Konstantin KuhleFDP - Automatisierte Gesichtserkennung
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung und die Große Koalition planen eine Reform des Bundespolizeigesetzes. In einem ersten Entwurf für die Novelle dieses Gesetzes tauchte eine neue Ermächtigungsgrundlage auf für automatisierte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum an Verkehrsknotenpunkten durch die Bundespolizei. Um das gleich vorweg zu sagen: Viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und wir Freie Demokraten sind gegen eine flächendeckende automatisierte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum,
(Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir auch! Darum geht es doch gar nicht!
weil das nicht zu einer freiheitlichen Demokratie, sondern eher in totalitäre Regime passt, wenn der Staat nachvollziehen kann, wo sich alle Bürgerinnen und Bürger aufhalten.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja lustig! Darum geht es gar nicht!)
Da Sie bei der Union gerade die Zähne fletschen, weiß ich schon ziemlich genau, was gleich hier in der Debatte gesagt werden wird. Hier wird gesagt werden, die Bundespolizei sei auf die Nutzung dieser neuen Technologie angewiesen, sie würde sie verantwortungsbewusst einsetzen und vor allem: Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten. – So werden Sie es hier gleich darstellen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Stimmt! Super Rede! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So kann es weitergehen!)
Ich will Ihnen dazu aber sagen: Das passt überhaupt nicht zur Rechtslage, und das passt vor allen Dingen nicht zu dem, was das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2018 zu einem anderen Bereich der Datenerhebung im öffentlichen Raum entschieden hat, nämlich zur Kfz-Kennzeichenerfassung. Da hat das Bundesverfassungsgericht ganz eindeutig entschieden, dass schon die Erfassung der Daten im öffentlichen Raum die Bürgerrechtseinschränkung ist und nicht erst der Treffer. Und weil diese Entscheidung, die das Bundesverfassungsgericht Ende 2018 dazu getroffen hat, so schön ist, will ich Ihnen noch eine andere Passage aus dieser Entscheidung vortragen – ich zitiere –:
Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE])
Das sagen Ihnen nicht irgendwelche weltfremden Bürgerrechtsfritzen von der FDP, sondern das sagt Ihnen das höchste deutsche Gericht.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hören nie zu!)
Ich sage Ihnen: Das, was für Kfz-Kennzeichen gilt, das gilt erst recht für Gesichter.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen sollte der Deutsche Bundestag ein Recht auf Anonymität in der Öffentlichkeit festschreiben.
Natürlich, meine Damen und Herren, gilt ein solches Recht nicht schrankenlos. Wer eine Straftat begangen hat und deswegen gesucht wird oder wer gefährlich ist, dessen Identität muss durch den Staat in der Öffentlichkeit aufgedeckt werden können, um die Bürgerinnen und Bürger und die öffentliche Sicherheit zu schützen.
Sie werden hier gleich mit dem Modellversuch am Berliner Südkreuz um die Ecke kommen, bei dem die biometrische Gesichtserkennung in der ersten Testphase ausprobiert worden ist.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlechtes Beispiel!)
Und ja: In der ersten Phase betrug die Fehlerquote gerade mal 0,5 Prozent – Menschen, die einen Datentreffer bekommen haben, obwohl sie gar nicht gesucht waren.
(Dr. Florian Toncar [FDP]: Einer von hundert!)
Aber wissen Sie, wie viel 0,5 Prozent an einem großen deutschen Verkehrsknotenpunkt sind? Am Hauptbahnhof in Frankfurt am Main mit 460 000 Fahrgästen pro Tag sind das 2 300 Treffer, die eigentlich keine Treffer sein sollten.
Meine Damen und Herren von der Union, Ihnen ist die Wirkung der Gesichtserkennung auf die Bürgerrechte im Allgemeinen egal.
(Beifall bei der FDP)
Aber dass Ihnen auch die Wirkung dieser 2 300 Treffer egal ist,
(Benjamin Strasser [FDP]: So ist es!)
das sagt etwas über Ihren Wunsch aus, eine zweifelhafte, technisch unausgereifte Technologie einzuführen, ohne sich hinreichend damit beschäftigt zu haben.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hier sollte der Deutsche Bundestag ein Stoppschild aufstellen.
Die ganze Debatte über das Thema „automatisierte Gesichtserkennung“ hängt ja nicht nur am Bundespolizeigesetz, sondern auch an der Berichterstattung, die es in der letzten Woche über die App Clearview gegeben hat, eine App, die in den Vereinigten Staaten schon von Sicherheitsbehörden eingesetzt wird und mit der im öffentlichen Raum im Internet nach einem Gesicht gesucht werden kann wie in einer Suchmaschine. Das wäre das Ende jeder Privatsphäre im öffentlichen Raum.
Der Deutsche Bundestag muss deutlich machen: Wir teilen die Skepsis der Europäischen Kommission. Es braucht ein Moratorium für die Verwendung solcher Applikationen, und es braucht ein Recht auf Anonymität im öffentlichen Raum.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE])
Nächster Redner ist der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7424627 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Automatisierte Gesichtserkennung |