rechtliche Frage. Wir haben parallel dazu interagierend – das muss man sagen – zum Beispiel in Brandenburg die Situation, dass dort ein Verwaltungsgerichtsverfahren aufgrund der Ausgleichsverhandlung ruhiggestellt wurde. Da geht es um die Rückgabe von Immobilien bzw., da das da nicht möglich war und abgelehnt wurde, um Entschädigungszahlungen. Die Hohenzollern haben gegen die Entscheidung des Landes Brandenburg geklagt. Das ist die Dimension, über die wir sprechen. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren in Brandenburg kam es auch zu den schon genannten vier Gutachten von Historikern.
Die rechtliche Frage, die sich darstellt, ist letztlich keine moralische. Es geht da nicht um die Frage von Schuld, und es ist auch nicht die Frage eines großen historischen Werturteils; das wird an anderer Stelle entschieden werden. Es ist in der Formulierung die Frage – ich zitiere aus dem Ausgleichsleistungsgesetz –, ob jemand „erheblichen Vorschub geleistet hat“. Das ist auch klar von Gerichten definiert. Es wurde 2005 im Verfahren in Bezug auf Hugenberg vom Bundesverwaltungsgericht noch einmal bestätigt. Es geht da um stetige Handlungen, die die Bedingungen der Errichtung und Entwicklung des NS-Systems verbessert haben. „ Erheblich“ bedeutet, dass das nicht ganz unbedeutende Beiträge waren. Ich bin nicht Jurist, und es steht mir nicht an, das zu entscheiden. Aber ich denke, es spricht sehr, sehr viel dafür, dass diese rechtlichen Kriterien in diesem Fall erfüllt waren. Deshalb vertraue ich auch da auf die womöglich letztlich kommenden juristischen Entscheidungen.
Es gibt aber auch noch eine andere Dimension – ich glaube, die muss man an diesem Tag erwähnen; sie kam bisher noch nicht zum Zug –: Es gibt auch so etwas wie eine geschichtspolitische Dimension des Ganzen. Ich stelle fest, dass hochbedeutende Historikerinnen und Historiker dieses Landes sich momentan in einer etwas schwierigen Situation befinden.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Richtig!)
Stephan Malinowski war konfrontiert mit einer Strafanzeige durch das Geschlecht der Hohenzollern.
(Simone Barrientos [DIE LINKE]: Ja, genau!)
Das Verfahren wurde eingestellt. In diesem Augenblick gibt es Unterlassungsbegehren, einstweilige Verfügungen. Ich nenne als Beispiel Dr. Martin Sabrow, Dr. Winfried Süß, Dr. Karina Urbach, alles höchst anerkannte Historikerinnen und Historiker dieses Landes. Nicht zu Unrecht – ich bringe mich jetzt womöglich selbst in die Gefahr, verklagt zu werden; aber das stört mich nicht – muss darauf hingewiesen werden, dass im „Tagesspiegel“ Martin Sabrow von einer „Unkultur der Einschüchterung“ und von einer „Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit“ gesprochen hat. Sehr geehrte Damen und Herren, ich denke, als Parlament können wir diesen Umstand nicht ignorieren.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dabei steht es mir nicht an, groß Ratschläge zu erteilen. Ich kann nur sagen, was ich täte, wäre ich ein Mitglied des Geschlechtes der Hohenzollern. Ich würde die Chance ergreifen, mich als moderne, ehemalige Monarchenfamilie zu präsentieren, mit entsprechender Bescheidenheit. Ich würde deutlich machen, dass mir an allen Möglichkeiten gelegen ist und dass ich so souverän bin, die Geschichte meines Hauses aufzuklären,
(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Das ist doch passiert!)
womöglich Expertenkommissionen oder Ähnliches einzuberufen; das sollte man entscheiden.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mir wäre daran gelegen, die Demokratie dieses Landes zu stärken und deutlich zu machen, dass ich zu dieser stehe, dass das die entscheidende Frage ist und dass es ein Unterschied ist, der einen Unterschied macht, ob man Opfer war oder Täter, und dass Kronprinz Wilhelm gewiss kein Gralshüter der Demokratie in diesem Lande war.
Das sage ich zum Schluss, und das sage ich als Sozialdemokrat in Bezug auf Otto Wels und Philipp Scheidemann: Wir haben als Sozialdemokraten nicht erlebt, dass die Hohenzollern uns damals unterstützt hätten. Nein, im Gegenteil: Es waren die Eliten, und dazu gehörte auch dieses Geschlecht damals – damit haben die heutigen Personen nichts zu tun; aber es war damals der geschichtliche Umstand –, die uns im Kampf gegen die Entstehung des Nationalsozialismus geschwächt haben. Das macht den Unterschied, und auf dieser Grundlage verhalten wir uns auch.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank. – Nächster Redner: Hartmut Ebbing für die Fraktion der FDP.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7414014 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 140 |
Tagesordnungspunkt | Entschädigung der Erbengemeinschaft Hohenzollern |