Hagen ReinholdFDP - Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, es gibt eine breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, und das Gesetz ist ein wichtiger Schritt – das ist keine Frage –, aber eine Statistik kann kein Schlussstrich sein. Das sollte uns klar sein. Selbst wenn wir, wie von der AfD gerade so schön angemahnt, die Statistik auf andere Gruppen ausweiten, was begrüßenswert wäre, bleibt es bis jetzt bei der bloßen Zählung derer, die keine Wohnung haben oder kein Obdach finden. Das allein hilft uns aber nicht weiter.
Wenn wir ein ernsthaftes Interesse daran haben, Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen, ist es viel wichtiger, zu erfahren, welche Hilfeleistungen in Deutschland funktionieren. Ich prügle ja oft zu Recht auf Berlin ein – ich muss nur an den Mietendeckel denken –: Warum ist denn zum Beispiel trotz der hohen Reintegrationsrate bei Obdachlosen in Berlin – bei 60 bis 75 Prozent der Träger – nicht zu merken, dass es weniger Obdachlose in Berlin gibt? Liegt das daran, dass die Hilfsmaßnahmen in Berlin so gut sind? Was für Wanderungsbewegungen haben wir? Das sind Fragen, die uns beschäftigen müssen, damit wir Konsequenzen daraus ziehen können. Die blanke Erfassung der Zahlen ist nicht der Weisheit letzter Schluss.
(Beifall bei der FDP)
Die Zahlen sollen in den Armuts- und Reichtumsbericht einfließen. Den legt man immer zur Mitte der Legislaturperiode vor. So hat man sich das zumindest 2001 vorgenommen. Schon in der letzten Legislaturperiode hat das nicht funktioniert. Er wurde erst am Ende der Legislaturperiode vorgelegt und dann auch noch in einer geschwärzten und schöngeschriebenen Variante. Die Zahlen sollen nicht in den nächsten, sondern in den übernächsten Armuts- und Reichtumsbericht einfließen. Ich hoffe, dass die Zahlen nicht dazu führen, dass ein weiterer Bereich geschwärzt und geschönt wird; denn wir brauchen die Zahlen selbstverständlich in ihrer Klarheit.
(Beifall bei der FDP)
Es ist gut, dass hier keiner allzu sehr auf den anderen zeigt und sagt: Warum haben wir diese Statistik bis jetzt nicht erhoben? 1998 haben wir immerhin schon eine Machbarkeitsstudie zur statistischen Erfassung der Wohnungslosigkeit erstellt. 1998! Viele von uns waren danach in Verantwortung und hätten das umsetzen können. Verwunderlich ist, warum wir damals auf eine laufende Datenerhebung gesetzt haben und nicht auf eine Stichtagserhebung. Die Machbarkeitsstudie hat damals übrigens das Statistische Bundesamt erstellt. Jetzt sind wir bei einer anderen Art und Weise der Erhebung. Ich hoffe, dass das Gesetz diesbezüglich im Laufe der Zeit noch verändert wird und die Datenerhebung angepasst wird.
Ich habe gesagt, warum es mir wichtig ist, zu erfahren, welche Hilfen greifen und welche nicht. Für diejenigen, die die Sache mit dem Liberalen Bürgergeld nicht verstanden haben, die leichte Kost brauchen, gibt es schöne Trickfilme. Die kann man sich ansehen; das muss man nicht auf Papier lesen.
Jeder, der sich mit Sozialleistungen auseinandersetzt, sagt: Wenn wir diese zusammenfassen und leichter für die zugänglich machen, die eine niedrige Schwelle zur Erreichung von Sozialleistungen brauchen, als Bürgergeld oder wie auch immer das heißt, dann hilft das. Selbst wenn es Gute-Bürger-Gesetz hieße: Irgendwann ist mir das völlig egal. Sobald wir die Sozialleistungen zusammenfassen und den Leuten einen einfachen Zugang gewähren, haben wir schon einen großen Schritt getan.
(Beifall bei der FDP)
Ich will – deshalb ist es mir so wichtig, zu erfahren, was wirkt und was nicht – einmal erfahren: Warum ist es vielleicht so, dass eine Mietrechtsänderung, mit der die Frage von Mietschulden aufgegriffen und dafür gesorgt wird, dass auch ordentliche Kündigungen zurückgezogen werden können, gar nicht das adäquate Mittel ist? Wir wissen, dass zum Beispiel 75 Prozent der Obdachlosen – Studien aus anderen Ländern zeigen das – psychische Erkrankungen haben. Wir wissen, dass Leute, selbst wenn sie Geld haben, Mietschulden aufbauen und auch die Begleichung der Mietschulden bei ihnen nicht verhindern wird, die nächste Räumungsklage zu erhalten und die nächste Wohnung zu verlieren.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich sehe das, Herr Präsident, und beeile mich jetzt ganz doll. – Deshalb ist es so wichtig, zu schauen: Welche Hilfsmaßnahme passt? Dann können wir mit der Mär – es reicht eine einfache Änderung im Mietrecht, die Kündigung wird zurückgenommen, und alle sind froh – einmal aufräumen.
Herr Kollege.
Es ist deutlich umfangreicher, diese Aufgabe zu bewältigen. Unser Antrag und auch die Anträge von vielen anderen in dieser Legislaturperiode waren dabei schon hilfreich.
Herr Kollege, ich entziehe Ihnen gleich das Wort. Letzter Satz. Ein Satz nur noch.
Ich bedanke mich bei dem Präsidenten und bei dem Rest der Zuhörer.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Okay. Vielen Dank. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Frau Senatorin Elke Breitenbach.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7414058 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 140 |
Tagesordnungspunkt | Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit |