17.01.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 141 / Tagesordnungspunkt 19

Benjamin-Immanuel Hoff - Agrarpolitischer Bericht 2019

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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Tagen, zwei Tage früher als heute hier in Berlin, hat in Erfurt, der Thüringer Landeshauptstadt, die bundesweite Bewegung „Land schafft Verbindung“ demonstriert, gemeinsam mit dem Bauernverband. Die Haltung, die dort präsentiert wurde, war – auf den Punkt gebracht –: In der Agrarpolitik läuft etwas fundamental schief, und wir Agrarbetriebe sind nicht bereit, die Zeche für lange verschleppte Probleme in der Landwirtschaftspolitik zu zahlen, sondern wir wollen faire Preise für gute Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Position kann man – auch wir als Landesregierung –, egal welche politische Haltung man hier im Bundestag repräsentiert, nur unterstützen. Es werden auch aus dem Freistaat Thüringen Landwirtinnen und Landwirte, Bäuerinnen und Bauern hier nach Berlin kommen, obwohl sie eigentlich etwas anderes zu tun haben, obwohl sie auf ihren Höfen gute Arbeit leisten wollen. Wenn wir oft betonen, dass hart arbeitende Arbeitnehmer Respekt verdienen, dann dürfen wir nicht vergessen, dass das insbesondere für diejenigen gilt, die sich 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag darum kümmern, dass die Ernährungssicherheit gewährleistet wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es geht um mehr als um Respekt in einer Sonntagsrede, es geht auch um mehr als um Respektsbekundungen hier im parlamentarischen Betrieb. Vielmehr geht es um nicht mehr und nicht weniger als um eine Wende in der Agrarpolitik. Zu dieser Wende gehört, dass wir uns insbesondere von einfachen Weltbildern verabschieden.

Bei der einen oder anderen Differenz, lieber Kollege Miersch, bin ich doch bei Ihnen, wenn Sie sagen, wer behaupte, dass die Umwelt- und Klimapolitik gegen die Landwirtschaft stehe, der handele einfach unlauter.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als genauso unlauter empfinde ich, dass das auch diejenigen sind, die nur die zukunftstauglichen, zukunftsgewandten Biohöfe einerseits gegen die klimavernichtende konventionelle Landwirtschaft andererseits sehen.

Wenn die Politik so einfach wäre, dann hätten wir deutlich weniger Probleme. Aber sie ist nicht so einfach, sondern wir müssen Folgendes feststellen: Die von mir geschätzte Kollegin Tackmann hat eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, in deren Beantwortung die Bundesregierung deutlich gemacht hat, dass 13 Prozent der Wertschöpfung in den Landwirtschaftsbetrieben ankommen. Das muss uns doch wachrütteln; das muss doch zeigen, vor welcher Situation unsere landwirtschaftlichen Betriebe stehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD])

Das Problem, das ich bisher in dem einen oder anderen Redebeitrag vermisst habe, ist, dass hier zwar über Labels geredet wird, aber die „Geiz ist geil“-Kultur in unserem Land über lange Zeit dafür gesorgt hat, dass die landwirtschaftlichen Betriebe mit dem Rücken an der Wand stehen. Vor diesem Hintergrund sollen sich Menschen entscheiden, wobei sie sich beim Eintritt in das Berufsleben die existenzielle Frage stellen: Kann ich es mir eigentlich leisten, in einen landwirtschaftlichen Betrieb einzusteigen? Das ist hier auch seitens des Kollegen von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus meiner Sicht nicht thematisiert worden; es gehört aber dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsere heimische Landwirtschaft möchte eben nicht Profite für Verarbeitungs- und Handelskonzerne erwirtschaften. Sie wollen nicht, dass ihre Interessen auf dem Altar eines Weltmarkts geopfert werden. Insofern sagen sie auch völlig zu Recht, dass das Mercosur-Abkommen zurückgenommen werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen nicht mehr und nicht weniger als faire Preise für gute Arbeit; aber sie wollen zugleich auch – das gehört in der Debatte mit dazu –, dass der Staat Verantwortung übernimmt, dass die öffentliche Hand den ländlichen Raum nicht abkoppelt, sondern dass dort investiert wird; denn Bäuerinnen und Bauern sind auch diejenigen, die im ländlichen Raum leben. Sie wollen, dass kleine Schulen bestehen bleiben, dass es Mobilität, dass es ärztliche Versorgung im ländlichen Raum gibt.

Wenn wir weiter dem Fetisch schwarze Null huldigen, wird genau diese Investitionsverantwortung für den ländlichen Raum nicht wahrgenommen, dann bleibt der ländliche Raum abgekoppelt. Aus diesem Grunde hat die rot-rot-grüne Landesregierung die öffentlichen Investitionen erhöht. Wir stärken vor allem den ländlichen Raum, wir geben eine Mobilitätsgarantie, wir machen keine neuen Schulden, wir investieren, und wir tilgen Altschulden. Genau das ist eine vernünftige rot-rot-grüne Politik, wie sie in den Ländern gemacht werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

In Thüringen sichern die landwirtschaftlichen Unternehmen jeder Größe und Ausrichtung Arbeit und Wertschöpfung in der Region. Sie prägen unsere Kulturlandschaft. Deshalb kann ich auch nicht akzeptieren, dass die Agrarbetriebe nun die Zeche für seit Jahren fehllaufende Entwicklungen in der Landwirtschaft allein zahlen sollen.

Wenn ich als Landwirtschaftsminister eines ostdeutschen Flächenlandes rede, dann ist es mir wichtig, auch folgende Perspektive hier im Deutschen Bundestag deutlich zu machen: Unsere Agrargenossenschaften, die Betriebe anderer Rechtsformen, haben nach 1990 in schwierigen Umbruchprozessen viel geleistet, und sie konnten sich behaupten. Wenn der Ministerpräsident Bodo Ramelow darauf hinweist, dass jede Thüringer Familie – wahrscheinlich jede ostdeutsche Familie – Geschichten von Erwerbslosigkeit in den 1990er-Jahren erzählen kann, dann wird der Stolz der Thüringer landwirtschaftlichen Betriebe auf das Erreichte klar erkennbar.

Aber die übergroße Marktmacht von Aldi und Co bedroht nicht nur kleine landwirtschaftliche Betriebe, auf die der grüne Antrag insbesondere orientiert, sondern auch die ortsansässigen Agrarbetriebe in Ostdeutschland insgesamt. Insofern reicht es nicht aus, zu sagen, es sei unanständig, billige Lebensmittel zu kaufen, sondern es ist unanständig, wenn wir nicht gemeinsam auf Bundes- und Landesebene nach Wegen suchen, die Handelskonzerne daran zu hindern, die landwirtschaftlichen Betriebe zu strangulieren und zu erpressen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn jetzt ein Konzern wie Aldi landwirtschaftliche Flächen in großem Stil kauft, dann ist das doch nur der nächste Schritt, die Erzeugerseite noch stärker unter Druck zu setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

In genau diesem Feld müssen wir uns um politische Lösungen bemühen, und zwar auf der Bundesebene genauso wie auf der Landesebene.

Frau Klöckner, Sie haben letztens im Ausschuss gegenüber der Abgeordneten Tackmann gesagt, die Thüringer Landesregierung solle beim Agrarstrukturgesetz einfach einmal vorlegen. – Ich würde sagen, wir tun das. Wenn Sie sich daran orientieren, aber vor allem, wenn Sie mitmachen wollen, sind Sie herzlich eingeladen. Ich freue mich, wenn wir heute Abend beim Thüringen-Abend der Grünen Woche darüber gemeinsam diskutieren können.

(Beifall bei der LINKEN)

Es hat seit 1990 leider keinen Bundeslandwirtschaftsminister aus Ostdeutschland gegeben. Vielleicht hätte das der ostdeutschen Perspektive im ländlichen Raum und der deutschen Einheit gutgetan.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich nutze deshalb als ostdeutscher Landwirtschaftsminister dieses Podium, um klar zu sagen, was die ostdeutschen Agrarministerinnen und Agrarminister – übrigens in Ostdeutschland alle von SPD, Grünen und Linken – unter der Leitung des Sozialdemokraten Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern gestern noch einmal deutlich gemacht haben: Wir wollen keine Obergrenzen in der Förderung nach Betriebsgrößen für ortsansässige Betriebe; sie wollen wir schützen, nicht landwirtschaftsfremde Investorennetzwerke.

Wir erwarten von Ihnen, Frau Bundesministerin, und vom Ostbeauftragten, dass die Bundesregierung diese Position in Brüssel und in der EU-Ratspräsidentschaft klar vertritt. Das bedeutet, dass auf dieser materiellen Grundlage dann auch die nächsten energischen Schritte der Agrarwende umgesetzt werden müssen.

Das bedeutet – da bin ich auch bei denjenigen, die das hier deutlich gemacht haben –, mit freiwilligen Selbstverpflichtungen aufzuhören, die nicht umgesetzt werden. Die Bäuerinnen und Bauern wissen, dass manches Versprechen ihrer eigenen Verbände mehr klassische Lobbypolitik ist, als dass es den Interessen der einzelnen Landwirtinnen und Landwirte Rechnung trägt. Es passiert gerade auch beim Tierschutz zum Teil in den Betrieben mehr, als manche Verbände in ihrer Kompromisssuche mit Ministerien durchzusetzen versuchen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich werde mich hier aber auch nicht hinstellen, wie das andere zum Beispiel in Seeon gemacht haben, und fordern, die Düngeverordnung könne noch einmal gestoppt werden. Dass sie vor Jahren nicht konsequent genug in die Diskussion gebracht wurde, führt dazu, dass die Agrarbetriebe heute das Gefühl haben, sie werde im Hauruckverfahren umgesetzt. Diese Form von politisch organisierter Planlosigkeit setzt die Betriebe unter Planungsdruck und macht ihre betriebswirtschaftliche Planung kaputt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Genau darüber wird zu reden sein, genauso wie wir Bundes- und Landesregelungen brauchen, um gegen Share Deals und gegen die Spekulation mit landwirtschaftlichen Flächen vorzugehen. Da sind wir Länder keine Bittsteller, sondern erwarten wir die Kooperation mit dem Bund auf Augenhöhe, um genau an dieser Stelle Lösungen zu finden. Das ist aus meiner Sicht das, was ich in diese Diskussion einbringen wollte.

Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Abschluss, von diesem Podium noch einen Dank

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Wie lang sind denn sechs Minuten?)

für eine unmissverständliche Position des Thüringer Bauernverbandes auszusprechen, die mir auch vor den nächsten Demonstrationen wichtig ist. Ich zitiere aus dem Tweet des Bauernverbandes:

#Rechtsextreme missbrauchen die heutige #Bauerndemo … & verbreiten online Lügen. Ihr Handeln ist eine Frechheit. @Bauernverband … distanziert sich ausdrücklich von den Personen und deren Zielen. Sie schaden den Anliegen der #Landwirte & unserer Demokratie.

Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Stephan Protschka [AfD]: Da musste ja noch etwas kommen!)

Herr Minister, ich war jetzt sehr konziliant. Wenn wir öfter Minister zu Besuch hätten, die bei uns reden, könnten wir uns das von der Redezeit her nicht leisten. Aber ich meine, es liegt im Ermessen.

Als Nächster hat das Wort der Kollege Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
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Wahlperiode 19
Sitzung 141
Tagesordnungspunkt Agrarpolitischer Bericht 2019
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