Carsten SchneiderSPD - Aktuelle Stunde - Für eine schnelle Einigung bei der Wahlrechtsreform
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute hier in der Aktuellen Stunde auf Verlangen der FDP-Fraktion über eines der ureigenen Themen unserer Demokratie, nämlich wie das Wahlsystem in Deutschland gestaltet ist, wie es Mehrheiten an der Wahlurne im Bundestag abbildet, wie wir in Deutschland beim personalisierten Verhältniswahlrecht bleiben können und die mögliche Vergrößerung des Bundestages bei zukünftigen Wahlergebnissen möglichst verhindern. Ich nehme an, der Anlass für die Aktuelle Stunde ist der Vorschlag, den die Opposition hier auch eingebracht hat. Ich habe dafür Verständnis und bin gern bereit, darüber hier zu diskutieren.
Grundsätzlich gilt, dass sich das Wahlrecht in Deutschland bewährt hat. Grundsätzlich gilt,
(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Zeitspiel!)
dass es zwischen direkt gewählten Abgeordneten und Listenabgeordneten keinen Unterschied gibt. Sie sind gleich viel wert; sie sind gleich gewählt;
(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Der Herr Özdemir hat da was anderes gesagt! Ihr Kollege war anderer Meinung!)
sie haben die gleichen Rechte, und sie haben die gleichen Pflichten.
Das sage ich insbesondere vor dem Hintergrund, dass ich selbst in der Beziehung ein Zwitter bin, weil ich nämlich meinen Wahlkreis dreimal gewonnen habe und dreimal verloren habe. Die Kollegin Tillmann von der Union aus Erfurt hat ihn bis jetzt zweimal verloren und zweimal gewonnen.
(Stephan Brandner [AfD]: Jetzt ist er blau! Wahlkreis 193 ist inzwischen blau! Da kandidiere nämlich ich!)
Die Qualität der Arbeit der Abgeordneten hat das nicht beeinflusst. Es hat natürlich einen Einfluss, wer dort kandidiert. Ich behaupte aber, das hat den geringeren Einfluss. Den Haupteinfluss haben immer der gesamte Trend und natürlich auch die Frage der Unterstützung der jeweiligen Partei in dem jeweiligen Wahlkreis.
Jetzt sind wir beim Punkt: Das Wahlgesetz gilt in Deutschland, so wie es ist. Es gleicht die Wahlergebnisse in den Wahlkreisen vollkommen aus – Herr Glaser hat das ja auch ausgeführt –, was aber dazu führen kann, dass es, wenn eine Partei ein sehr schwaches Zweitstimmenergebnis hat, mit den Erststimmenergebnissen aber sehr weit vorne liegt, zumindest so weit, dass sie teilweise mit 30 Prozent die Wahlkreise gewinnt, zu einer erheblichen Vergrößerung des Bundestages kommt. So ist es derzeit Gesetz in Deutschland.
(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Zeitspiel!)
Um zu unterstreichen, dass das nicht aus der Luft gegriffen ist: Bei der Thüringer Landtagswahl war die Linkspartei mit den Zweitstimmen deutlich stärkste Partei mit, glaube ich, 31 Prozent. Die CDU hatte 22 Prozent. Bei den Erststimmen wiederum war die CDU deutlich stärkste Partei und die Linkspartei nur auf dem dritten Platz.
(Stephan Brandner [AfD]: Die SPD kommt gar nicht vor!)
– Ach, Herr Brandner, halten Sie einfach mal die Klappe.
(Stephan Brandner [AfD]: Erzählen Sie mal was zur SPD!)
– Es ist unerträglich! – Das zeigt, dass wir in Deutschland mittlerweile ein zersplittertes Parteiensystem haben.
Unser Ziel als Sozialdemokraten ist, dass wir das personalisierte Verhältniswahlrecht in Deutschland beibehalten und es auch in der Zukunft gilt. Und damit es in der Zukunft gilt, müssen wir Veränderungen vornehmen. Warum ist das wichtig? Wir wollen nicht die gleiche Situation wie in den USA haben, wo Präsident Trump gewählt und ins Amt eingeführt wurde – das haben wir alle festgestellt –, obwohl er fast 3 Millionen Stimmen weniger hatte als seine Mitbewerberin Hillary Clinton. Das ist das amerikanische System.
Wir haben eine andere Kultur des Konsenses und des Ausgleichs. Genau diesen Konsens und Ausgleich wollen wir. Das sage ich auch in Richtung Opposition. Ich habe Ihren Vorschlag ernst genommen; wir haben ihn auch beraten. Ich halte insbesondere die Verringerung der Zahl der Wahlkreise um diese stattliche Anzahl, die Sie vorschlagen, für zu stark; denn die Vergrößerung der Wahlkreise, die damit einhergeht, hätte zur Folge, dass Abgeordnete einfach nicht mehr so viele direkte Kontakte pflegen können.
Auch das erläutere ich Ihnen am Beispiel meines eigenen Wahlkreises: Ich war mal Abgeordneter von Erfurt. Erfurt hat 200 000 Einwohner. Nachdem wir in unseren Wahlkreisen in Ostdeutschland, auch in Thüringen, Bevölkerungsverluste hatten, haben wir jetzt noch 8 Wahlkreise. Früher waren es 13. Die Fläche wurde entsprechend vergrößert, sodass zu Erfurt Weimar hinzukam. Das sind zwei Städte; das geht. Wenn Sie aber einen Wahlkreis mit einer großen Fläche haben und mehrere Landkreise zusammenkommen, ist es umso schwerer, tatsächlich noch präsent zu sein.
Ich halte es aber für die Vertreter einer Volkspartei oder generell einer Partei für sehr wichtig, dass wir noch den direkten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern haben, auch am Wochenende.
(Beifall der Abg. Yasmin Fahimi [SPD])
Deswegen sind wir in dieser Legislatur für eine Veränderung der Anzahl der Wahlkreise aus den Gründen, die auch Herr Glaser genannt hat, nicht zugänglich. Das betrifft die Frage der Umsetzbarkeit, aber insbesondere auch die Frage des direkten Kontakts.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Zweitens. Wir brauchen einen Deckel.
(Albrecht Glaser [AfD]: Völlig richtig!)
Auch der Vorschlag der Opposition garantiert kein Nichtanwachsen des Bundestages.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber deutlich weniger! – Dr. Florian Toncar [FDP]: Die Wahrscheinlichkeit ist schon extrem! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: In neun von zehn Szenarien!)
– In der Tat. Aber Sie können nicht klar sagen, ob es unter 700 sind. Sie können auch nicht sagen, ob es über 650 sind. – Aus diesem Grund schlagen wir vor, dass es eine Begrenzung nach oben gibt, einen Deckel, der bei einer Größenordnung liegt, die geringer ist als die jetzige Anzahl der Bundestagsabgeordneten.
(Albrecht Glaser [AfD]: Sehr gut!)
Wir sind im Gespräch mit der Union und wollen uns hinsichtlich der verschiedenen Möglichkeiten, die es gibt, auch gemeinsam positionieren. Wir werden den Bundestag rechtzeitig damit beschäftigen und noch in dieser Legislatur zu einer Entschlussfassung kommen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Friedrich Straetmanns.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7424519 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 142 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Für eine schnelle Einigung bei der Wahlrechtsreform |