Joana CotarAfD - Automatisierte Gesichtserkennung
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Es ist ein wirklich spannendes Thema, das wir heute diskutieren: Einsatz biometrischer Videoüberwachung. Bundesinnenminister Seehofer forderte bis vor Kurzem in seinem Entwurf zur Reform des Bundespolizeigesetzes noch den massenhaften Einsatz der automatischen Gesichtserkennung. Jetzt hat er den Passus aus dem Gesetz gestrichen. So kennen wir ihn: heute hü, morgen hott.
Durch die fortschreitende Digitalisierung wird vieles möglich, was früher noch undenkbar war. Vieles geht einfacher, effizienter und schneller, auch die Überwachung der Menschen. Durch Kameras und künstliche Intelligenz kann man im Schnellverfahren Menschen überprüfen, Gesichter abgleichen, zur Fahndung ausgeschriebene Straftäter finden und festnehmen; ein Gewinn für die Sicherheit der Menschen hier im Land.
Aber der Einsatz einer solchen Videoüberwachung stellt einen sehr weitreichenden Grundrechtseingriff dar, und ganz schnell sind wir bei dem Thema Freiheit. Was darf der Staat? Was soll er?
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fand der Kollege Reusch nicht so wichtig!)
Wo haben die Rechte des Einzelnen Vorrang? Wo muss der Bürger vor dem Staat geschützt werden?
Die Diskussionen sind kontrovers. Die EU erwägt ein Verbot biometrischer Videoüberwachung, London führt sie gerade ein, China hat sie perfektioniert und in San Francisco – eine der Hauptstädte der technologischen Revolution – ist sie bereits seit letztem Jahr verboten.
In meiner Brust schlagen zwei Herzen – ich bin ehrlich –: Vor einigen Jahren hätte ich dem Antrag der FDP, ohne mit der Wimper zu zucken, zugestimmt. Aber wir leben im Jahr 2020 und die Sicherheitslage ist eine andere.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich haben Sie sich in der Fraktion nicht durchgesetzt!)
Durch die verfehlte Politik der Bundesregierung, durch einsame Entscheidungen von Frau Merkel,
(Konstantin Kuhle [FDP]: Treten Sie doch aus der Fraktion aus! Da hinten ist noch Platz!)
durch den fortgesetzten Rechtsbruch des Parlaments leben wir in Zeiten, in denen ein Terrorist einen Lkw in einen Weihnachtsmarkt fahren kann, in denen regelmäßige Updates an Gefährdern in diesem Land zur Tagesordnung gehören, in denen die Zahl der Messerattacken in bedrohlichem Ausmaß zunimmt, in denen Menschen vor Züge oder die Treppen hinunter gestoßen werden, in denen die Zahl der Sexualdelikte zunimmt. In Deutschland ist die innere Sicherheit erodiert. Dieser Realität müssen wir uns stellen.
(Beifall bei der AfD)
Das bedeutet auch, unsere Polizei endlich zu stärken, ihr die Möglichkeit zu geben, Gefahren abzuwehren, die Chance, Schwerstkriminelle und Terroristen an besonders gefährdeten Orten zügig zu identifizieren und festzusetzen. Aber dabei müssen wir höllisch aufpassen. Es braucht klare Regeln, strenge Vorgaben und Kriterien und vor allem Grenzen. Eine Totalüberwachung der Bürger durch den Staat darf es nicht geben. Chinesischen Verhältnissen erteilen wir eine klare Absage.
(Beifall bei der AfD)
Kein Mensch darf an jeder Stelle registriert und überprüft werden.
Bei der automatischen Gesichtserkennung müsste klar geregelt werden, wer die Informationen sammelt, wer sie einsieht, verwendet und wie lange und wo die Überwachungsdaten gespeichert werden. Missbrauchsmöglichkeiten müssen ausgeschlossen, der Datenschutz sichergestellt werden. Erst im Herbst 2019 wurde bekannt, dass eine Datenbank mit 1 Million Fingerabdrücken und Gesichtsscans unverschlüsselt im Netz abrufbar war. Welche Gefahren davon ausgehen, muss ich Ihnen nicht erklären. Und die letzte Entscheidungsgewalt, das letzte Wort muss immer der Menschen haben und nicht die Maschine.
Bevor wir eine solche Technik einsetzen, muss aber auch klar sein, dass sie richtig funktioniert, und das ist im Moment nicht der Fall. Die Algorithmen sind noch zu ungenau.
Die Falscherkennungsrate beim Pilotprojekt – wir haben es gehört – am Berliner Bahnhof Südkreuz lag korrigierterweise bei 0,67 Prozent. Das klingt auf den ersten Blick wenig. Das bedeutet aber für diesen Bahnhof bei 90 000 Reisenden am Tag 600 völlig unschuldige Passanten sind in den Verdacht einer Straftat gekommen.
(Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Das findet Ihr Kollege überhaupt nicht schlimm!)
Das sind über 70 000 Fehlalarme und anlasslose Kontrollen im Monat an nur einem Bahnhof. Das können wir uns nicht erlauben. Das ist nicht nur den Bürgern nicht zuzumuten, sondern auch den Beamten nicht. Es kostet Zeit und Geld. Die Falschtreffer müssen also deutlich reduziert werden, bevor wir eine solche Methode einsetzen.
(Beifall bei der AfD)
Wir müssen die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit finden. Nicht alles, was digital gemacht werden kann, sollte auch gemacht werden. Aber wenn es gemacht werden muss, dann muss es klare Regeln und enge Grenzen geben. Die Bürger müssen vor Straftätern, aber auch vor einem übergriffigen Staat geschützt werden. Dieser Balanceakt ist eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen. Lassen Sie uns darüber diskutieren, und zwar mit den Bürgern draußen. Schließen wir die Bürger bei dieser Diskussion nicht aus und treffen wir keine vorschnellen Entscheidungen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der AfD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Cotar. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Uli Grötsch, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7424637 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Automatisierte Gesichtserkennung |